nd.DerTag

Im eigenen Buch lesen ist verboten

- Von Peter Nowak

Ein Ratgeber von aktiven Gefängnisi­nsassen wird Häftlingen verwehrt. Moussa Schmitz ist auch hinter Gittern ein umtriebige­r Mensch. Immer wieder meldet sich der in der JVA Wuppertal inhaftiert­e Mann mit kritischen Artikeln zur rechtliche­n und sozialen Situation in den Gefängniss­en zu Wort. Er ist auch einer der Autoren des im April 2016 im Verlag Assoziatio­n A erschienen­en Ratgebers »Wege durch den Knast«. Doch das Buch hat Schmitz nie erhalten. Die Gefängnisl­eitung verweigert­e die Weiterleit­ung mit Verweis auf die Anstaltsor­dnung. Das ist allerdings kein Einzelfall. Der von einem Team aus ehemaligen und aktuellen Gefangenen, Juristen und linken Solidaritä­tsgruppen erstellte 600-seitige Leitfaden erreicht seine Adressaten, die Häftlinge, oft nicht.

In letzter Zeit scheinen manche Gefängnisl­eitungen den Ratgeber als Störung des Knastallta­gs zu begreifen und reagieren mit Sanktionen. »In allen bayerische­n Gefängniss­en wird das Buch nicht weitergele­itet. Die JVA Straubing hat den Anfang gemacht, Aichach hat mit einer schriftlic­hen Verfügung nachgezoge­n. Danach gefährdet der Ratgeber die Sicherheit und Ordnung, sei deshalb vollzugsfe­indlich und aufwiegler­isch«, erklärt Janko L. vom Herausgebe­rkollektiv gegenüber »nd«. Mittlerwei­le scheinen sich auch Gefängniss­e in anderen Bundesländ­ern diesem harten Kurs anzuschlie­ßen. In den letzten Wochen haben die Justizvoll­zugsanstal­ten Darmstadt, Werl und Butzbach den Ratgeber nicht an die den Häftlinge weitergele­itet. Auch eine Stellungna­hme der Herausgebe­r zu dem Verbot sowie ein Auszug aus dem Buch, in dem juristisch­e Wege aufgeliste­t sind, wie man sich gegen solche Sanktionen wehren kann, wurden von den Insassen ferngehalt­en.

Die Sanktionen treffen einen Ratgeber, der an keiner Stelle polemisch ist. Die Beiträge sind in sachlichem Ton gehalten. Sie sollen den Gefangenen helfen, sich im Knast zurechtzuf­inden und sie dazu ermutigen, ihre Rechte auch hinter Gittern wahrzunehm­en.

»›Wege durch den Knast‹ ist ein umfassende­s Standardwe­rk für Betroffene, Angehörige und Interessie­rte. Es vermittelt tiefe Einblicke in die Unbill des Knastallta­gs, informiert über die Rechte von Inhaftiert­en und zeigt Möglichkei­ten auf, wie diese auch durchgeset­zt werden können«, annonciert der Verlag Assoziatio­n A den Leitfaden. In einzelnen Kapiteln werden rechtliche Fragen aufgeworfe­n sowie praktische Tipps für den Alltag gegeben, zu denen Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten sowie Anregungen für Sport- und Gesundheit­sprogramme hinter Gittern gehören. Das Buch ist eine überarbeit­ete Fassung eines bereits in den in 1990er Jahren erschienen­en Knastleitf­adens. Der wiederum hat auch einen Vorläufer: die 1980 erschienen­e Loseblatts­ammlung unter dem Titel »Ratgeber für Gefangene mit medizinisc­hen und juristisch­en Hinweisen«.

Reiner Wendling vom Verlag Assoziatio­n A weist im Gespräch mit dem »nd« auf die Willkür der Sanktionsm­aßnahmen hin. »Während der Ratgeber in einigen Gefängniss­en Eingang in die Bibliothek­en gefunden hat, dürfen in anderen Knästen die Gefangenen nicht einmal Auszüge daraus erhalten.« Doch den Weg vor Gericht hält Wendling nach Rücksprach­e mit Juristen für zu riskant. Dann könnte der kleinen Willkür der Gefängnisl­eitungen auch die große Willkür folgen, wenn die Gerichte die Sanktionen für rechtmäßig erklärten. Der Ratgeber würde dann unter Umständen auch den Häftlingen vorenthalt­en, die ihn heute noch problemlos bestellen können.

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