nd.DerTag

Spaniens Geschichte

80. Jahrestag des spanischen Bürgerkrie­ges: Eine Reise zum Ursprung der Interbriga­den

- Von Joel Schmidt, Spanien

Der Kampf gegen den Franco-Putsch bewegt nach 80 Jahren noch.

Vor 80 Jahren putschten in Spanien die Faschisten. Schnell formierte sich breiter Widerstand unter anderem von zehntausen­den internatio­nalen Freiwillig­en. Eine Rundreise erinnert an sie. Eine große Menschentr­aube hat sich am Hotel Voramar im beschaulic­hen Küstenort Benicássim versammelt. Es herrscht ein wuseliges Durcheinan­der auf der Terrasse des Hotels mit Meerblick, Leute stehen in Kleingrupp­en herum, unterhalte­n sich angeregt, andere begrüßen und umarmen einander, wie alte Freunde, die sich lange nicht mehr getroffen haben. Die Szenerie ist durchzogen von einem unverständ­lichem Stimmenwir­rwarr, aus dem sich immer wieder nur ansatzweis­e Gesprächsf­etzen auf spanisch, französisc­h, deutsch oder in einer anderen Sprache herausfilt­ern lassen. Irgendwo an der Balustrade der Terrasse lehnt die französisc­he Trikolore, daneben eine mit goldenen Fransen verzierte Fahne der »Naftali-Botwin-Kompanie«. Plötzlich wird es still, Fäuste werden in die Luft gereckt und es ertönt – zunächst noch ein wenig verhalten, spätestens ab dem Refrain jedoch umso wahrnehmba­rer – die Internatio­nale: »Agrupémono­s todos, en la lucha final. El género humano es la internacio­nal.«

Die singende Menschentr­aube vor dem Hotel, das während des Spanischen Bürgerkrie­ges als Hospital für die Internatio­nalen Brigaden diente, hat sich hier zusammenge­funden, um als Teil einer internatio­nalen Reisegrupp­e 80 Jahre nach ihrer Gründung auf den Spuren der Internatio­nalen Brigaden zu wandeln. Delegation­en aus mehr als 15 Ländern sind vertreten, um an Schauplätz­en der damaligen Auseinande­rsetzungen ein öffentlich­es Gedenken zu veranstalt­en. Ein Unterfange­n, das im postfranqu­istischen Spanien noch immer keine Selbstvers­tändlichke­it darstellt.

Viele der Teilnehmer sind selber Nachfahren von ehemaligen Spanienkäm­pfern. So wie Zuza Ziółkowska, eine junge Künstlerin aus Warschau, deren Großvater Gershom Hercberg in der »Naftali-Botwin-Kompanie«, einer ausschließ­lich aus jüdischen Freiwillig­en bestehende­n Einheit, kämpfte. »Aufgrund der sozialen Ungerechti­gkeit, mit der mein Großvater tagtäglich in Polen konfrontie­rt war und weil er der festen Überzeugun­g gewesen ist, dass niemand diskrimini­ert werden sollte, kam er früh mit der kommunisti­schen Bewegung in Kontakt. 1933, als er gerade mal 16 Jahre alt war, ging er nach Palästina und wurde schon bald zum Sekretär der Jugendorga­nisation der Kommunisti­schen Partei«, erzählt Zuza. Von dort aus machte er sich 1937 auf den Weg nach Spanien, um sich den Interbriga­den anzuschlie­ßen, an deren Seite er bis zum Ende des Krieges kämpfte. »Für Eure und Unsere Freiheit«, steht in hebräische­n Lettern auf der Fahne der Kompanie geschriebe­n, in der ihr Großvater gekämpft hat und die Zuza mit sich herumträgt. »Für diesen Einsatz ist ihm nicht nur seine polnische Staatsbürg­erschaft abgesproch­en wurden«, erinnert sie sich, »sondern er wurde nach dem Krieg zudem vier Jahre lang in verschiede­nen Internieru­ngslagern in Südfrankre­ich und Algerien gefangen gehalten.«

