Ureinwohner von Erfolgsstory ausgenommen
Aborigines sind weitaus häufiger mit HIV infiziert als nicht-indigene Australier
Der Kampf gegen Aids ist in Australien durchaus erfolgreich – allerdings wenden sich die Kampagnen in erster Linie an die weiße Bevölkerung. Im vergangenen Sommer jubelten australische Medien: Aids ist besiegt. Demnach kann der Ausbruch der Krankheit durch Arzneimittel in Schach gehalten werden. Möglich gemacht haben den Erfolg moderne Aidsmedikamente, erfolgreiche Aufklärung und Kampagnen für HIV-Tests als Voraussetzung einer möglichst frühen medizinischen Intervention im Fall einer HIV-Infektion.
Ausgenommen von der Erfolgsstory sind allerdings die australischen Ureinwohner. An den Aborigines sind die Kampagnen für Aufklärung, Tests und Therapien fast wirkungslos vorbeigegangen. Die Zahl der HIV-Neuinfektionen unter Aborigines habe Rekordniveau erreicht, heißt es in dem im November veröffentlichten Report des Kirby Instituts der Universität von New South Wales. In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Zahl der HIV-Infektionen unter den indigenen Australiern verdoppelt. 2015 erreichten sie demnach gar den höchsten Wert seit 1992. Dagegen sind in der Gesamtbevölkerung die HIV-Neuinfektionen um zwölf Prozent gesunken.
»Das ist absolut inakzeptabel«, kritisiert James Ward, Professor für Aboriginalgesundheit am Institut für Gesundheits- und Medizinforschung von Südaustralien. »Das ist in Kombination mit der alarmierend hohen Häufigkeit anderer sexuell übertragbarer Krankheiten unter Aborigines, offen gesagt, eine internationale Peinlichkeit.«
Unter den Aborigines – wie bei weißen Australiern – wird HIV hauptsächlich durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen. Neuinfizierungen bei den Aboriginal wurden zu 60 Prozent bei schwulen Män- nern festgestellt, bei nicht-indigenen Australiern liegt diese Zahl bei 80 Prozent. Über heterosexuellen Geschlechtsverkehr infizierten sich 21 Prozent der Aboriginal, aber nur 14 Prozent der nicht-indigenen Australier.
Besonders erschreckend ist aber die Diskrepanz bei der HIV-Übertragung durch intravenösen Drogengebrauch. 16 Prozent der HIV-positiv getesteten Aborigines hatten sich durch das gemeinsame Nutzen von Spritzen infiziert – im Gegensatz zu drei Prozent der nicht-indigenen Australier.
35 Jahre nach der offiziellen Anerkennung von Aids als eigenständige Krankheit kommt der Report zu dem deprimierenden Schluss: sämtliche Anti-Aids-Programme haben die Aborigines so gut wie nicht erreicht, weil sie nicht auf die Kultur und die Traditionen der Ureinwohner zugeschnitten waren.
Katastrophal ist die Situation auch bei den sexuell übertragbaren Krankheiten. Die Zahl der Fälle von Chla- mydien-Infektionen war 2015 bei indigenen Australiern drei Mal, die Zahl von Syphilis-Fällen sechs Mal sowie von Gonorrhoe zehn Mal höher als bei ihren nicht-indigenen Landsleuten.
Die extrem hohe Zahl von HIV-Infektionen und Geschlechtskrankheiten wirft ein grelles Schlaglicht auf die insgesamt desolate Situation der Ureinwohner. Ob Bildung, Gesundheit, Arbeitsplätze oder Lebenserwartung – die Lebensqualität der Aborigines ist dramatisch schlechter als die der übrigen Australier. Das ist auch das Fazit des vor einigen Monaten veröffentlichten Reports »Closing the Gap« (»Die Lücke schließen«) der australischen Regierung.
Besonders krass werden die fundamental unterschiedlichen Lebenswelten des weißen und schwarzen Australien durch einen Blick in die Gefängnisse sichtbar. Gut 25 Prozent aller Strafgefangenen sind Ureinwohner, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt aber nur bei 2,7 Prozent. 43 Prozent der Aborigineshäftlinge haben sich nach Angaben des Gesundheitsministeriums über Spritzen mit Hepatitis C infiziert. Vereinfacht ausgedrückt: Wo das Hepatitis-C-Virus grassiert, ist HIV nicht weit. Spritzenaustauschprogramme aber gibt es in Australiens Gefängnissen bisher nicht.
Hoffnung auf eine Zukunft ohne »Rassismus, Diskriminierung und fehlenden Respekt« setzt Matthew Cook, Vorsitzender der nationalen Gesundheitsorganisation der Aborigines, durch die Aufnahme der seit über 50 000 Jahren down under lebenden Aborigines in die Verfassung des Landes. Cook findet: »Die Anerkennung durch die Verfassung ist deshalb so wichtig, weil es um die Anerkennung des Erbes der Aborigines, unsere Verbindung mit dem Land und unserer Rechte als das erste Volk Australiens geht.« Anders gesagt: Wenn es durch gesellschaftliche Wertschätzung mit dem Selbstwertgefühl der Aborigines klappt, dann klappt es auch mit der Fürsorge um die eigene Gesundheit.