Erdogan bastelt an der Alleinherrschaft
Parlament soll Referendum zu einer Verfassung beschließen, die die Rechte des türkischen Präsidenten ausbaut
Ministerpräsident Yildirim sagt, die Verfassungsreform würde gar nicht soviel ändern. Damit steht er allerdings ziemlich allein da. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan will eine Art Superpräsidentschaft. Dies geht aus dem Entwurf einer Verfassungsänderung hervor, den die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) übermittelte und der durch die Istanbuler Zeitung »Hürriyet« bekannt wurde. Der Entwurf umfasst 14 Punkte, die die Befugnisse und die Amtszeit des Präsidenten betreffen.
Im Vorfeld hatte Ministerpräsident Binali Yildirim versucht, die Verfassungsänderung herunterzuspielen. Die Änderungen seien nicht groß und stellten außerdem nur eine Anpassung der Verfassung an den tatsächlich bestehenden Zustand dar. Da mag durchaus etwas dran sein, denn mit Hilfe der AKP, der er als Staatspräsident nicht mehr angehören darf, die ihm aber trotzdem treu ergeben ist, setzte sich Erdogan bereits über viele Einschränkungen des Präsidentenamtes einfach hinweg.
Parteipolitische Abstinenz braucht Erdogan nach dem Entwurf auch auf dem Papier nicht mehr zu üben. Außerdem darf er dann auch offiziell, was er längst tut, die Mitglieder des Kabinetts auswählen. Die Vereinbarkeit von Parteimitgliedschaft und Präsidentenamt bedeutet dann auch, dass er sich zum Parteichef wählen lassen kann und damit auch entscheidet, wer auf die Wahllisten seiner Partei kommt.
Außerdem soll der Präsident künftig die Hälfte der Verfassungsrichter ernennen, die andere Hälfte das Parlament. Die Rektoren der Universitäten wird der Präsident, wie jetzt schon unter dem Ausnahmerecht, nach Gutdünken einsetzen können.
Eine Untersuchung gegen den Präsidenten bedarf zukünftig einer Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten, ein Gerichtsverfahren gegen ihn sogar einer Dreiviertelmehrheit. Die Amtszeit des Präsidenten soll maximal zwei Amtsperioden von jeweils fünf Jahren betragen. Doch das zählt erst ab der nächsten Wahl 2019, so dass Erdogan, die Wiederwahl vorausgesetzt, bis 2029 im Amt bleiben könnte. Dann wäre er 75 Jahre alt. Dabei besitzt ein türkischer Präsident bereits jetzt eine große Machtfülle. Der Entwurf soll nun von einer Kommission unter dem Vorsitz von Abdülhamit Gül (AKP) und Mehmet Parsak beraten werden, ehe er an das Parlament geht. Aus der MHP wird allerdings kolportiert, dass die Partei keine so umfassende Erweiterung der Rechte des Präsidenten will. Einige Abgeordnete sind sogar grundsätzlich gegen die Einführung eines Präsidialsystems. Daher ist es nicht sicher, dass alle MHP-Abgeordneten dafür sind. Somit wackelt die 60-Prozent-Mehrheit, die im Parlament er- forderlich ist, damit ein Referendum über die Verfassungsreform angesetzt werden kann.
Trotz dieser Unwägbarkeiten war Erdogan seinem Ziel der Einführung eines Präsidialsystems noch nie so nahe wie jetzt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Republikanische Volkspartei nannte das neue System eine Diktatur und kündigte Widerstand an. Erdogans heftigster Kritiker unter den Parteiführern, Selahattin Demirtas von der Demokratische Partei der Völker, konnte sich nicht äußern, denn er befindet sich derzeit in Isolationshaft im Gefängnis.
Einen schlimmeren Vergleich als Erdogan selbst könnte aber auch der scharfzüngige Anwalt Demirtas für Erdogans Pläne nicht finden. Vor Monaten auf einer Pressekonferenz danach gefragt, welche Beispiele aus anderen Ländern es für das von ihm angestrebte Präsidialsystem denn noch gebe, antwortete Erdogan: »Es gibt aktuell Beispiele in der Welt und auch Beispiele in der Vergangenheit. Wenn sie an Hitler-Deutschland denken, haben sie eines.«