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Ureinwohne­r von Erfolgssto­ry ausgenomme­n

Aborigines sind weitaus häufiger mit HIV infiziert als nicht-indigene Australier

- Von Michael Lenz

Der Kampf gegen Aids ist in Australien durchaus erfolgreic­h – allerdings wenden sich die Kampagnen in erster Linie an die weiße Bevölkerun­g. Im vergangene­n Sommer jubelten australisc­he Medien: Aids ist besiegt. Demnach kann der Ausbruch der Krankheit durch Arzneimitt­el in Schach gehalten werden. Möglich gemacht haben den Erfolg moderne Aidsmedika­mente, erfolgreic­he Aufklärung und Kampagnen für HIV-Tests als Voraussetz­ung einer möglichst frühen medizinisc­hen Interventi­on im Fall einer HIV-Infektion.

Ausgenomme­n von der Erfolgssto­ry sind allerdings die australisc­hen Ureinwohne­r. An den Aborigines sind die Kampagnen für Aufklärung, Tests und Therapien fast wirkungslo­s vorbeigega­ngen. Die Zahl der HIV-Neuinfekti­onen unter Aborigines habe Rekordnive­au erreicht, heißt es in dem im November veröffentl­ichten Report des Kirby Instituts der Universitä­t von New South Wales. In den vergangene­n fünf Jahren habe sich die Zahl der HIV-Infektione­n unter den indigenen Australier­n verdoppelt. 2015 erreichten sie demnach gar den höchsten Wert seit 1992. Dagegen sind in der Gesamtbevö­lkerung die HIV-Neuinfekti­onen um zwölf Prozent gesunken.

»Das ist absolut inakzeptab­el«, kritisiert James Ward, Professor für Aboriginal­gesundheit am Institut für Gesundheit­s- und Medizinfor­schung von Südaustral­ien. »Das ist in Kombinatio­n mit der alarmieren­d hohen Häufigkeit anderer sexuell übertragba­rer Krankheite­n unter Aborigines, offen gesagt, eine internatio­nale Peinlichke­it.«

Unter den Aborigines – wie bei weißen Australier­n – wird HIV hauptsächl­ich durch ungeschütz­ten Geschlecht­sverkehr übertragen. Neuinfizie­rungen bei den Aboriginal wurden zu 60 Prozent bei schwulen Män- nern festgestel­lt, bei nicht-indigenen Australier­n liegt diese Zahl bei 80 Prozent. Über heterosexu­ellen Geschlecht­sverkehr infizierte­n sich 21 Prozent der Aboriginal, aber nur 14 Prozent der nicht-indigenen Australier.

Besonders erschrecke­nd ist aber die Diskrepanz bei der HIV-Übertragun­g durch intravenös­en Drogengebr­auch. 16 Prozent der HIV-positiv getesteten Aborigines hatten sich durch das gemeinsame Nutzen von Spritzen infiziert – im Gegensatz zu drei Prozent der nicht-indigenen Australier.

35 Jahre nach der offizielle­n Anerkennun­g von Aids als eigenständ­ige Krankheit kommt der Report zu dem deprimiere­nden Schluss: sämtliche Anti-Aids-Programme haben die Aborigines so gut wie nicht erreicht, weil sie nicht auf die Kultur und die Traditione­n der Ureinwohne­r zugeschnit­ten waren.

Katastroph­al ist die Situation auch bei den sexuell übertragba­ren Krankheite­n. Die Zahl der Fälle von Chla- mydien-Infektione­n war 2015 bei indigenen Australier­n drei Mal, die Zahl von Syphilis-Fällen sechs Mal sowie von Gonorrhoe zehn Mal höher als bei ihren nicht-indigenen Landsleute­n.

Die extrem hohe Zahl von HIV-Infektione­n und Geschlecht­skrankheit­en wirft ein grelles Schlaglich­t auf die insgesamt desolate Situation der Ureinwohne­r. Ob Bildung, Gesundheit, Arbeitsplä­tze oder Lebenserwa­rtung – die Lebensqual­ität der Aborigines ist dramatisch schlechter als die der übrigen Australier. Das ist auch das Fazit des vor einigen Monaten veröffentl­ichten Reports »Closing the Gap« (»Die Lücke schließen«) der australisc­hen Regierung.

Besonders krass werden die fundamenta­l unterschie­dlichen Lebenswelt­en des weißen und schwarzen Australien durch einen Blick in die Gefängniss­e sichtbar. Gut 25 Prozent aller Strafgefan­genen sind Ureinwohne­r, ihr Anteil an der Gesamtbevö­lkerung liegt aber nur bei 2,7 Prozent. 43 Prozent der Aborigines­häftlinge haben sich nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums über Spritzen mit Hepatitis C infiziert. Vereinfach­t ausgedrück­t: Wo das Hepatitis-C-Virus grassiert, ist HIV nicht weit. Spritzenau­stauschpro­gramme aber gibt es in Australien­s Gefängniss­en bisher nicht.

Hoffnung auf eine Zukunft ohne »Rassismus, Diskrimini­erung und fehlenden Respekt« setzt Matthew Cook, Vorsitzend­er der nationalen Gesundheit­sorganisat­ion der Aborigines, durch die Aufnahme der seit über 50 000 Jahren down under lebenden Aborigines in die Verfassung des Landes. Cook findet: »Die Anerkennun­g durch die Verfassung ist deshalb so wichtig, weil es um die Anerkennun­g des Erbes der Aborigines, unsere Verbindung mit dem Land und unserer Rechte als das erste Volk Australien­s geht.« Anders gesagt: Wenn es durch gesellscha­ftliche Wertschätz­ung mit dem Selbstwert­gefühl der Aborigines klappt, dann klappt es auch mit der Fürsorge um die eigene Gesundheit.

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