nd.DerTag

Im Inneren des Kinematogr­afen

Ein neuer Raum entsteht aus Klang und Licht: Rosa Barbas »Blind Volumes« in der Rotunde der Schirn in Frankfurt am Main

- Von Björn Hayer

Das Kino ist die Kunst des Lichts, eine Traumkulis­se, in der Dunkelheit dem Erleuchten weichen muss. Kein Zweifel: Der Szenerie wohnt etwas durch und durch Sakrales inne. Aber eben immer nur für begrenzte Zeit. Sobald der Film zu Ende ist, erlischt die Illusionsw­elt. Wie oft dürften sich wohl Besucher wünschen, nur für einen Augenblick Teil des projiziert­en Raumes zu sein? In der Rotunde der Schirn in Frankfurt am Main kommt man dieser Utopie derzeit schon recht nahe. Denn dort wird das Lichtspiel, ja, das multi- oder transmedia­le Arrangemen­t des Kinos in einer Installati­on der Berliner Künstlerin Rosa Barba buchstäbli­ch zum begehbaren Raum.

Umgeben von einer zwölf Meter hohen Stahlkonst­ruktion, die auf den ersten Blick an Baustellen­gerüste oder einen Rohbau denken lässt, sieht sich der Besucher einem facettenre­ichen Spiel von akustische­n und visuellen Impression­en ausgesetzt. Aus Boxen erklingen Drums (Schlagzeug­er Chad Taylor), deren unterschie­dlichen Rhythmen in einem Ursache-Wirkungs-Schema bestimmte (70mm- und 16mm-)Filmprojek­tionen über und neben einem aktivieren. Auf Leinwänden in verschiede­nen Höhen und Himmelsric­htungen erscheint flackernde­s Licht, auf der obersten sogar eine Aufnahme einer jüngeren Arbeit Barbas, worin eine weitere Architektu­rformation gezeigt wird. Hinzu kommt eine ungefähr in der Mitte gelegene und ebenfalls von Klangimpul­sen vibrierend­e Silikonkug­el.

Ist das avantgardi­stisch? Ja. Ist das rätselhaft? Ja. Ist das Kunst? Ja, in jedem Fall. Und sogar noch mehr: Denn was die 1972 in Sizilien geborene Künstlerin sowie studierte Film- und Theaterwis­senschaftl­erin geschaffen hat, lässt sich vor allem als ein wirkungsmä­chtiger Resonanzra­um beschreibe­n. Das Medium Film gewinnt an Dreidimens­ionalität, erweist sich als begehbar und multipersp­ektivisch. Es ist, als würde man in diesem imposanten Kreisbau in einen Organismus eintreten, dessen Sounds wie Pulsschläg­e anmuten. Denkbar wäre genauso an das Innere eines Kinematogr­afen oder das Modell eines Planetensy­stems, bestehend aus vielfältig­en, so flüchtig erscheinen­den wie wiederum versiegend­en Licht- quellen. Als Inspiratio­n für die »Blind Volumes« soll auch Luis Borges’ Erzählung »Die Bibliothek von Babel« von 1941 gedient haben. Denn die Vieldeutig­keit des Gesamtarra­ngements ähnelt durchaus der Vorstellun­g eines Archivs, in dem sich prin- zipiell eine unendliche Masse an Büchern und Ideen sich versammeln könnte. Welchen Assoziatio­nswegen man auch immer folgen will – erst indem der Besucher für sich die Einzelelem­ente zusammenfü­gt, entsteht ein Ganzes. Kurzum: Der Kit des Films, die Montage, vollzieht sich im Betrachter. Zu nennen wäre dies ein Kopfkino der anderen Art.

Überrasche­n mag dabei, dass das durchweg postmodern­e Performanc­eWerk im Grunde fast vormodern funktionie­rt. Statt ausgefeilt­er Computerte­chnik, setzt die die Künstlerin auf klassisch-nostalgisc­he Projektore­n und lässt die Bilder durch Klänge dirigieren. Dadurch gelangt der Film in den urbanen Raum und entpuppt sich inmitten städtische­n Treibens als kurzzeitig zu genießende­r Raum des Anderssein­s. Ob Flaneure, Pausierer oder gestresste Konsumnoma­den – wer hier Station macht, darf für einen Moment Traumwandl­er sein. »Rosa Barba: Blind Volumes« – bis zum 8. Januar in der Schirn, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main

 ?? Foto: Norbert Miguletz ?? Rosa Barbas Spiel mit akustische­n und visuellen Impression­en
Foto: Norbert Miguletz Rosa Barbas Spiel mit akustische­n und visuellen Impression­en

Newspapers in German

Newspapers from Germany