Notfalls werden Streikbrecher eingeflogen
Betriebsräte klagen auf einer Konferenz ihr Leid, erzählen aber auch Erfolgsgeschichten vom Kampf um Tariflöhne
Nur 23 Prozent der brandenburgischen Unternehmen sind tarifgebunden. »Wir brauchen einen Vorwärtsruck«, sagt Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Keine Fördermittel mehr an Firmen, die »nur absahnen und ihre Mitarbeiter nicht anständig bezahlen wollen«, fordert Katrin Grösch, Betriebsrätin bei der Bosch-SiemensHausgeräte GmbH in Nauen. Aktuell zählt das Waschmaschinenwerk in Nauen 450 Beschäftigte. Dazu kommen 160 schlechter bezahlte Leiharbeiter. Die Monteure am Fließband müssen im Schichtbetrieb schuften bis zum Umfallen. Das beklagt Grösch am Donnerstag in der Potsdamer Staatskanzlei bei einer Konferenz mit über 100 Betriebsräten.
Auch andere klagen bei dieser Gelegenheit ihr Leid, etwa Bernhard Küch, Betriebsrat bei der Bekleidungsmarke H&M. Kämpfen für eine anständige Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen, das sagt sich leicht. Aber die Kollegen in der Filiale im Potsdamer Sterncenter können partout nicht streiken. Es nützt ihnen nichts. Der Konzern fliege die Streik- brecher notfalls ein, koste es, was es wolle. Das sei in Baden-Württemberg schon vorgekommen, berichtet Küch.
Tarifverträge sind eine schöne Sache. Der Mindestlohn von 8,50 Euro jetzt und 8,84 Euro ab Januar 2017 hört sich für den Anfang gut an. Aber was tun, wenn Unternehmer aus dem Arbeitgeberverband austreten und Schlupflöcher im Mindestlohngesetz finden?
Man glaube gar nicht, wie viele vor allem kleine Firmen sich heute noch vor der Zahlung des Mindestlohns drücken, sagt Petra Lietzau von der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie. Da sei es schon ein Erfolg, mit der Brandenburger Tapete GmbH in Schwedt ausgehandelt zu haben, dass die 18 Beschäftigten auf Mindestlohniveau bezahlt werden.
Doch auch eine große Kette wie real bereitet Probleme. Im Sommer 2015 wollte real die Tarifbindung lösen mit dem Argument, niemand sonst im Einzelhandel zahle noch Tarif und man selbst könne dies nun gegen die Konkurrenz nicht mehr durchhalten. Das war ein Schock für Andrea Ogiermann, Betriebsrätin im real-Selbstbedienungswarenhaus in Wildau. Auch ihre Kinder arbeiten in der Firma und sie hätte nie gedacht, dass die Jobs und die Existenz einmal auf dem Spiel stehen würden. »In den Verhandlungen saß vor mir ein Vorstand, der am Tag mehr verdient als ich im Monat. Dem musste ich erklären, dass ich nicht basteln, sondern Geschenke kaufen möchte und deshalb mein Weihnachtsgeld benötige.« In den Gesprächen kam heraus, dass real 2018 ins Tarifsystem zurückkehrt. Aber bis dahin werden Andrea Ogiermann, Betriebsrat bei real in Wildau das Weihnachts- und das Urlaubsgeld gekürzt. Im Gegenzug gibt es eine Standortgarantie. Die Filiale in Wildau wird also erst einmal nicht geschlossen, obwohl sie Minus macht. Bedankt haben sich die Kollegen trotzdem nicht bei Ogiermann. Immerhin werde den Leuten doch Geld weggenommen, sagt sie. Den Ärger darüber kann sie verstehen. Bei der Beeskower Holzwerkstoffe GmbH gab es Ärger nach dem Einstieg eines chilenischen Investors. In einer »Nachtund Nebelaktion«, so Betriebsratschef Andreas Kokolsky, sollte kurz vor Weihnachten 2015 der Tariflohn gekippt werden. Die Beschäftigten hätten im neuen Jahr den Salat gehabt. Doch am 15. Dezember bekam der Betriebsrat Wind davon und am nächsten Morgen versammelte sich die Belegschaft zum Warnstreik am Werkstor. Die Rückkehr zum Tarif konnte erzwungen werden.
Nur 23 Prozent der Betriebe in Brandenburg seien tarifgebunden, bedauert DGB-Landesbezirksvize Christian Hoßbach. Der Rückgang konnte zwar seit 2012 gestoppt werden, »die Reichweite ist jedoch nach wie vor deutlich geringer als in Westdeutschland«, erläutert Sozialministerin Diana Golze (LINKE). Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) meint: »Wir brauchen einen Vorwärtsrück bei der Tarifbindung«, und wenn der Tarif einmal da sei, müsse er »hartnäckig« verteidigt werden. So wie in Beeskow – oder bei der Getränke Essmann GmbH in Potsdam, wo in ziemlich kurzer Frist ein Betriebsrat gebildet und ein Tarifvertrag ausgehandelt werden konnte.
»Vor mir saß ein Vorstand, der am Tag mehr verdient als ich im Monat.«