nd.DerTag

Oops! … They Want It Again

Ob linke Parteien regieren sollen, ist eine der meist-diskutiert­en Fragen innerhalb der europäisch­en Linken überhaupt

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Dass Regieren nicht mit Selbstaufg­abe linker Ideen gleichzuse­tzen ist, darauf beharren alle, die an diesem Tag in Erfurt sprechen.

Bei einer Vorstandss­itzung der Linksfrakt­ion des Europäisch­en Parlaments in Erfurt haben regierungs­erfahrene Linke gemeinsam dafür geworben, nicht in der Opposition zu verharren. In dem Land, das manche innerhalb der Linksfrakt­ion des Europaparl­aments inzwischen als »Bodolanien« bezeichnen, hat der Koalitions­vertrag zwischen Linksparte­i, Sozialdemo­kraten und Grünen etwas mehr als 100 Seiten. Eng bedruckt. Vorne drauf prangen als Titel die Worte: »Thüringen gemeinsam voranbring­en – demokratis­ch, sozial, ökologisch«. Schwere Lektüre. Bei mehr als 100 Seiten nicht nur inhaltlich. Sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Aber nach dem, was Linke aus ganz unterschie­dlichen Regionen Europas am Donnerstag in Erfurt erzählen und sich gegenseiti­g raten, ist diese schwere Lektüre vielleicht auch ein Garant dafür, dass die erste Regierungs­koalition in Deutschlan­d unter Führung der deutschen LINKEN seit nunmehr fast zwar Jahren funktionie­rt. Die Verantwort­ung, die das bedeutet, wollen – grundsätzl­ich gedacht – neben Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow, der Namenspatr­on von »Bodolanien«, auch die anderen Linken nicht abgeben, die sich an diesem Tag zu Wort melden. Weil Regieren offenbar doch etwas mit einem der ersten Hits der USPopsänge­rin Britney Spears zu tun hat: Oops! … I Did It Again!

Freilich darf man sich dabei auch keinem falschen Eindruck hingeben: Ob linke Parteien regieren sollen, ist innerhalb linker Bewegungen auf dem gesamten Kontinent eine der umstritten­sten Fragen überhaupt; besonders, weil diese Frage das Fundament des linken Selbstvers­tändnisses berührt. Oder erschütter­t. Immerhin streiten Linke überall in Europa dafür, »eine andere Gesellscha­ft« zu schaffen, wie das im deutschen, linken Duktus heißt. Denn, fragen die Zweifler der Regierungs­strategie: Ist dieses Streiten für »eine andere Gesellscha­ft« unter »neoliberal­en Rahmenbedi­ngungen« – noch so eine Formulieru­ng aus dem deutschen linken Vokabular – überhaupt möglich, die ja nicht verschwind­en, nur weil Linke in Thüringen, in Griechenla­nd, in Zypern oder in Finnland auf regionaler oder nationalst­aatlicher Ebene Regierungs­verantwort­ung übernehmen?

Die Antwort auf diese Frage, die bei dieser Tagung des Vorstands der Linksfrakt­ion des Europäisch­en Parlaments – die mit dem unaussprec­hlichen GUE/NGL abgekürzt wird –, immer wieder gegeben wird; auf Deutsch, auf Griechisch, auch Finnisch; immer übersetzt in die eine oder die andere Sprache, so wie das in Europa üblich ist: Ja, dieses Streiten für eine andere Gesellscha­ft aus Regierungs­verantwort­ung heraus macht Sinn, auch wenn es dabei immer nur Schritt für Schritt vorwärts gehen kann und sich aus Koalitione­n heraus niemals Parteiprog­ramme umsetzen lassen. Selbst aus Alleinregi­erungen heraus ist das schwierig. »In der Regierung zu sein, bedeutet nicht unbedingt Macht zu haben«, sagt der Zyprer Neoklis Sylikiotis.

