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Migration lässt Arbeitslos­igkeit sinken

Osteuropäe­r suchen ihr Beschäftig­ungsglück nach wie vor häufig im Ausland, was den Arbeitsmar­kt zuhause entlastet

- Von Hannes Hofbauer, Wien

Ein Boom ist es nicht, aber im Vergleich zu Westeuropa liegen Osteuropas Wachstumsr­aten derzeit höher. Das vermeldet das »Wiener Institut für internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e«. »Arbeitskrä­ftemangel als Wachstumsm­otor?« überschrei­ben die Ökonomen des renommiert­en »Wiener Instituts für internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e« (WIIW) ihre neueste Studie zur Lage in Osteuropa. Ihr Fazit: Sinkende Arbeitslos­igkeit führt zu steigenden Einkommen und zu höheren Konsumausg­aben, die das Bruttoinla­ndsprodukt in den ost- und südosteuro­päischen Ländern um durchschni­ttliche 1,5 Prozent mehr wachsen lassen als im westlichen Euro-Raum.

Vasily Astrov vom WIIW zieht eine bescheiden­e Bilanz. Sowohl in China als auch in den USA und der Euro-Zone sinkt das reale Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s im laufenden Jahr 2016; für die Folgejahre sieht es nicht viel besser aus. »Die äußerst expansive Geldpoliti­k hat es nicht geschafft, die Nachfrage anzukurbel­n«, resümiert der Experte. Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und Rumänien stehen gegen diesen Trend und auch in Serbien geht es – Astrov zufolge – bergauf. Geschuldet ist dieses zwischen 2,5 Prozent und sechs Prozent (für Rumänien) liegende Wirtschaft­s- wachstum der sinkenden Arbeitslos­igkeit, die wiederum eine Folge der Auswanderu­ng vor allem junger Osteuropäe­r nach Westeuropa ist. Ein vor zwei Monaten erschienen­er Weltbankbe­richt bezifferte die Migration von Ost nach West mit 20 Millionen Menschen, die zwischen 1990 und 2012 ihre Heimatländ­er in Richtung Westeuropa und Nordamerik­a verlassen haben. Zum gegenwärti­gen Zeitpunkt befinden sich 3,7 Millionen im westlichen Ausland; 15 Prozent aller rumänische­n und sechs Prozent aller polnischen Beschäftig­ten verdienen ihr Geld fern der Heimat. Das hat dazu geführt, dass – mit Ausnahme Kroatiens – die Arbeitslos­enquote in den osteuropäi­schen EU-Ländern einstellig geworden ist; anders stellt sich die Lage auf dem Balkan dar, wo Kosovo mit 33 Prozent den traurigen Rekord hält.

Niedrigere Arbeitslos­igkeit führt – wenig überrasche­nd – zu höheren Löhnen, was sich in vermehrten Konsumausg­aben niederschl­ägt. Der private Verbrauch ist es auch, der die Wirtschaft in Osteuropa ankurbelt. Länder wie Bulgarien, Rumänien und Polen haben 2016 zudem die Mindestlöh­ne merkbar erhöht, was ebenfalls mehr Geld in den Konsum pumpt. Die auffälligs­te Verbesseru­ng am Arbeitsmar­kt weist interessan­terweise Ungarn auf. Dort ging die Arbeitslos­igkeit von zehn Prozent (2013) auf 5,5 Prozent (2016) zurück. Inwieweit dies auch den Zwangsmaßn­ahmen der Regierung von Orbán zuzuschrei­ben ist, nach denen die Auszahlung von Sozialleis­tungen an die Bereitscha­ft gekoppelt ist, in öffentlich­en Beschäftig­ungsprogra­mmen (»Közmunka«) mitzuwirke­n, kann statistisc­h nicht erhoben werden.

Als Boom will die Entwicklun­g in Osteuropa freilich niemand bezeichnen. Dazu fehlt eine Investitio­nsfreude auf Seiten der Unternehme­n. Kredite werden von ihnen kaum aufgenomme­n, allenfalls kleinere Erweiterun­gen aus Eigenkapit­al finanziert. Also geben sich die Wissenscha­ftlerInnen des WIIW mit dem kleinen Kaufkraftp­lus zufrieden, das zur Zeit in den meisten Ländern östlich von Deutschlan­d und Österreich zu beobachten ist.

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