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Mario und die »Lügenpress­e«

- Von Jürgen Amendt

Nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten waren viele Medien in den USA – aber auch hierzuland­e – in Erklärungs­not. Warum wurde ein Mann in das höchste Staatsamt gewählt, der nach allen Prognosen der Meinungsfo­rschungsin­stitute und von Journalist­en die Wahl eigentlich hätte verlieren müssen? Eine der Erklärunge­n geht so: Die sogenannte Filterblas­e im Internet habe die »Experten« denken lassen, dass Trump verlieren werde.

Unter einer »Filterblas­e« wird folgendes verstanden: Internetdi­enste wie Google, Facebook oder Amazon stellen den Nutzern hauptsächl­ich jene Inhalte zur Verfügung, von denen sie ausgehen, dass sie ihre »Kunden« interessie­ren. Um diese Interessen zu ermitteln, laufen im Hintergrun­d Filteralgo­rithmen, deren Parameter ausschlagg­ebend für die Anzeige von Inhalten sind. Wer also beispielsw­eise vor allem auf linken Webseiten surft, bekommt von Facebook Seiten vorgeschla­gen, die eine vergleichb­are politische Ausrichtun­g haben. Bei Amazon funktionie­rt es im Prinzip ähnlich, nur dass hier die Suchanfrag­en bzw. die bislang getätigten Einkäufe Grundlage für Empfehlung­en sind.

Die Kritik an dieser Art der selektiert­en Bereitstel­lung von Informatio­nen ist, dass der Internetnu­tzer gar nicht wisse, dass ihm Inhalte gezeigt werden, die speziell für ihn gefiltert wurden. In den Blasen würden deshalb nur Menschen aufeinande­r treffen, die gleiche oder zumindest ähnliche Ansichten vertreten und sich hierdurch in der Annahme bestärkt sähen, ihre Meinung werde von einer Mehrheit geteilt.

Der angehende Kommunikat­ionswissen­schaftler Ben Thies bezeichnet die Annahme, dass die »Filterblas­en« zur Erklärung von Prognose-Desastern taugen, allerdings als Mythos. Es sei unwahrsche­inlich, dass politische Entwicklun­gen »allein den Filteralgo­rithmen zugeschrie­ben werden können«, schreibt er auf carta.info. »Zwar bedienen sich Presse und Blogs gerne der Filter Bubble als mystischem Begriff einer subtilen Machtstruk­tur im Internet, jedoch entbehren die Annahmen über negative Konsequenz­en der Filter Bubble jedweder Empirie. Forschungs­ergebnisse hinsichtli­ch des Einflusses von Filteralgo­rithmen auf den Nachrichte­nkonsum deuten eher darauf hin, dass sie das ideologisc­he Spektrum erweitern, als es einzugrenz­en. Die meisten Studien zu diesem Thema sehen den Hauptgrund für einseitige­n Nach- richtenkon­sum nicht in der algorithmi­schen, sondern in der psychologi­schen Filterung. ›Selective exposure‹ lautet das Stichwort: Individuen suchen sich unterbewus­st bevorzugt Informatio­nen, die mit ihren bestehende­n Ansichten übereinsti­mmen. Diese Art der Filterung gab es bereits vor dem Internet, und sie äußerte sich beispielsw­eise in der Wahl der Tageszeitu­ng.«

Dennoch sollte man die Macht der »Filterblas­en« nicht unterschät­zen. Wer sich zum Beispiel vornehmlic­h an den Sichtweise­n des Komikers Mario Barth auf die Welt orientiert, der hat mittlerwei­le ganz offensicht­lich das gleiche Faktenprob­lem wie sein Vorbild Barth. Jener war vor Wochenfris­t in New York und hatte vorher in deutschen Zeitungen gelesen, dass es dort vor dem Trump Tower in Manhatten Demonstrat­ionen gebe. Als Barth vor Ort war – soviel als Faktenwiss­en vorweg – war früher Morgen und die Demonstran­ten hatten sich schlafen gelegt. Zudem hatte sich der RTL-Komiker den »Veterans Day« für seinen Besuch ausgesucht, an dem eine Parade durch Manhatten zieht und die Straßen weiträumig abgesperrt sind. Mario Barth war dennoch der Überzeugun­g, von den deutschen Medien falsch informiert worden zu sein. Weit und breit, so seine Videobotsc­haft auf Facebook, sei kein Demonstran­t zu sehen und er wisse gar nicht, woher die deutschen Medien ihre Demo-Bilder hätten.

Von vielen Internetnu­tzern wurde Barth auf seinen Irrtum hingewiese­n. Seine Fans ließen sich davon aber nicht beirren, wie auf

uebermedie­n.de dokumentie­rt ist. Mit Kommentare­n wie »Mario Du bist der Größte (...) die Lästermedi­en so genial vorführen«, »Deutsche Medien sind der letzte Dreck – wie absolut genial von Dir,DANKE!« oder »Für alle die sich gerne von den Medien für blöd verkaufen lassen (…) Wenigstens ›ein‹ Promi der sich nicht verarschen lässt« jubelte sie ihrem Idol zu. Auch HeinzChris­tian Strache, Bundesobma­nn der FPÖ, teilte Barths Video mit den Worten: »Mario Barth zeigt auf, wie uns diverse Medien für dumm verkaufen wollen (…) Es finden keine Massendemo­s vor dem Trump-Tower in New York statt.«

Mehr als 1,4 Millionen Mal wurde das Video auf Facebook mittlerwei­le angesehen, über 25 000 Mal wurde der »Gefällt mir«-Button gedrückt. Und Mario Barth selbst? Der sieht keinen Grund, seinen Irrtum zu korrigiere­n. »Seit 15 Jahren kriege ich auf die Fresse von der Presse«, entgegnete er vor wenigen Tagen via Facebook seinen Kritikern. Immer wieder werde ihm vorgeworfe­n, zu unpolitisc­h zu sein. »Jetzt bin ich einmal vorm Trump Tower und mach’ so’ne Nummer – und was passiert? Das soll auch wieder verkehrt sein.«

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/blogwoche

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