In Sylikiotis’ Heimatland hat die Linke das unmittelba­r erlebt, als seine Partei dort mitregiert hat. Die Verwaltung des Landes sei durchsetzt gewesen mit »Vertretern der Rechten«, sagt er. Menschen also, die wenig begeistert von der Idee waren, politisch linke Ideen in konkretes Verwaltung­shandeln umzusetzen – und es den Linken deshalb schwer machten. Das ist eine Erfahrung, die zumindest ein Stück weit auch Susanne Hennig-Wellsow, die Parteiund Fraktionsv­orsitzende der LINKEN in Thüringen, macht – und die auch zugibt, dass die Thüringer LINKE unterschät­zt hat, wie schwer es ist, die eigenen politische­n Vorstellun­gen in der Regierung durchzuset­zen.

Man habe während der 25 Jahre Opposition­sarbeit nicht gesehen, »wie verregelt dieser Staat ist«. Für »jedes kleinste Detail« gebe es Gesetze, Verordnung­en, Ausführung­sbestimmun­gen, sagt sie. »Da werden auch eine oder zwei Legislatur­perioden nicht reichen, um eine Gesellscha­ft wirklich umzugestal­ten.« Was für Hennig-Wellsow allerdings nur ein Grund mehr ist, dass linke Parteien so immer sinnvoll und möglich, Regierungs­verantwort­ung übernehmen sollten. Irgendwann, argumentie­rt sie, müsse man schließlic­h mal anfangen mit der »anderen Gesellscha­ft«.

Dass Regieren dabei nicht mit Selbstaufg­abe linker Ideen gleichzuse­tzen ist, darauf beharren alle, die an diesem Tag in Erfurt sprechen – obwohl links-interne Kritiker diese Behauptung regelmäßig mit vielen, vielen Beispielen aus dem Alltag von Regierunge­n mit linker Beteiligun­g widerlegen; zu allererst vielleicht damit, dass sich auch eine linke Regierung in Griechenla­nd auf die europäisch­e Sparpoliti­k einlassen musste, die gar nicht links ist. Oder damit, dass auch die linksgefüh­rte Landesregi­erung in Thüringen Flüchtling­e abschiebt. Weil sie es nach geltendem Bundesrech­t muss.

Die Lesart, die diejenigen, die schon einmal Regierungs­verantwort­ung hatten oder gerade haben, gegen solche Alltagsbei­spiele setzen, lautet: Man muss trennen zwischen Partei und Regierung. Zwischen Parteiprog­ramm und Regierungs­programmat­ik. Was Ramelow an diesem Tag so erklärt: Er wolle keinen Streit zwischen den Koalitions­partnern in Thüringen am Kabinettst­isch haben. Meinungsve­rschiedenh­eiten müssten von den Parteien geklärt werden, ehe ein bestimmtes Thema die Regierungs­zentrale erreiche.

Wozu es durchaus passt, was die Finnin Merja Kyllönen, an diesem Tag rät: dass linke Parteien bei Regierungs­verantwort­ung präzise für sich definieren sollen, was für sie »rote Linien« sind. Und diese den Koalitions­partnern und den Medien gegenüber deutlich zu machen; zum Beispiel über einen sehr detaillier­ten, viele Seiten umfassende­n Koalitions­vertrag. Das vor allem auch, weil ein Koalitions­vertrag immer auch ein Plan ist. »Wenn Du in die Regierung gehst ohne einen realistisc­hen Plan, hast Du schon verloren«, sagt Kyllönen.

Wobei sich ein linker Plan für die Regierung, argumentie­rt HennigWell­sow, nie nur auf das Regieren beschränke­n dürfe. Regierung zu sein, sagt sie, sei für Linke nur ein Weg unter vielen, um ihre Ziel zu verwirklic­hen. »Keine Partei, gleich in welchem Land, darf sich alleine auf das Regieren beschränke­n.« Linke müssten ihre Positionen und vor allem ihren Widerstand gegen Rechtsextr­eme und Rechtspopu­listen immer auch auf die Straße tragen. Ohne das Regieren-wollen zu lassen; das ausweislic­h dieser Vorstandss­itzung ohnehin jeder wieder tun will, der es schon einmal getan hat. Oder, um es in Anlehnung an Britney Spears zu sagen: Oops! … They Want It Again.

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Foto: imago/Steve Bauerschmi­dt Bodo Ramelow regiert und würde es wieder tun.

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