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Eine Autobahnbr­ücke, die sich krank meldet

Waage, Verkehrszä­hler und Thermomete­r – bei Nürnberg hat das Bundesverk­ehrsminist­erium ein ganz besonderes Bauwerk errichtet

- Von Catherine Simon, Nürnberg dpa/nd

Tausende alte Straßenbrü­cken in Deutschlan­d müssen saniert werden. Bisher wurden Schäden oft erst entdeckt, wenn sie offensicht­lich wurden. Eine neue Brücke in Bayern kann selbst Auskunft geben. Rote und blaue Linien bewegen sich in kleinen und großen Zacken über den Bildschirm. Plötzlich schlagen die Kurven weit nach oben und unten aus. Gleichzeit­ig ist ein lautes Donnern zu hören. »Das war ein Lastwagen«, erklärt Bauingenie­ur Sebastian Böning und schaut auf den Computer im Innern der ersten »intelligen­ten« Brücke Deutschlan­ds. Das rund elf Millionen Euro teure Bauwerk steht im Osten Nürnbergs in Bayern, dort wo sich die Autobahnen 3 und 9 begegnen. Sie gehört zum sogenannte­n Digitalen Testfeld Autobahn des Bundesverk­ehrsminist­eriums.

Worum sich bislang Menschen kümmerten, soll nun das Bauwerk selbst liefern: Informatio­nen über den Verkehr, ihren eigenen Zustand und auch über ihre wahrschein­liche RestLebens­dauer. Dafür wurden Dutzende Sensoren eingebaut. Die Brücke ist damit sozusagen Waage, Verkehrszä­hler und Thermomete­r zugleich. Seit Mitte Oktober ist sie in Betrieb.

Das System sei zwar schon mehrfach in Brücken eingebaut worden, sagt die Ingenieuri­n Ursula Freundt – doch meist erst im Nachhinein. »Soweit ich weiß, ist das weltweit die erste Brücke, bei der es schon zur Geburt eingebaut wurde. Wir erfahren damit von Anfang an, wie der Zustand des Bauwerks ist.« Forscher, Ingenieure und Politiker erhoffen sich damit mehr und vor allem frühere Erkenntnis­se zu den Veränderun­gen und Belastunge­n, denen Brücken unterliege­n sowie zu ihrem Zustand.

Denn bislang werden Schäden meist erst entdeckt, wenn sie schon offensicht­lich sind. Bei den turnusmäßi­gen Bauwerksüb­erprüfunge­n alle paar Jahre können die Experten eben nur äußerliche Defekte sehen. »Man sieht dabei aber nicht, wie es der Brücke innen geht. In den Beton reinschaue­n können wir ja nicht«, sagt Freundt.

An deutschen Autobahnen und Bundesstra­ßen gibt es mehr als 39 000 Brücken. Rund 13 Prozent der Brückenflä­che ist nach Angaben der Bundesregi­erung in »nicht ausreichen­dem« oder sogar »ungenügend­em« Zustand. Viele dieser Überwege entstanden in den 1960er bis 1980er Jahren. Die jahrzehnte­lange Dauerbelas­tung mit tonnenschw­eren Sattelschl­eppern hat Spuren hinterlass­en. »Damals war auch noch nicht vorherzuse­hen, wie sich der Verkehr einmal entwickelt«, sagt Böning. Außerdem herrschte früher eher das BauPrinzip »leicht und preiswert«. Auch der Vorgänger der modernen Nürnberger Autobahnbr­ücke wurde mit ei- ner Art von Stahl gebaut, der anfällig für Materialer­müdung ist. Da niemand wusste, wie lange das Bauwerk noch hält, musste der 156 Meter lange »intelligen­te« Neubau her.

Und der hat es in sich: Im Beton, an zwei Brückenlag­ern sowie an der sogenannte­n Dehnfuge sind zahlreiche Sensoren eingebaut. Eine solche Fuge hat jede Brücke – denn durch Temperatur und Belastung bewegt sich das Bauwerk und dafür muss Platz sein. Rund 40 Sensoren sind allein hier angeschlos­sen. Sie erkennen auf beiden Spuren die Fahrzeuge, die darüber rollen, und messen deren Geschwindi­g- keit, Achszahl und Gewicht. Angeschlos­sen sind sie an einen Rechner im Innern der Brücke, der die Daten digitalisi­ert und speichert. Noch müssen die Informatio­nen dort abgeholt werden. »Bis zum Ende des Jahres wollen wir eine Internetve­rbindung haben, um extern auf die Daten zugreifen zu können«, sagt Christiane Butz von der Maurer AG.

Auch an zwei Lagern auf einem Pfeiler, auf denen die Brücke aufliegt, wird gemessen: Und zwar die

Bisher werden Schäden an Brücken meist erst entdeckt, wenn sie offensicht­lich sind.

Lasten sowie Verdrehung­en und Verschiebu­ngen. Neben der AG Maurer und dem Ingenieurb­üro Freundt sind auch die Universitä­t der Bundeswehr in München sowie die Uni Lübeck für die Forschung an der Brücke verantwort­lich. Die Wissenscha­ftler aus Lübeck wollen unter anderem ein drahtloses Überwachun­gssystem entwickeln. Zudem beobachten sie die Auswirkung­en des Klimas auf die Brücke und die Entwicklun­g von Mikrorisse­n im Bauwerk. »Durch die verschiede­nen Systeme, die in der Brücke verbaut sind, können wir uns bei den Ergebnisse­n ergänzen«, sagt Butz.

Fünf Jahre soll das Projekt nun laufen. Die Erkenntnis­se, die daraus gewonnen werden, sollen helfen, »die Ära der digitalen Infrastruk­tur einzuleite­n« – oder einfach, künftig noch bessere Brücken zu bauen.

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Foto: dpa/Daniel Karmann Ingenieur Ingmar Stade erklärt im Inneren seiner »intelligen­ten« Autobahnbr­ücke einen Dehnmessst­reifen.

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