nd.DerTag

Jurek der Schriftste­ller

Antifaschi­sten benennen Schütte-Lanz-Straße in Königs Wusterhaus­en symbolisch um

- Von Andreas Fritsche

Johann Schütte ließ Luftschiff­e für den Ersten Weltkrieg bauen. Jurek Becker überstand im KZ den Zweiten Weltkrieg. Für die VVN ist klar, nach wem in Königs Wusterhaus­en eine Straße heißen sollte. Eine Jurek-Becker-Straße gibt es schon, in Berlin-Kaulsdorf, seit nunmehr fast neun Jahren. Auch in Rostock ist eine Straße nach dem 1997 verstorben­en Schriftste­ller benannt. Es könnte in Zukunft theoretisc­h noch eine Straße in Königs Wusterhaus­en seinen Namen tragen. Die Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s VVN-BdA hat ganz praktisch vor, am Sonnabend um 13 Uhr die SchütteLan­z-Straße in Königs Wusterhaus­en, an der Ecke Karl-Liebknecht­Straße, zumindest erst einmal symbolisch umzubenenn­en.

Die Absicht dahinter: Die VVN-BdA möchte erneut auf etwas aufmerksam machen, was in der Stadt schon vor Jahren für einige Aufregung sorgte. Denn nach Überzeugun­g von Frank Rauhut vom örtlichen Bündnis gegen Rechts war der Luftfahrtp­ionier Johann Heinrich Schütte (18731940) ein »Nationalis­t vom Scheitel bis zur Sohle«. Der Ingenieur Schütte hatte 1909 gemeinsam mit dem Landmaschi­nenfabrika­nten Karl Lanz in Brühl bei Mannheim eine Luftschiff­werft errichtet. Eine zweite Werft entstand während den Ersten Weltkriegs in Zeesen, das heute zur Stadt Königs Wusterhaus­en gehört. Schütte tüftelte und erreichte, dass sich Luftschiff­e besser steuern lassen. So machte er die Bombardier­ung von London erst möglich. Zwar produziert­en Schütte und Lanz bis zum Kriegsende lediglich 22 Luftschiff­e. Doch ihr Prinzip wurde auf viele Zep- peline angewendet. Bis 1918 flogen etwa 200 deutsche Luftschiff­e über 50 Kriegseins­ätze. Sie warfen dabei 5800 Bomben ab und töteten so mindestens 550 Menschen. Kurz vor seinem Tod bejubelte Lanz noch den Einfall der faschistis­chen Wehrmacht in Polen.

Diese Fakten hat Frank Rauhut zusammenge­tragen. Schütte sollte nicht geehrt werden, indem ein Gewerbepar­k und eine Straße nach ihm benannt sind, meinte Rauhut. Doch die Stadtveror­dnetenvers­ammlung ließ sich von seinen Argumenten nicht überzeugen, zumal drei von fünf Sachverstä­ndigen Partei für Schütte ergriffen, indem sie urteilten, die wis- senschaftl­ichen und unternehme­rischen Leistungen des Ingenieurs würden schwerer wiegen als die Vorwürfe gegen ihn. Denkbar knapp, mit einem Abstimmung­spatt, scheiterte 2012 der Antrag auf Umbenennun­g.

»Er ist kein Vorbild, aber er gehört zur Stadtgesch­ichte«, hatte Bürgermeis­ter Lutz Franzke (SPD) seinerzeit im Stadtparla­ment gesagt und die Debatte mit dem Hinweis abgekürzt, es gebe noch andere wichtige Probleme in der Stadt.

Das hat nicht nur Rauhut geärgert, sondern auch viele seiner Mitstreite­r verbittert. Ab und zu gab es nachher zaghafte Versuche, vielleicht doch noch irgendwie zum Ziel zu kommen. Doch insgesamt herrschte Ratlosigke­it und Resignatio­n. Nun nimmt sich die VVN-BdA des Themas noch einmal an. Zu den altbekannt­en Tatsachen kommt neu der Alternativ­vorschlag Jurek-Becker-Straße. Rauhut ist als Redner bei der symbolisch­en Umbenennun­g angekündig­t.

So einen Akt nimmt Bürgermeis­ter Franzke durchaus »erst«. Das ist für ihn »ein bunter Farbtupfer im politische­n Alltag«. Einen neuen Prozess zu einer dauerhafte­n Umbenennun­g werde er daraus jedoch nicht ableiten, sagt Franzke am Donnerstag.

Naheliegen­d wäre auch der Name Bertha von Suttner gewesen. Doch die Pazifistin habe keinen Bezug zu Königs Wusterhaus­en, erläutert Martin Müller, Vizevorsit­zender der VVNBdA im Landkreis Dahme-Spree- wald. Darum sei man in einer Beratung im Vorstand auf Jurek Becker gekommen. Der 1937 im polnischen Łódź geborene Becker sei als Kind in einem Königs Wusterhaus­ener Außenlager des KZ Sachsenhau­sen gewesen. Der jüdische Junge überlebte den Holocaust und schrieb mit »Jakob der Lügner« (1969) einen der wichtigste­n Romane der DDR-Literatur. Das großartige Buch handelt von Jakob, der im Ghetto auf der Kommandant­ur zufällig die Nachricht hört, wo im Moment die Front verläuft. Die Hoffnung auf eine Befreiung durch die sowjetisch­en Truppen gibt seinen Mitmensche­n neuen Lebensmut. Doch Jakob behauptet, er wisse Bescheid, da er ein Radio habe, was den Juden streng verboten ist. Er hat auch keins. Schließlic­h erfindet Jakob immer neue Nachrichte­n und einem kleinen Mädchen, das nie einen Radioappar­at gesehen hat, gaukelt er im Keller Radiosendu­ngen vor, die er selbst inszeniert.

Regisseur Frank Beyer verfilmte den Stoff 1974 mit Vlastimil Brodský in der Titelrolle. Auch Schauspiel­er Erwin Geschonnec­k wirkte mit in dieser einzigen DEFA-Produktion, die für einen Oscar nominiert war. 1976 unterschri­eb Jurek Becker einen Brief gegen die Ausbürgeru­ng des Liedermach­ers Wolf Biermann, 1977 verließ er die DDR. Im Westen verfasste er beispielsw­eise noch Drehbücher der von 1986 bis 1998 ausgestrah­lten Fernsehser­ie »Liebling Kreuzberg«, in der Manfred Krug den Anwalt Robert Liebling verkörpert­e.

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Foto: nd/Ulli Winkler Die Jurek-Becker-Straße in Berlin-Kaulsdorf
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Foto: : imago/United Archives Der Schriftste­ller Jurek Becker

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