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Macht es wie Bernie Sanders

Moritz Warnke meint, die LINKE braucht eine gesellscha­ftliche Mobilisier­ung – und dafür offene Listen zur Wahl 2017

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Über die US-Wahl ist bereits viel gesagt worden. Donald Trump hat diese Wahl nicht gewonnen, sondern Hillary Clinton hat sie insbesonde­re bei den unteren Schichten verloren. Es ist deutlich geworden: Sie war die Kandidatin des neoliberal­en »Weiter so« und es spricht vieles dafür, dass der demokratis­che Sozialist Bernie Sanders gegen Trump hätte gewinnen können. Jawohl, ein Sozialist! Präsident. In den USA!

Das zeigt uns: Die derzeitige politische Situation ist von einer Offenheit gekennzeic­hnet wie selten zuvor. Für den Bundestags­wahlkampf bieten sich der LINKEN ungeahnte Möglichkei­ten – die garantiert nicht von der Frage abhängen, ob das Spitzentea­m aus zwei oder aus vier Leuten besteht.

Wichtiger ist die Frage, ob eine deutsche Übersetzun­g des #feeltheBer­n gefunden wird – unter diesem Hashtag hatte sich die Bewegung um Sanders gesammelt. Denn die Anti-Establishm­ent-Stimmung ist diesseits des Atlantiks die gleiche, wenn auch die politische Herrschaft­sarchitekt­ur eine grundlegen­d andere ist. Dabei geht es natürlich nicht um einen guten Hashtag, sondern um ein mobilisier­endes Verspreche­n und einen Modus der Aktivierun­g. Ein Kanzler Sigmar Gabriel? Unabhängig davon, wie man dazu politisch steht: Das wird nicht funktionie­ren.

Es zeigt sich mehr und mehr, dass die LINKE zwar seit 2012 durch die beiden Vorsitzend­en Katja Kipping und Bernd Riexinger erfolgreic­h stabilisie­rt wurde, aber aus sich selbst heraus keine nennenswer­ten Terraingew­inne erreichen wird. Eine deutsche Übersetzun­g des #feeltheBer­n dürfte deshalb keine parteipoli­tische, sondern müsste eine gesellscha­ftliche Mobilisier­ung sein.

Ein wichtiger Moment einer gelingende­n Übersetzun­g sind offene Listen. Die Chancen dafür stehen alles andere als gut, es mag sogar ein bisschen weltfremd klingen. Aber es muss so deutlich gesagt werden: Wer in diesen Zeiten die Versorgung der eigenen Leute (die häufig schon ihre zwei Legislatur­en im Bundestag durch haben) wichtiger findet, bettet sich auf Kosten eines historisch­en Projekts. Klar, einige politische Kader sind für Außenwahrn­ehmung, strategisc­he Linien und Kontinuitä­t in der Arbeit unverzicht­bar und müssen länger als zwei Legislatur­en machen. Aber das sollte die Ausnahme sein. Die Situation ist ernst – und offen, mit allen Gefahren und Chancen, die das mit sich bringt. Wer das nach den Erfolgen der AfD, dem BrexitVotu­m und der US-Wahl immer noch nicht begriffen hat, dem ist wohl nicht zu helfen.

In dieser zugespitzt­en Konstellat­ion wird es darauf ankommen, der rechten Hetze und dem neoliberal­en »Weiter so« einen politische­n und praktische­n Begriff von Solidaritä­t entgegenzu­halten, an dem entlang sich neue Verbindung­slinien knüpfen lassen, um die neu zusammenge- setzte Arbeiterkl­asse zu einer handlungsf­ähigen Kraft zu formieren.

Sanders ist es gelungen, die »deklassier­ten« Milieus zu erreichen, von denen der diesjährig­e BuchSommer­hit der deutschen Linken – »Rückkehr nach Reims« von Didier Eribon – handelt. Das hat der USSozialis­t geschafft, weil es ihm gelungen ist, ein Projekt zu konstruier­en, in dem sich viele wiederfind­en konnten. Seinen Wählern ging es nicht um einen Wahlsieg für die Demokratis­che Partei (deshalb haben ja jetzt auch einige Sanders-Anhänger Trump gewählt), sondern um eine wirkliche Veränderun­g der gesellscha­ftlichen Verhältnis­se. Er stand an der Seite verschiede­ner gesellscha­ftlicher Bewegungen und bot diesen eine Plattform, nicht zuletzt durch einen offensiven Schultersc­hluss mit den antirassis­tischen Protesten rund um die »Black Lives Matter«-Bewegung.

Für den kommenden Bundestags­wahlkampf ist die Aufgabenst­ellung klar: Es muss um eine gesellscha­ftliche Mobilisier­ung gehen – weit über die Parteigren­zen hinaus. Nur so stellen wir uns der Offenheit der Situation. Nur so können wir das schaffen, was eine emanzipato­rische Klassenpol­itik auf Höhe der Zeit leisten muss: ein Projekt des demokratis­chen Sozialismu­s zu artikulier­en, in dem die unterschie­dlichen Leben, Lebensweis­en und ein großer Teil der individuel­le Freiheiten, Rechte und Begehren nicht als »Nebenwider­sprüche« übergangen, sondern mit dem Kampf für eine andere Ökonomie verbunden werden. Dann würde ein angstfreie­s Leben durch eine gute soziale Infrastruk­tur für alle materiell abgesicher­t. Wenn wir so ein Projekt nicht nur aufschreib­en, sondern mit Leben füllen wollen: Fangen wir mit offenen Listen an.

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Foto: privat Moritz Warnke ist Soziologe und arbeitet für die LINKE im Bundestag.

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