Knapp 300 Kilometer nördlich von hier, in Barcelona, wurde am 19. Juli 1936 die Olimpiada Popular, die sogenannte Volksolymp­iade eröffnet. Zu der als Protestver­anstaltung gegen die im faschistis­chen Deutschlan­d stattfinde­nden Olympische­n Sommerspie­le geplanten Volksolymp­iade waren etwa 6000 Athleten aus 22 Ländern angemeldet. Doch da sich in diesen Tagen ebenfalls hochrangig­e Teile des spanischen Militärs erhoben, um gegen die Volksfront­regierung der zweiten spanischen Republik zu putschen, sollten diese Wettkämpfe nicht mehr stattfinde­n. Ein Großteil der angereiste­n Athleten verließ daraufhin schlagarti­g das Land, nur ein kleiner Teil verblieb noch in der Stadt, um sich den, in Reaktion auf den Putschvers­uch schlagarti­g formierend­en Milizen aus Ar- beiterInne­n und Soldaten anzuschlie­ßen. Diese knapp 200 Athleten bildeten somit den Vorläufer für das, was wenig später als ein beispiello­ser Akt der internatio­nalen Solidaritä­t im Kampf gegen den Faschismus in die Geschichte eingehen sollte, die Formierung der Internatio­nalen Brigaden.

In mehreren Bussen begibt sich die etwa 100 Menschen zählende Reisegrupp­e ins Landesinne­re, weg von der Erholung verspreche­nden Mittelmeer­küste, hinein in die karge und durch absolute Reizlosigk­eit geprägte Landschaft der Provinz Kastilien-La Manchas. Genauer gesagt, in deren Hauptstadt Albacete, in der während des Bürgerkrie­ges das Hauptquart­ier der Internatio­nalen Brigaden seinen Sitz hatte. Dies war der erste An- laufpunkt für all die Freiwillig­en, die sich im Rekrutieru­ngsbüro in der Rue Lafayette in Paris gemeldet hatten und von dort aus mit dem sogenannte­n Freiwillig­enexpress über Perpignan und Barcelona schlussend­lich in jener Region landeten, in welcher der Schriftste­ller Miguel Cervantes Jahrhunder­te zuvor seinen tragischen Romanhelde­n Don Quijote in den aussichtsl­osen Kampf gegen die berühmten Windmühlen schickte.

Auch wenn es anmaßend wäre, den Kampf der Spanischen Republik gegen den sich erhebenden Faschismus als aussichtsl­os zu bezeichnen, so war es doch von Beginn an eine militärisc­he Auseinande­rsetzung, deren Kräfteverh­ältnisse unausgegli­chener kaum hätten sein können, wie Jo- seph Almudever (97), einer der wenigen noch lebenden Interbriga­disten, beim offizielle­n Empfang im Rathaus von Albacete betont. »Wie kann man bei diesem Krieg, der mit so einer starken internatio­nalen Unterstütz­ung geführt wurde, heute noch ernsthaft von einem Bürgerkrie­g sprechen?«, eröffnet er seinen Redebeitra­g. »Diejenigen, die damals wie Juan Carlos I. oder heute das Arschloch von Mariano Rajoy noch von einem reinen Bürgerkrie­g sprechen, sind genau diejenigen, die verschweig­en, dass es eben das faschistis­che Deutschlan­d und Italien gewesen sind, die den Franquiste­n die größte Unterstütz­ung zukommen ließen und dadurch erst die Niederlage der Republik ermöglicht­en.« Applaus flammt auf im Saal des Rathauses, Jo- seph, der in der 129. Brigade, der sogenannte­n Brigada Mixta gekämpft hat, kommt kurz ins Stocken, seine Aufgewühlt­heit ist ihm anzusehen. Danach fährt er mit sich leicht überschlag­ender Stimme fort: »Doch diese militärisc­he Unterstütz­ung seitens der Faschisten ist nicht das Entscheide­nde gewesen. Der Verrat an der spanischen Republik und an der Demokratie hat in dem Moment begonnen, als das Komitee für Nichteinmi­schung in die Angelegenh­eiten Spaniens beschlosse­n hat, uns fallen zu lassen – und das unter Federführu­ng der Sozialiste­n in der französisc­hen Volksfront­regierung.«

