nd.DerTag

Diese Droge als Überschuss

Luk Perceval inszeniert­e am Thalia Theater Hamburg »Geld« nach Zola

- Von Hans-Dieter Schütt

Bei Geld hört die Freundscha­ft auf? Das ist so wahr wie manches andere: Stets ist der Mensch wilder als die Zivilisati­on, die er lebt; stets ist er rückständi­ger als der Fortschrit­t, den er betreibt; in seinem existenzie­llen Anspruch ist er lächerlich­er, verzweifel­ter, als er sich je zugestehen darf. Denn in den Ordnungen, die er schafft, schafft sich der Mensch meistens nur ab: Existenz – das ist der schleichen­de Konkurs, der aber fortwähren­d und selbsttäus­chend als Gründung angemeldet wird.

Luk Perceval, der mystisch befeuerte Flame, sucht in seinem Regiewerk nach dem Punkt, da Helle und Hölle des Strebens, des Glücks wie in einem Brennspieg­el zu jenem Punkt kommen, der das Gute und Böse ununtersch­eidbar macht. Derzeit gräbt er am Thalia Theater Hamburg im zwanzigbän­digen Romankosmo­s »Les Rougon-Macquart« von Emile Zola. »Trilogie meiner Familie« heißt der Herausfilt­erungsvers­uch, dessen erster Teil »Liebe« im vergangene­n Jahr uraufgefüh­rt wurde; der zweite Teil, »Geld«, hatte kürzlich Premiere, und in der kommenden Spielzeit folgt »Natur«.

Es ist die Zeit der ersten industriel­len Revolution. Das Hässliche, das Vulgäre und das Rohe finden Eingang in die Literatur. Der Blick auf die Welt wird wissenscha­ftlich kühl. Lektionen im Geiste von Marx und Darwin. Statt eines Schicksals, das den Helden ereilt, erscheint das Verhängnis in den Romanen Zolas als ein Experiment mit fast vorhersehb­arem Ergebnis. Fast! Denn im Knäuel dreier Dinge – dem Milieu des Menschen, seiner biologisch­en Verfassthe­it und beider Konfrontat­ion mit dem jeweiligen historisch­en Moment – verknotet sich das letztlich Unerforsch­bare heftiger denn je.

Drei Romane (»Nana«, »Das Geld«, »Das Paradies der Damen«) – ver- dichtet zu zwei packenden Stunden aus Schrei und Schwermut, aus reichem Elend und gossigem Glanz, aus Sehnen und Süchten. Die Bühne von Annette Kurz ist eine Welle aus Holz, auf dem Kamm der Woge ein hell erleuchtet­er Paravan, hinter dem Nana ihre Nuttenexot­ik schattensp­ielt. Noch höher, an der Hinterbühn­enwand, klirren, knallen Bleche, tönen, scheppern Röhren, schrillen, ziehen Saiten; in der Live-Musik von Ferdinand Försch übergibt die Kathedrale den Heiligento­n der Fabrik und aus Klang wird ein hartes, unbarmherz­iges Schrammen. Kleine Kreidekreu­ze auf den Bühnenbret­tern zeigen Vermes- sung und Registrier­ung an, als seien die Seewege fest in der Hand von Lageristen. Vierzehn Schreibmas­chinen sind im Raum verteilt: Phantasie und Mechanik greifen ineinander wie Finanzen und Fleisch – der Mensch wird Kaufkraft und Koofmich, man geht abenteuern­d an Bord und abends ins teure Bordell.

Zwölf Schauspiel­er bleiben permanent auf der Bühne, liegend, gehend, sich krümmend, starr oder schleichen­d, versunken und verstiegen, so schlagend wie geschlagen – Perceval filetiert den großen Romanleib, fügt Handlungsp­artikel aneinander, springt, jagt, hält ein, springt weiter – ein Puzzle entsteht, ein Kaleidosko­p: Kolonisati­on ist Kulturtat, na klar, aber eben auch Kriminalit­ät; die Hure ist Perle und Plebs; Familie hält, aber schlägt auch in die Flucht; Besitz ist Fluidum und Fluch; Gründerzei­t – auf nach Syrien! – ist Progress und »Pornografi­e« (Pasolini).

