Lieber verlieren als versauern
Die besten deutschen Volleyballtalente finden beim VCO Berlin endlich eine professionell geführte Heimat
Der VC Olympia Berlin ist ein einzigartiges Nachwuchsprojekt. Viele spätere Volleyballnationalspieler durchliefen die Kaderschmiede, die trotzdem 2014 vor dem Aus stand. Langsam kehrt der Erfolg zurück. Matti Binder ist 1,96 Meter klein. Für einen Mittelblocker in der 1. Volleyball-Bundesliga ist er wirklich nicht gerade groß. Es wirkt unfair, wenn auf der anderen Seite des Netzes muskelbepackte und gut zehn Zentimeter größere Hünen wie die Nationalspieler Tim Broshog und Michael Andrei stehen, und Binder versuchen muss, seine Nachteile durch Schnelligkeit und Sprungkraft irgendwie wettzumachen. »Zuerst hat man schon Respekt und fragt sich, was man da anrichten kann, aber dann wird es zur Herausforderung«, sagt der 18-Jährige vom VC Olympia Berlin.
Hier und da feiert er kleine Erfolge. Im Duell gegen die Powervolleys Düren am vergangenen Wochenende beendete Binder den zweiten Satz mit einem krachenden Block. Dafür spendierte die Geschäftsleitung einen Kuchen. Ansonsten gab es nicht viel zu holen. Das Match ging mit 3:1 an Düren. Die Großen ein bisschen ärgern – mehr ist nicht drin für den VCO. Anders ist das aber auch nicht geplant.
Der Deutsche Olympische Sportbund will bei seiner Leistungssportreform gerade die Potenziale der Jugend analysieren, der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) ist da schon viel weiter – mit dem VCO Berlin, einem einzigartigen Nachwuchsprojekt im deutschen Sport. Alle zwei Jahre sichtet der DVV die hoffnungsvollsten Talente des Landes und delegiert die 14- oder 15-jährigen Mädchen und die ein Jahr älteren Jungen je nach Geschlecht auf vier oder fünf Bundesstützpunkte. Die besten jungen Volleyballer trainieren also schon seit 1999 gemeinsam, so wie es der DOSB ab 2017 in allen Sportarten durchsetzen will.
Spätestens im letzten Jahr der dreijährigen Ausbildung folgt für die Besten der Besten der Gang nach Berlin zum VCO. Dort trainieren sie dann als U20- oder U21-Nationalteam ein ganzes Jahr lang zusammen unter den Bundestrainern und spielen sogar in der Bundesliga mit, auch wenn sie dort gegen die gestanden Profis nur selten mal mehr gewinnen als einen Satz und einen Kuchen. »Hier kann man auf höchstem Niveau Erfahrungen sammeln, anstatt irgendwo anders als zwölfter Spieler auf der Bank zu versauern«, sagt der gebür- tige Berliner Broshog, der selbst vor knapp zehn Jahren beim VCO erste Bundesligaluft schnupperte und jetzt für Düren spielt. »Wir haben oft auf die Mütze bekommen, aber auch sehr viel gelernt«, erinnert er sich.
Die Liste der Talente, die später wie Broshog den Sprung in die Nationalmannschaft schafften, an Olympischen Spielen teilnahmen und Medaillen bei Europa- oder Weltmeisterschaften gewannen, ist lang. Schon die ersten Bundesligajahrgänge brachten große Namen hervor: Heike Beier und Kathy Radzuweit im Jahr 2000 bei den Frauen; Christian Dünnes, Robert Kromm und Jochen Schöps 2002 bei den Männern. Kira Walkenhorst, die 2016 Olympiagold im Sand holte, spielte vor acht Jahren auch noch für den VCO.
Was nach gelungener Nachwuchsarbeit klingt, stand 2014 jedoch vor dem Aus. Der DVV konzentrierte sein Geld auf die Seniorenauswahlteams, so dass der VCO keine guten Trainer halten konnte. Zudem verließen Ehrenamtler den Verein, den sie lange irgendwie zusammengehalten hatten. Sponsoren sprangen ab, und die Talente wollten nicht mehr nach Berlin. Der VCO war nicht mehr gleichbedeutend mit den Nationalmannschaften und verlor bei Frauen und Männern jahrelang jedes Bundesligaspiel. Kaweh Niroomand, Manager des deutschen Männermeisters Berlin Volleys, sagte 2014: »Ich brauche den VC Olympia nicht. Der Verband muss sich ein effektiveres Nachwuchskonzept überlegen.«
Der Verband stellte für sein Projekt VC Olympia lieber wieder langfristig gute Trainer und in Jörg Papenheim einen hauptamtlichen Manager ein. Seitdem kommt wieder mehr Geld durch Sponsoren und Mitgliedsbeiträge in die Kasse. Das meiste geben aber immer noch der DVV, die Liga und die Stadt Berlin.
Der VCO arbeitet nun professioneller – und Niroomand lässt mit Egor Bogachev und Maximilian Auste zwei junge Volleyballer, die er bereits unter Vertrag hat, hier ihre technische Ausbildung vollenden und Spielpraxis sammeln. Sein Trainer Roberto Serniotti, Beobachter beim Spiel gegen Düren, meint: »Das Konzept des VCO ist perfekt.« In keinem anderen Land spiele das Juniorennationalteam so regelmäßig in der 1. Liga.
»Männer und Frauen gewinnen wieder Spiele in der Bundesliga und auch Sätze gegen die großen Teams. Wir sind auf einem guten Weg«, sagt Manager Papenheim. Die anderen Vereine verzichten wieder ein Jahr auf ihre Talente im Wissen, sie danach verbessert zurückzubekommen. »Ich bin mir sicher, dass aus diesem Jahrgang zwölf der 13 Männer einen Profivertrag bekommen werden«, prognostiziert Papenheim. »Und vielleicht sieht man ein paar von ihnen in vier oder acht Jahren sogar bei Olympia.«