Wenn der Hessenpokal das Höchste ist
Sergej Evljuskin erzählt in seiner Biografie »Eigentlich wäre ich jetzt Weltmeister« vom Scheitern als Nachwuchstalent
Die Klubs der ersten bis dritten Liga bilden jedes Jahr ein Fülle an Nachwuchsspielern aus. Nur die wenigsten schaffen den Traum der Fußballerkarriere. Sergej Evljuskin galt als Verheißung für die Zukunft. Trainer und Mitspieler nannten ihn sogar »Kaiser«. Der Sohn einer Aussiedlerfamilie aus Kirgisistan spielte mit Mesut Özil und Jérôme Boateng und bestritt 42 Juniorenländerspiele für Deutschland, viele davon als Kapitän. Heute kickt der 28-Jährige für Hessen Kassel in der Regionalliga. Seine nun erschienene Biografie »Eigentlich wäre ich jetzt Weltmeister« ist ein bemerkenswerter Gegenentwurf zu jenen Hochglanzgeschichten der Profifußballer.
»Vielleicht spreche ich für viele«, sagt Evljuskin. »Es gibt ja so viele, die ganz große Träume vom Profifußball haben.« Evljuskin wurde 2006 und 2007 als bester Nachwuchsspieler mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold des Deutschen Fußball-Bundes ausgezeichnet. Zweimal gelang dies später nur Mario Götze. Der Vergleich mit dem Siegtorschützen des WM-Finales von 2016 ist etwas, was Evljuskin nicht mehr hören kann.
»Sergej hat man mit den ganzen Ehrungen und Medaillen ganz schön viel in den Rucksack reingegeben, und der Rucksack ist mit den Jahren immer schwerer und schwerer geworden«, sagt sein Trainer aus Wolfsburge, Peter Hyballa, in dem Buch. »Fußball ist ein knallharter Leistungssport. Die Besten spielen, fertig.«
Der Mittelfeldspieler kam über den Braunschweiger SC zum VfL Wolfsburg, die Bundesligakarriere vor Augen. Einen Knacks erhält sein Aufstieg 2007: Nach der U19-EM spielt er im Verein unter Felix Magath keine Rolle, findet sich auch in der 2. Mannschaft kaum zurecht. Evljuskin geht zu Hansa Rostock in die 3. Liga, steigt mit dem Verein auf, wird dort aber trotz Vertrags aussortiert und an den SV Babelsberg ausgeliehen. danach bleibt in der 4. Liga, nach einer Saison beim Goslarer SC zieht er weiter zu Hessen Kassel, wo er nun einen Vertrag bis 2018 hat.
Evljuskin wird von seinen Mitspielern längst »Siggi« gerufen und nicht mehr »Kaiser«. »Sergej war im Jugendbereich ein sehr dominanter Spieler. Er war unglaublich laufstark, ballsicher, hat gearbeitet für das Team. Aber es ist einfach so, dass man im Jugendbereich gewisse Schwächen kompensieren kann«, erklärt sein früherer DFB-Trainer Frank Engel. Als dann mehr Körpereinsatz und Tempo ins Spiel gekommen sind, »da ist Sergej an eine Grenze gestoßen«.
Damit ist er nicht allein. Eine Studie der Technischen Universität Kaiserslautern von 2013, die in Evljuskins Biografie erwähnt ist, besagt: Von 160 Spielern, die beobachtet wurden, schafften es gerade mal zehn Prozent in den Profifußball. 84 Prozent gelang nicht mal der Sprung in die Regionalliga. Laut Engel mischen in den Sichtungsturnieren des Verbandes jedes Jahr ungefähr 350 Spieler mit. »Davon werden am Ende 12 bis 15 den Sprung in die Bundesliga schaffen.« Die Erst- und Zweitligaklubs haben in der Saison 2014/2015 erstmals mehr als eine Milliarde Euro in ihre Leistungszentren investiert. Dort werden jedes Jahr nicht nur viele Hundert Talente ausgebildet, sondern auch deren Träume gehegt.
Im Nachhinein ist Evljuskin froh, dass er sein Abitur gemacht hat. Er lies sich zum Betriebswirt ausbilden, kann von dem leben, was er als Fußballer verdient. Er studiert Sportmanagement und liebäugelt mit einem beruflichen Engagement bei der Polizei. »Ich hatte das Glück, mein Hobby zum Beruf machen zu können«, sagt er. »Und ich gehe immer noch jeden Tag gerne zum Training.«