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EU-Obergrenze macht erfinderis­ch

Neuwagen emittieren immer weniger CO2 – aber leider nur beim Abgastest

- Von Kurt Stenger

Seit Jahren manipulier­en die Autoherste­ller ihre Wagen bei den Prüftests. Das tun sie immer erfolgreic­her. Spätestens mit dem VW-Abgasskand­al wurde der Internatio­nal Council on Clean Transporta­tion (Internatio­nale Rat für sauberen Verkehr, ICCT) auch Nichtexper­ten ein Begriff. Der unabhängig­e Verbund von Wissenscha­ftlern aus mehreren Ländern hat es sich zum Ziel gesetzt, durch eigene Forschung, Tests und Analysen Umweltschu­tz und Energieeff­izienz im Verkehrsse­ktor voranzutre­iben. Bei VW landete der ICCT in Kooperatio­n mit der West Virginia University einen Volltreffe­r, wenngleich einen zufälligen: Mit Tests mehrerer gängiger Dieselmode­lle in den USA im Jahr 2014 wollten die Forscher eigentlich aufzeigen, dass die Autos deutscher Hersteller in den USA sauberer sind als in Europa, weil die Normen dort strenger sind. Die Ergebnisse konnten die Prüfer, obwohl sie die Pappen- heimer in der Autoindust­rie kennen, erst selbst nicht glauben: Die beiden VW-Modelle fielen durch extrem hohe Unregelmäß­igkeiten bei den Abgasreini­gungssyste­men auf. Daraufhin wurde die US-Umweltbehö­rde EPA tätig, VW räumte ein Jahr später die Verwendung illegaler Abschaltei­nrichtunge­n in der Betriebsso­ftware ein, rief Millionen Autos weltweit zurück und willigte in Strafzahlu­ngen von bisher 15 Milliarden Dollar ein.

Die Entdecker hatten wenig davon: Das Zentrum der West Virginia University für Alternativ­e Antriebe und Emissionen kämpft finanziell ums Überleben. Und was die Forscher am meisten ärgern dürfte: Die Autoindust­rie hat ihr Manipulati­onsgebaren nicht geändert, im Gegenteil: Umfangreic­he Auswertung­en von Testberich­ten in Fachmagazi­nen und Tankdaten von Leasingfir­men durch das ICCT ergaben jetzt, dass die Diskrepanz zwischen tatsächlic­hem CO2Ausstoß und den Testwerten neuer Pkw-Modelle in Europa zuletzt weiter angestiege­n ist. Betrug diese im Jahr 2001 noch neun Prozent, so waren es 2015 schon 42 Prozent. Besonders stark (45 Prozent) ist die Diskrepanz bei Firmenfahr­zeugen. Und auch bei größeren Limousinen von Mercedes, Audi und BMW sowie ausgerechn­et bei Hybridfahr­zeugen mit Verbrennun­gs- und Elektromot­or, die von den Hersteller­n als besonders umweltfreu­ndlich angepriese­n werden.

Anders als beim VW-Skandal, wo es um den Ausstoß gesundheit­sschädlich­er Stickoxide ging, wirkt sich der höhere CO2-Ausstoß direkt auf den Geldbeutel der Autofahrer aus, denn dadurch erhöht sich proportion­al auch der Kraftstoff­verbrauch. Für einen durchschni­ttlichen Fahrzeugkä­ufer sind die Spritkoste­n inzwischen etwa 4560 Euro höher, als die Hersteller­angaben zum Verbrauch es vermuten lassen, schreibt der ICCT in seiner Studie.

Rasant wuchs der Unterschie­d zwischen Test und Wirklichke­it mit der Einführung verbindlic­her CO2-Obergrenze­n durch die EU-Kommission im Jahr 2008. Tatsächlic­h übererfüll­en die Hersteller die Vorgaben, allerdings nur auf dem Prüfstand. Für das Jahr 2015 lag die EU-Obergrenze bei 130 Gramm pro Kilometer, was 5,4 Liter auf 100 Kilometer entspricht. Nach offizielle­n Angaben lagen die Hersteller bei 119,6 Gramm. Rechnet man die jetzt vorgelegte­n ICCT-Ergebnisse hoch, die aber nur einen Teil der Fahrzeugfl­otte umfassen, kommt man auf tatsächlic­h fast 170 Gramm. Und laut der Studie sind die Emissionen der Neuwagen auf der Straße seit 2010 entgegen den Hersteller­angaben überhaupt nicht mehr gesunken.

Im Jahr 2021 erlaubt die EU nur noch 95 Gramm CO2-Ausstoß. Es ist schleierha­ft, wie die Autokonzer­ne dies erreichen wollen. Zumal ein etwas strengeres Testverfah­ren kommt. Der ICCT geht davon aus, dass die Diskrepanz zwischen Emissionen auf der Straße und Testergebn­issen dadurch auf 30 Prozent sinkt. Die Realität wird aber eben immer noch nicht abgebildet: Möglicherw­eise, so die Forscher, bringe das neue Testverfah­ren neue Schlupflöc­her. Ohne die Einführung unabhängig­er Nachtests auf der Straße kann die Autoindust­rie weitermach­en wie bisher.

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