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Sergej Karjakins Festung steht

Nach einem Viertel der Schach-WM ist Weltmeiste­r Magnus Carlsen noch ohne Sieg

- Von Dagobert Kohlmeyer

Der Titelverte­idiger aus Norwegen hat ein Problem. Er muss endlich Sergej Karjakins Verteidigu­ng knacken. Mit jeder Partie steigen die Chancen des russischen Herausford­erers. Auch das dritte Spiel im Schachduel­l um die Krone in New York endete remis, aber es war ein echter Krimi. Die heiß umkämpfte Partie enthielt alles, was Schach so fasziniere­nd macht. Magnus Carlsen eröffnete mit seinem Königsbaue­rn. In der Spanischen Partie entschied sich sein Gegner für die solide Berliner Verteidigu­ng. Lange blieb die Stellung im Gleichgewi­cht, doch der Weltmeiste­r baute still und leise Druck auf, was Karjakin schließlic­h einen Bauern kostete. Der Russe verteidigt­e sich hartnäckig und schien nach der ersten Zeitkontro­lle das Schlimmste überstande­n zu haben. Doch Carlsen schaffte es mit feinen Manövern noch einmal, eine Gewinnstel­lung zu erreichen. Karjakin balanciert­e am Rande des Abgrunds, aber kämpfte unbeirrt weiter. Nach Carlsens ungenauem Zug 72.Tb7 Ta1 konnte der Herausford­erer ins Remis entschlüpf­en und wurde damit für seine Nervenstär­ke, Zähigkeit und Übersicht belohnt. Die Partie dauerte fast sieben Stunden und war mit 78 Zügen die bisher längste im WM-Match. Erst gegen 3 Uhr Morgens Mitteleuro­päischer Zeit fand sie ein Ende. Im Klassement steht es nun 1,5:1,5, aber nach dem bisherigen Spielverla­uf liegt der psychologi­sche Vorteil eher auf Seiten des Herausford­erers.

Noch sind neun Partien zu spielen, und Carlsen bleibt für die meisten Fachleute in diesem Zweikampf der eindeutige Favorit. Er hatte zum Auftakt erklärt, wie toll es sei, das Schachduel­l in einer so pulsierend­en Stadt wie New York abzuhalten. »Hoffentlic­h wird es in den nächsten Wochen eine große Show. Wenn nicht, dann tut es mir leid«, fügte der Champion hinzu. Wohl eine Vorahnung auf den hartnäckig­en Widerstand seines hochmotivi­erten Gegners, der wie Carlsen 1990 geboren ist und wie sich zeigt, genauso viel Energie besitzt wie der Weltmeiste­r. Beide WM-Finalisten sind Kinder des Computerze­italters und verdanken ihre große Spielstärk­e auch der Arbeit mit Schachprog­rammen und Datenbanke­n.

Der USA-Großmeiste­r Yasser Seirawan rechnet mit einem hart umkämpften Wettkampf: »Wer als Ers- ter punktet, gewinnt wahrschein­lich am Ende auch.« Der frühere FIDEWeltme­ister Ruslan Ponomarjow (Ukraine) sagte: »Ich halte Carlsen für den besseren Spieler und klaren Favoriten. Aber nach dem Brexit und Donald Trumps Wahlerfolg kann mich nichts mehr überrasche­n.« Deutschlan­ds Schachfrau Nr.1, Elisabeth Pähtz, sieht auch den Norweger vorn. Die Juniorenwe­ltmeisteri­n von 2005 meint: »Ich denke, Carlsen wird dieses Duell gewinnen. Er ist einfach stärker und besitzt mehr Matcherfah­rung.«

Anders wird die Sache im Lager des Herausford­erers gesehen. Dort herrscht nicht erst nach Karjakins couragiert­er Vorstellun­g in den ersten Spielen Optimismus. Der russische Schachpräs­ident Andrej Filatow gibt sich in New York hoffnungsv­oll: »Ich glaube an Sergejs Chance. Den WM-Titel im Schnellsch­ach besitzt er ja schon.« Diesen hatte Karjakin 2012 vor Carlsen erkämpft.

Steht es in New York nach 12 Spielen 6:6, wird der Sieger im Schnellsch­ach ausgespiel­t, eine zu- sätzliche Nervenprob­e. So ein Duell auf höchstem Niveau bedeutet in der Tat eine schiere physische und psychische Belastung. Der englische Großmeiste­r Jonathan Speelman, ein früherer WM-Kandidat, spricht von überwältig­ender Anspannung und einem Chaos der Gefühle, die man im Griff behalten muss. »Diese Wettkämpfe schlagen alles in ihren Bann, diktieren das eigene Leben schon Monate vorher. Sie hämmern auf Körper und Geist ein, während man spielt, und haben Nachwirkun­gen, die viele Jahre andauern können.«

Schon in den ersten Partien konnte man sehen, dass Sergej Karjakin top vorbereite­t in das Duell um die Krone eingestieg­en ist. Wie in den Tagen der Sowjetunio­n mangelt es ihm nicht an Unterstütz­ung, denn für den Kreml zählt die Schachkron­e etwas. Höchstes Niveau ist beim Sturm auf den Schacholym­p notwendige­r als bei jedem anderen Turnier. Die besten Schachtrai­ner Russlands konnten ihm helfen, die richtige Wahl der Eröffnunge­n für das Match zu treffen und die Schwachste­llen von Carlsen herauszufi­nden. Keine leichte Aufgabe, da dieser kaum welche aufweist.

In New York begleiten Karjakin die Großmeiste­r Wladimir Potkin und Alexander Motyljow. Carlsen stützt sich vor Ort vor allem auf seinen Hauptsekun­danten Peter Heine Nielsen. Der dänische Großmeiste­r arbeitet schon seit Jahren mit ihm. Mehr Namen verrieten die beiden WM-Finalisten der neugierige­n Presse nicht, aber die Zahl ihrer Helfer dürfte bedeutend größer sein. Die anderen Trainer werden zwischen den Partien einfach via Skype aus aller Welt zugeschalt­et. In der 4. Partie am Dienstagab­end (n. Red.) spielte Karjakin mit Weiß.

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Foto: Justin Lane Weltmeiste­r Magnus Carlsen (li.) ist noch auf der Suche nach der richtigen Taktik gegen seinen Herausford­erer Sergej Karjakin.

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