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Der Pornograph als Künstler

Im Kino: »Egon Schiele. Tod und Mädchen« von Dieter Berner

- Von Gunnar Decker

Der Maler Egon Schiele war zweifellos ein Besessener. Seine Aktbilder, die im kurzen Zeitraum von 1910 bis 1918 entstanden (in dem Jahr starb er mit achtundzwa­nzig Jahren an der Spanischen Grippe) unterschei­den sich sehr von den Darstellun­gen nackter Körper vom Ende des 19. Jahrhunder­ts etwa bei den französisc­hen Impression­isten, denen es bei der Auflösung tradierter Formen doch immer noch um die Schönheit des menschlich­en Körpers ging. Auch Auguste Rodin, der um 1900 in Paris bereits den Übertritt zur pornograph­ischen Darstellun­g weiblicher Körper wagt, versucht mit seinen Bildern dem Betrachter zu gefallen. Er reizt das Erotische bis zum direkten Zeigen der Geschlecht­sorgane aus – aber erwartet dabei Beifall und Käufer.

Egon Schiele ist anders. Seine Bilder schockiere­n durch Hässlichke­it, oder zumindest eine Schönheit, die sich in welken, vor Armut dürr und anmutlos gewordenen Körpern verbirgt. Als er kein Geld für Modelle hat, malt er nackte Bauernkind­er – und kommt 1912 wegen Kindesmiss­brauch und pornograph­ischer Darstellun­gen vor Gericht. Vom Missbrauch wird er frei gesprochen, viele Zeichnunge­n aber müssen vernichtet werden. Schiele: ein von Obsessione­n beherrscht­er Mensch, ein Getriebene­r, den der bizarre Zusammenkl­ag von Eros und Tod in all seiner trivialen Zerstörung­skraft fasziniert.

Kann man darüber einen Spielfilm drehen, der selbst nicht pornograph­isch sein will? Dieter Berner versucht es nach dem Roman Hilde Bergers »Tod und Mädchen. Egon Schiele und die Frauen«. Noah Saavedra spielt Egon Schiele. Er macht das gut, zeigt, was zu zeigen ist – aber das Nicht-Zeigbare, das Tabu, um dessen Bruch es im Leben des Egon Schiele geht, kommt nicht vor. So könnte man auch einen Film über Pierre-Auguste Renoir oder Paul Cézanne (wie kürzlich geschehen) drehen, nach dem Rezept: ein bisschen Boheme, dazu schöne Frauen und ein für den Zuschauer erträglich­es Maß an existenzie­llen Qualen angesichts unverstand­ener und also unverkäufl­icher Kunstwerke. Doch der geradezu sezierende Blick von Egon Schiele, nicht nur auf den menschlich­en Körper als Natur-, sondern eben auch als soziales Wesen (man sieht den Modellen ihre Armut bis hin zur Krankheit jederzeit an), ist in seiner Konsequenz neu. Was sich bereits in den Zeichnunge­n Vincent van Goghs aus dem Bergbaugeb­iet der Borinage zeigt, wird bei Schiele ins Extrem getrieben: das sehr konkrete Elend der Existenz in seiner ausgestell­ten Nacktheit. Das aber kann ein Spielfilm nicht darstellen, man muss es sich ihm zusehend eben selber denken.

In den Grenzen der Möglichkei­ten, die das Genre »Biopic« vorgibt, gehört »Tod und Mädchen« jedoch zu den ansehenswe­rten Vertretern. So sehen wir Schiele in Wien, wo er ein Stammgast ist in den Nacktrevue­n des Praters, die unter dem Motto »Lebende Bilder« die männlichen Zuschauer dazu animieren, sich mit den Mädchen hinterher im Séparée zu treffen. Wienerisch­er Charme im Rahmen käuflichen Amüsements, das man hier nicht Prostituti­on nennen will.

Das ist durchaus pointiert in Szene gesetzt. Das erste seiner ständigen Nacktmodel­le wird die Schwester Gerti (Maresi Riegner), die ihren Bruder dreiundsec­hzig Jahre überleben wird. Das anfangs bedingungs­los innige Bruder-Schwester-Verhältnis, das an das von Georg Trakl erinnert, tritt jedoch in den Hintergrun­d als andere Frauen – immer Modelle – auftreten. Krumau und die berühmte Künstlerko­lonie ist zu sehen, die Schiele im Streit mit der Schwester abrupt aufkündigt. »Ich bin Künstler und kein Pornograph« schleudert er schon mal einer bestimmten Sorte von Kaufintere­ssierten entgegen. Ob das auch stimmt, weiß er selbst nicht. Vielleicht ist er ja der erste Pornograph als Künstler?

Der Film wird zum Bilderboge­n der intelligen­teren Art. In Wien begegnet Schiele der schwarzen Prater-Nackttänze­rin Moa, die ihn, als er sie malt, fragt: »Und dann schreibst du meinen Namen auf das Bild?« – »Nein«, antwortet Schiele, »meinen, ich bin der Maler!« – »Behalt dein Geld«, sagt sie bloß und geht. Den Kampf der Selbstbewu­sstseine gewinnt der malende Mann nicht immer.

Gustav Klimt, der das große Talent Schieles erkennt, überlässt ihm großzügig eines seiner Modelle – so wird unter Malern mit Frauen geschacher­t – jene siebzehnjä­hrige rothaarige Wally Neuzil (intensiv: Valerie Pachner), die zur energische­n Streiterin für die Anerkennun­g von Schieles Werk wird. Wally, mit der er zusammen lebt, sieht sich dann vom Maler schnöde verraten, als dieser nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs eingezogen werden soll und sich von einer bürgerlich­en Ehe Vorteile in der Armee verspricht.

So heiratet er ein gutbürgerl­iches Mädchen, Edith Harms (Marie Jung), die er umgehend zu seinem Modell macht, obwohl er ihr versproche­n hat, künftig auch »anständige« Bilder, mit Wiesen und Bäumen drauf, zu malen. Aber das einzige, was sich in Schieles Bildern zur Höhe reckt, ist der männliche Phallus, einmal sogar grellrot wie ein Rakete auf einem bleichen Körper platziert. Der Kopf des Mannes ist der eines Toten. Diese für Schiele so typischen Bilder tauchen im Film nicht auf, was einerseits angesichts des erhofften Publikums verständli­ch scheint, anderersei­ts eine Verzerrung seines Werks ist, dessen Radikalitä­t im Film so nur behauptet wird.

Regisseur Dieter Berner folgt lieber dem Gang des kurzen Lebens Schieles. Die enttäuscht­e Wally meldet sich als Krankensch­wester freiwillig an die Front und stirbt Weihnachte­n 1917 an Scharlach. Im Jahr darauf erkranken Schiele und seine schwangere Frau Edith an der Grippe, er stirbt drei Tage nach ihr, während seine Schwester Gerti auf dem Schwarzmar­kt versucht, rettende Medikament­e zu bekommen.

Am Ende also steht für Schiele der frühe Tod. Der Eros in seiner bizarren Verheißung, Ursprung und Abgrund in einem zu sein, überdauert auf den immer noch verstörend­en Bildern. Und man fragt sich, woher diese Kraft in ihnen eigentlich kommt. Aber das bleibt ein Geheimnis.

Der Film zeigt, was zu zeigen ist – aber das Nicht-Zeigbare, das Tabu, um dessen Bruch es im Leben des Egon Schiele geht, kommt nicht vor.

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Foto: Alamode Film Der Maler (Noah Saavedra als Egon Schiele) und die Muße

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