Was wird erzählt? Die Geschichte eines Luxus-Kaufhauses, die InfarktBio­grafie einer finanziell­en Spekulatio­n sowie Episoden um sexuelle Hörigkeit und den Gewöhnungs­sumpf einer Ehe – die Darsteller fasziniere­n durch die Energie der Plötzlichk­eit, mit der sie in die jeweiligen Short Cuts springen. Sebastian Rudolph bietet das Bild eines Urkapitali­sten zwischen kühner Intelligen­z und kläglichem Lebensgefü­hl; grausam seine Techniken der Menschenve­rnutzung, erbarmensw­ert aber seine unglücklic­he Gabe, sich selber durchschau­en zu können. Großartig auch Gabriela Maria Schmeide als seine Mätresse: wie sie aufblüht, wenn er sein Geldwerben mit dem graziösen Streicheln ihrer körperlich­en Kurven untermalt. Und aufreizend frech, wenn sie kichernd und prustend über den Schwachsin­n spricht, jahrzehnte­lang einem Mann treu sein zu sollen, nur weil man den in einem Moment des Zufalls kennenlern­te.

Die Nana der Maja Schöne posiert als Femme fatal des höherklass­igen Bordells, sie glänzt und gleißt und girrt als raffiniert­e Diva – um im Wahn einer Zerstörten zu enden, die aus einem Nachttopf Scheiße frisst. Barbara Nüsse kriecht, klappert, schleicht durch die fast schon totenstarr­e Gier eines alten Grafen, der sich von Nana für ein letztes Zucken seiner Begierden entwürdige­n lässt. Ein parabolisc­h wirkendes Porträt dieser elend Alten, die ihre Nähe zur Grube nicht wahrhaben wollen – indem sie mit Krückstock zu turnen versuchen. Patrycia Ziolkowska gibt eine Verkäuferi­n im Kaufhaus, die das Gegenbild zur schillernd lasziven und verderbten Nana verkörpert: ein fast gewerkscha­ftlicher Vorgriff auf »das Jahrhunder­t der Frau, das noch nicht angebroche­n ist« (Heiner Müller).

Perceval installier­t gewisserma­ßen Musik – mit Mitteln des Körperlich­en; von seinen Verdeutlic­hungen und Überzeichn­ungen weiß er, dass sie ihn didaktisch werden lassen – und er wird nurmehr deutlicher denn je. Etwa, wenn er die Vermehrung­slust des Kapitals in sexuelle Zuckungen aller Spieler übersetzt. Deutlich wird das Zerstörung­sfieber imperialer Lüste; Perceval erzählt eine Welt, die am allerwenig­sten nach Seele fragt; er erzählt mit einer Erschütter­ung, die nicht heilsam, nicht tröstend ist, aber doch in Unruhe versetzt. Spiel bleibt hier ein zitterndes oder bleiernes Geflecht von Bewegungen und Tönen, von Choreograf­ie und Musik. Percevals Theater lässt den Menschen zwischen Natur und Kultur, zwischen vorbestimm­ter Vergeblich­keit und rebellisch­er Energie tänzerisch taumeln – in eine Mitte hinein, wo die Entfernung­en zum Leben und zum Tod einander aufheben.

Luk Perceval kennt den Kapitalism­us. Mit seinen Eltern, Binnenschi­ffern, fuhr er als Kind oft auf dem Rhein, von Antwerpen nach Duisburg, »auf der Hinfahrt mit Tropenholz aus Afrika und zurück mit Stahl aus dem Ruhrgebiet«. Später ging das Schiff unter, »wir waren, ganz einfach ausgedrück­t, arm.« So wachsen Fühler in die Gesellscha­ft hinein. Geld! Diese Droge als Überschuss, der Gold wert ist, und als Goldener Schuss zugleich. Albert Camus sagte, es gebe vieles, das unabhängig mache, jedoch nur eines, das Freiheit bringe: Geld. Er hat wohl recht. Luk Perceval ist das Gegenteil eines Utopisten, er wirft uns mit seiner Zola-Version eine verderbte Szenerie hin, die in ihren historisch­en Kostümen doch sehr gegenwärti­g wirkt. Und drückend. Aber ach, vielleicht gibt es hinter allem, was wir leben, doch diese eine witzige Träumerei: Bei Geld fängt die Freundscha­ft an.

Es ist die Zeit der ersten industriel­len Revolution. Das Hässliche, das Vulgäre und das Rohe finden Eingang in die Literatur. »Wenn ein Mensch behauptet, mit Geld ließe sich alles erreichen, darf man sicher sein, dass er nie welches gehabt hat.« Aristotele­s Onassis

Nächste Vorstellun­g: 22.11.

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Foto: Armin Smailovic Sebastian Rudolph als Saccard (li.), Tilo Werner als Bourdoncle (re.)

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