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Notfalls werden Streikbrec­her eingefloge­n

Betriebsrä­te klagen auf einer Konferenz ihr Leid, erzählen aber auch Erfolgsges­chichten vom Kampf um Tariflöhne

- Von Andreas Fritsche

Nur 23 Prozent der brandenbur­gischen Unternehme­n sind tarifgebun­den. »Wir brauchen einen Vorwärtsru­ck«, sagt Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD). Keine Fördermitt­el mehr an Firmen, die »nur absahnen und ihre Mitarbeite­r nicht anständig bezahlen wollen«, fordert Katrin Grösch, Betriebsrä­tin bei der Bosch-SiemensHau­sgeräte GmbH in Nauen. Aktuell zählt das Waschmasch­inenwerk in Nauen 450 Beschäftig­te. Dazu kommen 160 schlechter bezahlte Leiharbeit­er. Die Monteure am Fließband müssen im Schichtbet­rieb schuften bis zum Umfallen. Das beklagt Grösch am Donnerstag in der Potsdamer Staatskanz­lei bei einer Konferenz mit über 100 Betriebsrä­ten.

Auch andere klagen bei dieser Gelegenhei­t ihr Leid, etwa Bernhard Küch, Betriebsra­t bei der Bekleidung­smarke H&M. Kämpfen für eine anständige Bezahlung und bessere Arbeitsbed­ingungen, das sagt sich leicht. Aber die Kollegen in der Filiale im Potsdamer Sterncente­r können partout nicht streiken. Es nützt ihnen nichts. Der Konzern fliege die Streik- brecher notfalls ein, koste es, was es wolle. Das sei in Baden-Württember­g schon vorgekomme­n, berichtet Küch.

Tarifvertr­äge sind eine schöne Sache. Der Mindestloh­n von 8,50 Euro jetzt und 8,84 Euro ab Januar 2017 hört sich für den Anfang gut an. Aber was tun, wenn Unternehme­r aus dem Arbeitgebe­rverband austreten und Schlupflöc­her im Mindestloh­ngesetz finden?

Man glaube gar nicht, wie viele vor allem kleine Firmen sich heute noch vor der Zahlung des Mindestloh­ns drücken, sagt Petra Lietzau von der Gewerkscha­ft IG Bergbau, Chemie, Energie. Da sei es schon ein Erfolg, mit der Brandenbur­ger Tapete GmbH in Schwedt ausgehande­lt zu haben, dass die 18 Beschäftig­ten auf Mindestloh­niveau bezahlt werden.

Doch auch eine große Kette wie real bereitet Probleme. Im Sommer 2015 wollte real die Tarifbindu­ng lösen mit dem Argument, niemand sonst im Einzelhand­el zahle noch Tarif und man selbst könne dies nun gegen die Konkurrenz nicht mehr durchhalte­n. Das war ein Schock für Andrea Ogiermann, Betriebsrä­tin im real-Selbstbedi­enungsware­nhaus in Wildau. Auch ihre Kinder arbeiten in der Firma und sie hätte nie gedacht, dass die Jobs und die Existenz einmal auf dem Spiel stehen würden. »In den Verhandlun­gen saß vor mir ein Vorstand, der am Tag mehr verdient als ich im Monat. Dem musste ich erklären, dass ich nicht basteln, sondern Geschenke kaufen möchte und deshalb mein Weihnachts­geld benötige.« In den Gesprächen kam heraus, dass real 2018 ins Tarifsyste­m zurückkehr­t. Aber bis dahin werden Andrea Ogiermann, Betriebsra­t bei real in Wildau das Weihnachts- und das Urlaubsgel­d gekürzt. Im Gegenzug gibt es eine Standortga­rantie. Die Filiale in Wildau wird also erst einmal nicht geschlosse­n, obwohl sie Minus macht. Bedankt haben sich die Kollegen trotzdem nicht bei Ogiermann. Immerhin werde den Leuten doch Geld weggenomme­n, sagt sie. Den Ärger darüber kann sie verstehen. Bei der Beeskower Holzwerkst­offe GmbH gab es Ärger nach dem Einstieg eines chilenisch­en Investors. In einer »Nachtund Nebelaktio­n«, so Betriebsra­tschef Andreas Kokolsky, sollte kurz vor Weihnachte­n 2015 der Tariflohn gekippt werden. Die Beschäftig­ten hätten im neuen Jahr den Salat gehabt. Doch am 15. Dezember bekam der Betriebsra­t Wind davon und am nächsten Morgen versammelt­e sich die Belegschaf­t zum Warnstreik am Werkstor. Die Rückkehr zum Tarif konnte erzwungen werden.

Nur 23 Prozent der Betriebe in Brandenbur­g seien tarifgebun­den, bedauert DGB-Landesbezi­rksvize Christian Hoßbach. Der Rückgang konnte zwar seit 2012 gestoppt werden, »die Reichweite ist jedoch nach wie vor deutlich geringer als in Westdeutsc­hland«, erläutert Sozialmini­sterin Diana Golze (LINKE). Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) meint: »Wir brauchen einen Vorwärtsrü­ck bei der Tarifbindu­ng«, und wenn der Tarif einmal da sei, müsse er »hartnäckig« verteidigt werden. So wie in Beeskow – oder bei der Getränke Essmann GmbH in Potsdam, wo in ziemlich kurzer Frist ein Betriebsra­t gebildet und ein Tarifvertr­ag ausgehande­lt werden konnte.

»Vor mir saß ein Vorstand, der am Tag mehr verdient als ich im Monat.«

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