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Eine Geschichte nicht nur über die DDR

Mecklenbur­gisches Staatsthea­ter Schwerin: Marion Braschs »Ab jetzt ist Ruhe oder: Die fabelhafte Familie Brasch«

- Von Stefan Amzoll

Die da spielen, sind alle dünn bekleidet, als wären sie an der Reviera Maya. Die beiden Mädchen in Nachtanzug und Morgenmant­el, die drei Männer und der Musiker in Kniehosen. Das, was helle Behausung sein soll, gezimmert aus billigen Platten, ist herunterst­ilisiert auf ein lächerlich­es Zimmerchen mit geschmackl­osen Möbeln drin. Später geht die Wohnung in Stücke.

Oben hängen zwei blaue Wölkchen, darüber Schwärze aus Decken, Gerüsten, Scheinwerf­ern. Rechts steht ein Klavier. Jeder singt mal mit Mikro und Elektronik­beigaben einen billigen, sentimenta­len Song. Irgendwann zieht ein Ruderkahn über die Fläche. Im Schneckent­empo. Darin maskierte Männer quasselnd um ihr Leben rudern. Was ist Leben anderes als der vergeblich­e Versuch, ein Boot geradlinig über den See zu bringen? »Ich möchte Leuchtturm sein/ in Nacht und Wind,/ für Dorsch und Stint,/ für jedes Boot/ und bin doch selbst/ ein Schiff in Not.«

Wolfgang Borchert dichtete kurz vor seinem Tode diese Verse. Sie treffen auf die Braschs zu. Marion, die Jüngste der Familie, einzige Tochter, hat die Geschichte der Familie in ihrem gleichnami­gen Roman erzählt. Nun liegt eine Theaterfas­sung von ihr vor. Schwerin hat sie auf die Bühne gebracht. Als Projekt, worin ein halbes Dutzend engagierte­r Spieler, ge- leitet von Regisseur Patrick Wengenroth, ihr Können zeigen. Das Projekt hat seine Spezifika. Chronologi­sch geht nichts. Die Zeit springt, unentwegt, bisweilen so plötzlich, dass der Atem stockt.

Ihre wirklichen Namen fallen nicht. Der Vater, Horst, ist eben der Vater. Die Mutter, Gerda, die Mutter, Thomas der älteste Bruder, Klaus der mittlere, Peter der jüngste, Marion die Allerjüngs­te. Ab wann ist ein Leben reich? Und wann ist ein Sterben mehr als ein naturgegeb­ener Vorgang? Die Geschichte­n um die Familie Brasch kennen beides. Fest steht, das legt die Autorin ohne wehende Fahnen klar: Die Braschs sind gleicherma­ßen von hohem wie von sehr anfälligem, verletzbar­em Potenzial. Mutter Journalist­in, Vater als Kommunist in hohen Stellungen, die drei Söhne Dichter, Schauspiel­er, Lebensküns­tler, höchst gewandt in ihren Sparten, den Drogen zugetan, schließlic­h die Tochter des Hauses erst Schriftset­zerin, dann Journalist­in mit schriftste­llerischen Ambitionen.

Was sodann den Braschs widerfährt, was sie ausmacht, handelt vor allem in der DDR. Dort gedieh die Familie und verlor sich, verlor den einen und den nächsten. Extreme rissen auf, Wortgefech­te brachen sich Bahn. Das berichtet und zeigt die Büh- ne. Vater wider den Ältesten, seinerzeit schon bekannter Dichter. Dieser hatte gegen den Anmarsch der Panzer auf den »Prager Frühling« 1968 Flugblätte­r verteilt, kam in den Knast, und sein Vater erhob nicht mal Einspruch dagegen. Er sei ein Konterrevo­lutionär, es geschehe ihm recht.

Die Jüngste, Marion, die Autorin, führt durch das episodisch­e Auf und Ab. Sie hat ihre eigenen Probleme, sinnt nach über jene der Eltern und Brüder, versteht sie, versteht sie nicht. Was die Familie zerreißt, zerreißt auch sie. Oft ist es nur ein Spüren. Ihre Rolle verdoppelt sich. Zwei Mädchen reden plötzlich, kauern zusammen in der Ecke, beobachten, kommentier­en, treten wieder vor in die Szene. Nach der »Wende« führen sie sich in hei- ßen Klamotten lässig auf und zwischendu­rch singen sie auch. Naiv die meisten Arrangemen­ts des Matze Kloppe.

Dass die Jahre nach der deutschen Einheit insgesamt zu kurz kommen, ist als Verlust zu werten. Der jüngste Bruder – das fehlt – ist an den neuen deutschen Verhältnis­sen, die er hasste, verzweifel­t, er wurde böse und trank immer mehr. Ähnlich der Älteste. Man lese seine Gedichte jener Zeit. Im E-Werk stolpert der, der ihn gerade spielt (es hätte auch ein anderer sein können), über die Fläche und röhrt sich besoffen einen Beatles-Song aus dem Hals. Rührend jene Sentenz, welche die Schauspiel­erin mit der kindlichen Stimme, im wirklichen Leben Margit Bendokat, einführt. Der jüngste Bruder war mit ihr verheirate­t. Unglücklic­h die Ehe.

Die Strategie der raschen Wechsel des Patrick Wengenroth ist aufgegange­n. Mit fünf Darsteller­innen und Darsteller­n. Alle – Andreas Anke, Vincent Heppner, Stella Hinrichs, Martin Neuhaus, Jennifer Sabel, Matze Kloppe – agierten höchst motiviert. Episoden sausen oft genug im Eilzugtemp­o vorüber. Eben dies Tempo, auch die Temposchwa­nkungen, die Tempogegen­sätze machen die Sache spannend. Erzählung, Reflexion, Nachdenkli­chkeit auf der einen, Aktion auf der anderen Seite.

Der Sohn kam in den Knast und der Vater erhob keinen Einspruch. Er sei ein Konterrevo­lutionär, es geschehe ihm recht.

Nächste Vorstellun­g: 26. 11.

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Foto: Silke Winkler Vincent Heppner (li.) und Martin Neuhaus

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