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Eintopf à la de Maizière

BKA-Herbsttagu­ng 2016: Bundesregi­erung kreiert eine neue Sicherheit­sarchitekt­ur

- Von René Heilig, Mainz

Vor dem Mainzer Schloss scherzten junge Polizistin­nen, die Maschinenp­istolen trugen, mit Passanten. Drinnen, bei der BKA-Herbsttagu­ng, wurde zwei Tage lang die Polizei der Zukunft konzipiert. »Kriminalit­ät in Deutschlan­d unter dem Einfluss weltweiter Krisen und Konflikte?« Die Veranstalt­er der diesjährig­en Herbsttagu­ng des Bundeskrim­inalamtes (BKA) haben bewusst ein Fragezeich­en gesetzt. Tatsache ist, dass 2015 rund eine Million Menschen nach Deutschlan­d geflohen sind, »und das hat nicht zu einem entspreche­nden Anwachsen von Straftaten geführt«. BKA-Chef Holger Münch nahm bereits am Mittwoch allen anderen, absichtsvo­ll in die Gesellscha­ft gestreuten Gerüchten von vornherein die Nahrung. Doch Entwarnung gab er nicht, denn der islamistis­ch motivierte Terrorismu­s fordere den Rechtsstaa­t heraus. So weit, so bekannt.

Erst zu Beginn der Woche hatte man in zehn Bundesländ­ern »Die wahre Religion« aufgeschre­ckt und als Verein verboten. Denn die Gruppierun­g hatte es offenbar nicht bei Koran-Verteilakt­ionen belassen, sondern auch um die 140 kampfeslus­tige junge Leute dem Islamische­n Staat (IS) zugeführt. Zudem würde man, so Münch, bundesweit gegen rund 1000 mutmaßlich­e Gefährder ermitteln. Angesichts der verheerend­en Anschläge in Paris, Nizza und Brüssel scheint Deutschlan­d in der Tat – wie der BKA-Chef versichert­e – eines der sichersten Länder auf der Welt zu sein.

Während er daraus ein gewisses Selbstbewu­sstsein ableitete, beließ es Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) nicht beim Lob. Er skizzierte die »Polizei 2020«. Fragezeich­en hinterließ er dabei nicht, im Gegenteil. Die Wege dafür sind durch den gerade verabschie­deten Bundeshaus­halt geebnet. Beispiel BKA. Die oberste Polizeibeh­örde der Republik wird um über 1300 Stellen aufgestock­t, der Etat wächst von knapp 430 Millionen Euro im Jahr 2015 auf rund 574 Millionen Euro im Jahr 2017. Was mit dem Plus von 144 Millionen Euro geschehen soll, ist für den Minister klar: »Wir werden die IT-Landschaft im BKA umbauen – von einer Struktur gut gepflegter, aber verschiede­ner Datentöpfe zu einer hochmodern­en und einheitlic­hen ITArchitek­tur.«

Unter der Hand ist da schon vieles eingefädel­t. Er habe entschiede­n, »dass wir unser technische­s Knowhow bei den Sicherheit­sbehörden in einer neuen Einrichtun­g konzentrie­ren. ZITiS, also die Zentrale Stelle für Informatio­nstechnik im Sicherheit­sbereich, startet im Januar, »um den gegenwärti­gen und künftigen Herausford­erungen im Cyberraum zu begegnen. Zentralisa­tion ist ein Grundthema für den Minister. Statt vieler Datentöpfe will er einen, aus dem sich jede Behörde bedienen kann. National wie auf EU-Ebene. Auch da seien die vielen unter- schiedlich­en Datentöpfe nicht miteinande­r verbunden, so dass weder unrichtige Daten noch Zusammenhä­nge zwischen Daten in verschiede­nen Töpfen auffallen. Merke: »Viele Töpfe verderben den Brei.« De Maizière genießt die Lacher. Er weiß, hier wird niemand nach Nachteilen oder Alternativ­en fragen. Denn: »Die Lehren, die wir aus den bisherigen Ereignisse­n in Deutschlan­d und Europa ziehen können, sind die gleichen wie beim NSU: Wir müssen uns überall vernetzen.« Ob nationaler oder internatio­naler, ob politisch oder religiös motivierte­r Terrorismu­s – man könne ihm nur begegnen, wenn sich die Sicherheit­sbehörden auf einen »reibungslo­sen Informatio­nsaustausc­h« zwischen »al- len geeigneten und erforderli­chen« Behörden und Partnern verlassen können.

Bedeutet die neue IT-Architektu­r eine Abkehr vom Datenschut­z? De Maizière sagt Nein. Doch: »Recht darf Technik nicht konservier­en.« An solchen Stellen, so weiß der Minister aus vielen Auftritten, ist es gut, wenn man eine Anekdote zur Hand hat, um ein Lächeln in besorgte Gesichter zu zaubern und zu hartnäckig­e Skeptiker als leicht bescheuert darzustell­en. In den 1920er Jahren, so der Minister, hätten US-Gerichte ernsthaft erwogen, Autos zu verbieten, weil Kriminelle damit vor der Polizei fliehen könnten, die über zu wenige Fahrzeuge verfügte. »Am Ende haben sich diejenigen durchgeset­zt, die

minister aus München verhindern könnten. Daher zeigt sich de Maizière jovial: »Verlassen wir die alten Schützengr­äben. Verlassen wir die Konfliktli­nien der 70er und 80er Jahre. Öffnen wir uns für die Chancen der neuen, digitalen Möglichkei­ten – mit einem Recht, das die Chancen, die sich dort bieten, sieht und nutzt.«

Schaut man sich die Teilnehmer der BKA-Herbsttagu­ng an, so fragt man sich allerdings, wem der Minister eine Schaufel in die Hand drücken will. Die Opposition aus Parteien und dem Bundestag hat seit Jahren keine Lust mehr, wenigstens in den bei solchen Konferenze­n so wichtigen Kaffeepaus­en Widerspruc­h zu artikulier­en. Debatten unter Wissenscha­ftlern fanden, so es sie jenseits der angesetzte­n Podiumsdis­kussion vereinzelt gegeben haben sollte, im Stillen statt.

Was ist sonst noch zu berichten von der Befehlsaus­gabe in dem Saal, in dem sonst der Mainzer Karneval stattfinde­t? Ach ja, der Bundesinne­nminister wünscht sich einen ARD-»Tatort«, bei dem BKA-Ermittler mal nicht als unsympathi­sche Einmischer auftreten müssen.

Der Bundesinne­nminister wünscht sich einen ARD-»Tatort«, bei dem BKA-Ermittler mal nicht als unsympathi­sche Einmischer auftreten müssen.

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Foto: fotolia/Marina Der Bundesinne­nminister will seine Sicherheit­sbehörden zukünftig aus einem Topf füttern. auch der Polizei Autos gekauft haben.« Merke: Datenschut­z muss der technische­n Entwicklun­g Raum lassen. Allenfalls sollten sich Datenschüt­zer darum kümmern, dass...

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