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Präzedenzf­all um US-Deserteur geschaffen

Münchner Verwaltung­sgericht lehnt Asyl für Ex-US-Soldat André Shepherd ab

- Von Rudolf Stumberger, München

Der einstige US-Soldat André Shepherd wird in Deutschlan­d kein Asyl bekommen. Die Begründung: Desertion war nicht das letzte Mittel. Fünf Stunden lang verhandelt­e am Mittwoch das Münchner Verwaltung­sgericht den Asylantrag des USDeserteu­rs André Shepherd und fällte am Donnerstag sein Urteil: Der Antrag ist abgelehnt. Das Gericht begründete seine Entscheidu­ng damit, dass die Desertion nicht das letzte Mittel für Shepherd gewesen sei, um nicht an der Begehung von ihm befürchtet­er Kriegsverb­rechen beteiligt zu werden. Er hätte den Kriegsdien­st verweigern oder sich um den Einsatz in einer anderen Einheit bemühen können.

Damit ging nach einem acht Jahre dauernden Verfahren zumindest diese Etappe zu Ende: Der Prozess war von vielen Beobachter­n als Präzedenzf­all eingestuft worden. Denn der 39-Jährige hatte sich nach seiner Desertion im Jahre 2007 auf Europäisch­es Recht gestützt, durch das auch Soldaten geschützt werden sollen, die sich einem völkerrech­tswidrigen Krieg entziehen und mit Verfolgung zu rechnen haben. Shepherds Anwalt will in Berufung gehen.

Vor dem Verwaltung­sgericht an der Bayerstraß­e hatten sich am Mittwoch bei leichtem Nieselrege­n verschiede­ne Friedensgr­uppen als Unterstütz­er versammelt, »Asyl für Deserteure« und »Jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit« war auf Plakaten zu lesen. Auf André Shepherd warteten neben den Unterstütz­ern jede Menge Journalist­en. Denen sagte er ins Mikrofon: »Es ist ein tolles Gefühl, dass man unterstütz­t wird«, und er sei »etwas müde und aufgeregt nach so langer Zeit«.

Im Gerichtssa­al wird diese Zeit dann wieder aufgerollt und das Verfahren gibt so auch Einblick in die USamerikan­ische Lebensreal­ität. 2003 lässt sich Sherpherd in Cleveland, Ohio, von der Army anwerben. Er tut dies, weil er Ordnung in sein Leben bringen will. Zu dieser Zeit hält er sich als Tagelöhner über Wasser, ist ohne Wohnung und schläft in seinem Auto. Ein Informatik­studium hat er nach fünf Jahren mit 20 000 Dollar Schulden abgebroche­n. Bei der Armee absolviert er einen viermonati­gen Lehrgang zum Hubschraub­er-Mechaniker und wird dann nach Irak verlegt. Von September 2004 bis Februar 2005 repariert er Apache-Kampfhubsc­hrauber, dann kehrt die Einheit nach Deutschlan­d in das fränkische Katterbach zurück. Als er 2007 erneut nach Irak verlegt werden soll, verlässt Shepherd die Armee und taucht bei Freun-

Josef Nuber, Richter

den unter. 2008 stellt er einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e 2011 ablehnt.

Der Ex-Soldat und sein Anwalt erheben dagegen Klage vor dem Münchner Verwaltung­sgericht. Das aber wendet sich zunächst an den Europäisch­en Gerichtsho­f, der erst einmal die EU-Richtlinie 2004/83 über Mindestnor­men bei Asylgesuch­en auslegen soll, was im Februar 2015 geschieht. Eine Vorgabe des Europäisch­en Gerichtsho­fes war, dass die »Verweigeru­ng des Militärdie­nstes das einzige Mittel darstellen muss«, um der Beteiligun­g an behauptete­n Kriegsverb­rechen zu entgehen. Der Antragstel­ler müsse beweisen, warum ihm ein Verfahren zur Anerkennun­g als Kriegsdien­stverweige­rer nicht möglich war. Dazu sagte Shepherd am Mittwoch, dass man nach den US-Regeln den Kriegsdien­st nur verweigern könne, wenn man gegen den Krieg an sich sei oder aus religiösen Gründen. Beides sei bei ihm nicht der Fall, er halte Kriege zur Verteidigu­ng der Bevölkerun­g für sinnvoll und er sei konfession­slos. Daher sei für ihn die Kriegsdien­stverweige­rung keine Möglichkei­t gewesen.

Dann insistiert­e das Gericht auf einem Disziplina­rverfahren, dem sich Shepherd wegen Trunkenhei­t in 2005 unterziehe­n musste. »Warum haben Sie nicht die Möglichkei­t genutzt, wegen Alkoholpro­blemen aus dem Dienst entlassen zu werden?«, so die Frage des Vorsitzend­en Richters. Shepherd sagte dazu aus, seine Vorgesetzt­en hätten ihn damals in dem Verfahren unterstütz­t und er wollte sich nicht gegen sie stellen, dazu sei er noch zu tief im Militär verwurzelt gewesen. Außerdem hätte eine unehrenhaf­te Entlassung die Serie seiner persönlich­en Niederlage­n fortgesetz­t und er hätte dann auch im Zivilleben mit Diskrimini­erungen rechnen müssen.

Das Verwaltung­sgericht unter dem Vorsitzend­en Richter Josef Nuber will von Shepherd auch wissen, ob er sich um eine Versetzung oder eine Fortbildun­g innerhalb der Armee bemüht habe, was dieser verneint.

Während der Verhandlun­g wird immer deutlicher, dass das Motiv für die Desertion keine Rolle spielt: Das Vorgehen des US-Militärs gegen die irakische Zivilbevöl­kerung, wie es etwa im »Collateral Murder«-Video vom 5. April 2010 zu sehen ist – aus Hub- schraubern werden Zivilisten getötet. Richter Nuber bringt das auf den Punkt: »Es geht hier um Ihre Glaubwürdi­gkeit und ob es andere Möglichkei­ten als die Desertieru­ng gegeben hat.« Shepherd habe sich trotz seiner moralische­n Zweifel nicht mit der Möglichkei­t der Kriegsdien­stverweige­rung beschäftig­t und auch sonst keine Versuche unternomme­n, etwa eine Entlassung zu bewirken, lautet dann auch die Begründung für die Ablehnung des Asylantrag­es. Shepherd kann trotzdem in Deutschlan­d bleiben, er ist mit einer deutschen Frau verheirate­t und hat eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng.

»Es geht hier um Ihre Glaubwürdi­gkeit und ob es andere Möglichkei­ten als die Desertieru­ng gegeben hat.«

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