Oops! … They Want It Again
Ob linke Parteien regieren sollen, ist eine der meist-diskutierten Fragen innerhalb der europäischen Linken überhaupt
Dass Regieren nicht mit Selbstaufgabe linker Ideen gleichzusetzen ist, darauf beharren alle, die an diesem Tag in Erfurt sprechen.
Bei einer Vorstandssitzung der Linksfraktion des Europäischen Parlaments in Erfurt haben regierungserfahrene Linke gemeinsam dafür geworben, nicht in der Opposition zu verharren. In dem Land, das manche innerhalb der Linksfraktion des Europaparlaments inzwischen als »Bodolanien« bezeichnen, hat der Koalitionsvertrag zwischen Linkspartei, Sozialdemokraten und Grünen etwas mehr als 100 Seiten. Eng bedruckt. Vorne drauf prangen als Titel die Worte: »Thüringen gemeinsam voranbringen – demokratisch, sozial, ökologisch«. Schwere Lektüre. Bei mehr als 100 Seiten nicht nur inhaltlich. Sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Aber nach dem, was Linke aus ganz unterschiedlichen Regionen Europas am Donnerstag in Erfurt erzählen und sich gegenseitig raten, ist diese schwere Lektüre vielleicht auch ein Garant dafür, dass die erste Regierungskoalition in Deutschland unter Führung der deutschen LINKEN seit nunmehr fast zwar Jahren funktioniert. Die Verantwortung, die das bedeutet, wollen – grundsätzlich gedacht – neben Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der Namenspatron von »Bodolanien«, auch die anderen Linken nicht abgeben, die sich an diesem Tag zu Wort melden. Weil Regieren offenbar doch etwas mit einem der ersten Hits der USPopsängerin Britney Spears zu tun hat: Oops! … I Did It Again!
Freilich darf man sich dabei auch keinem falschen Eindruck hingeben: Ob linke Parteien regieren sollen, ist innerhalb linker Bewegungen auf dem gesamten Kontinent eine der umstrittensten Fragen überhaupt; besonders, weil diese Frage das Fundament des linken Selbstverständnisses berührt. Oder erschüttert. Immerhin streiten Linke überall in Europa dafür, »eine andere Gesellschaft« zu schaffen, wie das im deutschen, linken Duktus heißt. Denn, fragen die Zweifler der Regierungsstrategie: Ist dieses Streiten für »eine andere Gesellschaft« unter »neoliberalen Rahmenbedingungen« – noch so eine Formulierung aus dem deutschen linken Vokabular – überhaupt möglich, die ja nicht verschwinden, nur weil Linke in Thüringen, in Griechenland, in Zypern oder in Finnland auf regionaler oder nationalstaatlicher Ebene Regierungsverantwortung übernehmen?
Die Antwort auf diese Frage, die bei dieser Tagung des Vorstands der Linksfraktion des Europäischen Parlaments – die mit dem unaussprechlichen GUE/NGL abgekürzt wird –, immer wieder gegeben wird; auf Deutsch, auf Griechisch, auch Finnisch; immer übersetzt in die eine oder die andere Sprache, so wie das in Europa üblich ist: Ja, dieses Streiten für eine andere Gesellschaft aus Regierungsverantwortung heraus macht Sinn, auch wenn es dabei immer nur Schritt für Schritt vorwärts gehen kann und sich aus Koalitionen heraus niemals Parteiprogramme umsetzen lassen. Selbst aus Alleinregierungen heraus ist das schwierig. »In der Regierung zu sein, bedeutet nicht unbedingt Macht zu haben«, sagt der Zyprer Neoklis Sylikiotis.
In Sylikiotis’ Heimatland hat die Linke das unmittelbar erlebt, als seine Partei dort mitregiert hat. Die Verwaltung des Landes sei durchsetzt gewesen mit »Vertretern der Rechten«, sagt er. Menschen also, die wenig begeistert von der Idee waren, politisch linke Ideen in konkretes Verwaltungshandeln umzusetzen – und es den Linken deshalb schwer machten. Das ist eine Erfahrung, die zumindest ein Stück weit auch Susanne Hennig-Wellsow, die Parteiund Fraktionsvorsitzende der LINKEN in Thüringen, macht – und die auch zugibt, dass die Thüringer LINKE unterschätzt hat, wie schwer es ist, die eigenen politischen Vorstellungen in der Regierung durchzusetzen.
Man habe während der 25 Jahre Oppositionsarbeit nicht gesehen, »wie verregelt dieser Staat ist«. Für »jedes kleinste Detail« gebe es Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen, sagt sie. »Da werden auch eine oder zwei Legislaturperioden nicht reichen, um eine Gesellschaft wirklich umzugestalten.« Was für Hennig-Wellsow allerdings nur ein Grund mehr ist, dass linke Parteien so immer sinnvoll und möglich, Regierungsverantwortung übernehmen sollten. Irgendwann, argumentiert sie, müsse man schließlich mal anfangen mit der »anderen Gesellschaft«.
Dass Regieren dabei nicht mit Selbstaufgabe linker Ideen gleichzusetzen ist, darauf beharren alle, die an diesem Tag in Erfurt sprechen – obwohl links-interne Kritiker diese Behauptung regelmäßig mit vielen, vielen Beispielen aus dem Alltag von Regierungen mit linker Beteiligung widerlegen; zu allererst vielleicht damit, dass sich auch eine linke Regierung in Griechenland auf die europäische Sparpolitik einlassen musste, die gar nicht links ist. Oder damit, dass auch die linksgeführte Landesregierung in Thüringen Flüchtlinge abschiebt. Weil sie es nach geltendem Bundesrecht muss.
Die Lesart, die diejenigen, die schon einmal Regierungsverantwortung hatten oder gerade haben, gegen solche Alltagsbeispiele setzen, lautet: Man muss trennen zwischen Partei und Regierung. Zwischen Parteiprogramm und Regierungsprogrammatik. Was Ramelow an diesem Tag so erklärt: Er wolle keinen Streit zwischen den Koalitionspartnern in Thüringen am Kabinettstisch haben. Meinungsverschiedenheiten müssten von den Parteien geklärt werden, ehe ein bestimmtes Thema die Regierungszentrale erreiche.
Wozu es durchaus passt, was die Finnin Merja Kyllönen, an diesem Tag rät: dass linke Parteien bei Regierungsverantwortung präzise für sich definieren sollen, was für sie »rote Linien« sind. Und diese den Koalitionspartnern und den Medien gegenüber deutlich zu machen; zum Beispiel über einen sehr detaillierten, viele Seiten umfassenden Koalitionsvertrag. Das vor allem auch, weil ein Koalitionsvertrag immer auch ein Plan ist. »Wenn Du in die Regierung gehst ohne einen realistischen Plan, hast Du schon verloren«, sagt Kyllönen.
Wobei sich ein linker Plan für die Regierung, argumentiert HennigWellsow, nie nur auf das Regieren beschränken dürfe. Regierung zu sein, sagt sie, sei für Linke nur ein Weg unter vielen, um ihre Ziel zu verwirklichen. »Keine Partei, gleich in welchem Land, darf sich alleine auf das Regieren beschränken.« Linke müssten ihre Positionen und vor allem ihren Widerstand gegen Rechtsextreme und Rechtspopulisten immer auch auf die Straße tragen. Ohne das Regieren-wollen zu lassen; das ausweislich dieser Vorstandssitzung ohnehin jeder wieder tun will, der es schon einmal getan hat. Oder, um es in Anlehnung an Britney Spears zu sagen: Oops! … They Want It Again.