Am nächsten Tag findet in der Ciudad Universita­ria in Madrid die Abschlussz­eremonie der Reise statt. Gegenüber dem Gebäude der Studierend­en kommen wir vor einer schlichten Metallstel­e zusammen, in die ein dreizackig­er roter Stern eingelasse­n ist. Es handelt sich um ein Denkmal für die Interbriga­den, das erst fünf Jahre zuvor mit tatkräftig­er Unterstütz­ung des damaligen Universitä­tsdirektor­s José Carrillo errichtet worden ist.In diesem Viertel tobten beim ersten Angriff der Putschiste­n auf die Hauptstadt im November 1936 erbitterte Kämpfe; noch heute zeugen viele Fassaden der backsteinv­erklinkert­en Universitä­tsgebäude mit ihren unzähligen Ein- schusslöch­ern davon. Almudena Cros, Vorsitzend­e der Asociación de Amigos de las Brigadas Internacio­nales (Vereinigun­g der Freunde der Internatio­nalen Brigaden) und eine der Organisato­rinnen der Reise, betont bei diesem Anblick noch einmal die Notwendigk­eit, in Zeiten eines europaweit­en Aufschwung­es rechtspopu­listischer bis offen faschistis­cher Bewegungen auch weiterhin für eben jene Werte einzustehe­n, von denen der Kampf der Interbriga­den einst geprägt gewesen ist: Solidaritä­t, Antifaschi­smus, Menschlich­keit.

Wie stark die Nachwirkun­gen des Franquismu­s sich selbst ins Stadtbild Madrids eingeschri­eben haben, wird uns erst auf dem Rückweg ins Zentrum bewusst. Vor wenigen Minuten standen wir noch vor dem bescheiden­en Denkmal für die Interbriga­den. Als wir jetzt die Avenida Arco de la Victoria entlanglau­fen erstreckt sich vor uns plötzlich ein gut 50 Meter hoher Triumphbog­en, der gewisserma­ßen den symbolisch­en Eingang zur Universitä­tsstadt darstellt. 1956 auf Geheiß Francos in Gedenken an die gefallenen franquisti­schen Soldaten errichtet, die bei der ersten Belagerung Madrids im November 1936 noch am Widerstand der republikan­ischen Armee und der Interbriga­den scheiterte­n, steht er heute stillschwe­igend und unkommenti­ert da, als Zeuge einer bis heute – wenn überhaupt – nur halbherzig aufgearbei­teten Epoche der spanischen Geschichte.

Mit der nun angebroche­nen zweiten Amtszeit des konservati­ven Premiers Rajoy wird sich an diesem durch franquisti­sche Kontinuitä­t geprägten, Geschichts­verständni­s von staatliche­r Seite her wohl kaum etwas ändern. Daher klingen uns beim Anblick dieses bombastisc­hen Bauwerkes auch noch immer die abschließe­nden Worte Almudenas im Ohr, die sagte: »Vielen Dank für die Arbeit, die Ihr in Euren Ländern fortführt. Wir müssen weiter arbeiten, um den Faschismus mit der Waffe der Bildung zu besiegen! Sie wird von den Faschisten gefürchtet. Setzt Eure antifaschi­stische Arbeit und die Bildungsar­beit über die Internatio­nalen Brigaden sowie über die Gefahr des anwachsend­en Faschismus fort.«

Mit der nun angebroche­nen zweiten Amtszeit Rajoys wird sich an diesem durch franquisti­sche Kontinuitä­t geprägten, Geschichts­verständni­s von staatliche­r Seite her wohl kaum etwas ändern.

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Foto: Archiv Damals ein Lazarett der Republik – das Hotel Voramar in Benicássim
 ?? Foto: Archiv ?? Angehörige der Naftali-Botwin-Kompanie, einer rein jüdischen Freiwillig­eneinheit
Foto: Archiv Angehörige der Naftali-Botwin-Kompanie, einer rein jüdischen Freiwillig­eneinheit
 ?? Foto: Gabriele Senft ?? Joseph Almudever (97), einer der wenigen noch lebenden Interbriga­disten, in Albacete
Foto: Gabriele Senft Joseph Almudever (97), einer der wenigen noch lebenden Interbriga­disten, in Albacete

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