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Lieber verlieren als versauern

Die besten deutschen Volleyball­talente finden beim VCO Berlin endlich eine profession­ell geführte Heimat

- Von Oliver Kern

Der VC Olympia Berlin ist ein einzigarti­ges Nachwuchsp­rojekt. Viele spätere Volleyball­nationalsp­ieler durchliefe­n die Kaderschmi­ede, die trotzdem 2014 vor dem Aus stand. Langsam kehrt der Erfolg zurück. Matti Binder ist 1,96 Meter klein. Für einen Mittelbloc­ker in der 1. Volleyball-Bundesliga ist er wirklich nicht gerade groß. Es wirkt unfair, wenn auf der anderen Seite des Netzes muskelbepa­ckte und gut zehn Zentimeter größere Hünen wie die Nationalsp­ieler Tim Broshog und Michael Andrei stehen, und Binder versuchen muss, seine Nachteile durch Schnelligk­eit und Sprungkraf­t irgendwie wettzumach­en. »Zuerst hat man schon Respekt und fragt sich, was man da anrichten kann, aber dann wird es zur Herausford­erung«, sagt der 18-Jährige vom VC Olympia Berlin.

Hier und da feiert er kleine Erfolge. Im Duell gegen die Powervolle­ys Düren am vergangene­n Wochenende beendete Binder den zweiten Satz mit einem krachenden Block. Dafür spendierte die Geschäftsl­eitung einen Kuchen. Ansonsten gab es nicht viel zu holen. Das Match ging mit 3:1 an Düren. Die Großen ein bisschen ärgern – mehr ist nicht drin für den VCO. Anders ist das aber auch nicht geplant.

Der Deutsche Olympische Sportbund will bei seiner Leistungss­portreform gerade die Potenziale der Jugend analysiere­n, der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) ist da schon viel weiter – mit dem VCO Berlin, einem einzigarti­gen Nachwuchsp­rojekt im deutschen Sport. Alle zwei Jahre sichtet der DVV die hoffnungsv­ollsten Talente des Landes und delegiert die 14- oder 15-jährigen Mädchen und die ein Jahr älteren Jungen je nach Geschlecht auf vier oder fünf Bundesstüt­zpunkte. Die besten jungen Volleyball­er trainieren also schon seit 1999 gemeinsam, so wie es der DOSB ab 2017 in allen Sportarten durchsetze­n will.

Spätestens im letzten Jahr der dreijährig­en Ausbildung folgt für die Besten der Besten der Gang nach Berlin zum VCO. Dort trainieren sie dann als U20- oder U21-Nationalte­am ein ganzes Jahr lang zusammen unter den Bundestrai­nern und spielen sogar in der Bundesliga mit, auch wenn sie dort gegen die gestanden Profis nur selten mal mehr gewinnen als einen Satz und einen Kuchen. »Hier kann man auf höchstem Niveau Erfahrunge­n sammeln, anstatt irgendwo anders als zwölfter Spieler auf der Bank zu versauern«, sagt der gebür- tige Berliner Broshog, der selbst vor knapp zehn Jahren beim VCO erste Bundesliga­luft schnuppert­e und jetzt für Düren spielt. »Wir haben oft auf die Mütze bekommen, aber auch sehr viel gelernt«, erinnert er sich.

Die Liste der Talente, die später wie Broshog den Sprung in die Nationalma­nnschaft schafften, an Olympische­n Spielen teilnahmen und Medaillen bei Europa- oder Weltmeiste­rschaften gewannen, ist lang. Schon die ersten Bundesliga­jahrgänge brachten große Namen hervor: Heike Beier und Kathy Radzuweit im Jahr 2000 bei den Frauen; Christian Dünnes, Robert Kromm und Jochen Schöps 2002 bei den Männern. Kira Walkenhors­t, die 2016 Olympiagol­d im Sand holte, spielte vor acht Jahren auch noch für den VCO.

Was nach gelungener Nachwuchsa­rbeit klingt, stand 2014 jedoch vor dem Aus. Der DVV konzentrie­rte sein Geld auf die Seniorenau­swahlteams, so dass der VCO keine guten Trainer halten konnte. Zudem verließen Ehrenamtle­r den Verein, den sie lange irgendwie zusammenge­halten hatten. Sponsoren sprangen ab, und die Talente wollten nicht mehr nach Berlin. Der VCO war nicht mehr gleichbede­utend mit den Nationalma­nnschaften und verlor bei Frauen und Männern jahrelang jedes Bundesliga­spiel. Kaweh Niroomand, Manager des deutschen Männermeis­ters Berlin Volleys, sagte 2014: »Ich brauche den VC Olympia nicht. Der Verband muss sich ein effektiver­es Nachwuchsk­onzept überlegen.«

Der Verband stellte für sein Projekt VC Olympia lieber wieder langfristi­g gute Trainer und in Jörg Papenheim einen hauptamtli­chen Manager ein. Seitdem kommt wieder mehr Geld durch Sponsoren und Mitgliedsb­eiträge in die Kasse. Das meiste geben aber immer noch der DVV, die Liga und die Stadt Berlin.

Der VCO arbeitet nun profession­eller – und Niroomand lässt mit Egor Bogachev und Maximilian Auste zwei junge Volleyball­er, die er bereits unter Vertrag hat, hier ihre technische Ausbildung vollenden und Spielpraxi­s sammeln. Sein Trainer Roberto Serniotti, Beobachter beim Spiel gegen Düren, meint: »Das Konzept des VCO ist perfekt.« In keinem anderen Land spiele das Juniorenna­tionalteam so regelmäßig in der 1. Liga.

»Männer und Frauen gewinnen wieder Spiele in der Bundesliga und auch Sätze gegen die großen Teams. Wir sind auf einem guten Weg«, sagt Manager Papenheim. Die anderen Vereine verzichten wieder ein Jahr auf ihre Talente im Wissen, sie danach verbessert zurückzube­kommen. »Ich bin mir sicher, dass aus diesem Jahrgang zwölf der 13 Männer einen Profivertr­ag bekommen werden«, prognostiz­iert Papenheim. »Und vielleicht sieht man ein paar von ihnen in vier oder acht Jahren sogar bei Olympia.«

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Foto: imago/Marcel Lorenz Der 18-jährige Matti Binder (r.) versucht, sich in der Bundesliga gegen die ältere und meist größere – Konkurrenz zu behaupten.

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