Heißer Fund im Sächsischen Staatsarchiv
Das älteste bekannte Glühweinrezept Deutschlands notierte Graf Wackerbarth am 11. Dezember 1834
Die Glühweinsaison hat begonnen, und wenn in Kürze die Weihnachtsmärkte öffnen, werden diverse Mischungen im Angebot sein. Der Ur-Glühwein kommt wohl aus Sachsen – bekömmlich war er nicht. So etwa könnte es gewesen sein: An einem bitterkalten Dezembertag anno 1834 steht Graf August Josef Ludwig Wackerbarth, der Großneffe des Erbauers von Schloss Wackerbarth im sächsischen Radebeul, auf dem Belvedere seines ererbten Schlosses und schaut in die Weinberge, deren süße Last längst geerntet ist. Es ist ein guter Jahrgang, der da in den Kellern heranreift. Wackerbarth könnte also zufrieden sein, wäre da nicht diese schreckliche Kälte. Und wie er so vor sich hinbibbert, fällt ihm etwas ein: Wie wäre es, einen der vorjährigen Weine mit wärmenden Gewürzen zu versetzen und zu erhitzen, damit es ihn von innen wärme?
Gedacht, getan: Der Graf steigt hinunter in den Keller, holt eine »Dresdner Kanne« (0,93 Liter) Wein, gibt verschiedene Gewürze dazu, süßt ihn mit Honig und Zucker, erhitzt die Mischung und kostet das Gebräu – es schmeckt fürchterlich. Doch der Lebemann gibt nicht auf, probiert ein paar weitere Kannen, nimmt von diesem Gewürz ein wenig mehr, vom anderen ein bisschen weniger, bis er am 11. Dezember endlich mit seinem Werk zufrieden ist und es auf einem Stück Papier niederschreibt: »Nimm auf eine Kanne 4 Loth (ein Loth entspricht 14 Gramm) Zimmet-Puder, 2 Loth Ingwer, 1 Loth Anis-Körner, 1 Loth Galganat (Granatapfel), 1 Loth Muskatnüsse, 1 Loth Kardamon, 1 Gran (ein halbes Gramm) Safran, erhitze, mische und seihe es und munde es mit Honig und Zucker ab.« Der Glühwein war er erfunden!
Irgendwann verschwand die Rezeptur in den Akten. Und bis 2013 auch aus der Erinnerung. Hätten in jenem Jahr nicht Mitarbeiter des Sächsischen Staatsweinguts Schloss Wackerbarth das Sächsische Staatsarchiv in Dresden beauftragt, in den alten Unterlagen im Nachlass des Grafen nach bestimmten Dokumenten zu su- chen, wüsste man wohl noch immer nichts von dem Wackerbarthschen Warmmacher. Der Archivar Nils Brübach staunte nicht schlecht, als er zwischen weinbautechnischen Daten und alten Prozessakten auf einen Zettel mit der Rezeptur stieß.
Sofort wurde sie von den Mitarbeitern des Staatsweingutes ausprobiert – und ebenso schnell wieder verworfen. »Wenn auch die Art und die Mengen der beschriebenen Gewürze in keiner Weise dem heutigem Geschmack entsprechen«, sagt Kommunikationschef Martin Junge, »so ist es doch das nachweislich älteste bekannte Glühweinrezept Deutschlands.« So, wie wohl einst Graf Wackerbarth, experimentierten seine »Erben« im Weingut ebenfalls eine Weile mit den Zutaten. Am Ende kam »Wackerbarths Weiß & Heiß« heraus, ein süffiger weißer Winzerglühwein, den man heute fix und fertig in Flaschen kaufen kann – und der nichts mit der süßen Plärre zu tun hat, die man zumeist auf den Weih- nachtsmärkten bekommt. »Mit unserem Glühwein kann man sich bei entsprechender Menge zwar einen Rausch antrinken«, sagte Junge, »mehr aber auch nicht.« Wie das Heißgetränk nach der Rezeptur von Graf Wackerbarth dem Erfinder und seinen Gästen bekommen ist, darü- ber gibt es leider keine Aufzeichnungen. Die Mischung dürfte aber alles andere als leicht bekömmlich gewesen sein. Insbesondere wegen der verwendeten Menge Muskatnuss. Denn bereits ab dem Verzehr von fünf Gramm kann es zu erheblichen Vergiftungserscheinungen und Halluzinationen kommen. Woraus man aus heutiger Sicht entweder schließen kann, dass der Graf über eine erstaunliche Kondition verfügte oder nicht allzu oft von dem heißen Gebräu nippte. Immerhin überlebte er sein Rezept um 16 Jahre und starb am 19. Mai 1850 im 81. Lebensjahr eines natürlichen Todes.
Gewürzte und erhitzte Weine sind indes keine Erfindung des lebenslustigen Sachsen, schon in der römischen Antike waren sie bekannt. Nach dem Kochbuch des Apicius, der 42 v.u.Z. starb, wurde Honig mit Wein, Pfeffer, Mastix (Harz der Mastixpistazienpflanze), Lorbeerblättern, Safran, Datteln und deren gerösteten Kernen zu einem Sirup eingekocht, den man anschließend mit Wein wieder verdünnte. Allerdings konnten sich dieses Getränk wegen der damals extrem teuren Gewürze nur Könige und reiche Adlige leisten.
Im Mittelalter schrieb man weißem Gewürzwein, der wahrscheinlich aber kalt getrunken wurde, medizinische Heilkräfte zu. Möglicherweise aber auch deshalb, weil Wein – ob mit oder ohne Zusätze – zu dieser Zeit bedeutend bekömmlicher war als Wasser, das häufig durch Fäkalien und andere Abwässer verunreinigt war und dessen Genuss nicht selten, insbesondere bei Kindern, tödlich endete.
Das alte Rezept wurde von Mitarbeitern des Weingutes ausprobiert – und verworfen.