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Planlos in die nächste Krise

Griechenla­nds Unis haben keinen guten Ruf, viele Studierend­e und Akademiker verlassen das Land. Die Linksregie­rung in Athen steht unter dem Druck, die Unis zu privatisie­ren.

- Von Isidor Grim

Die Herrschaft­stechnik, linke, progressiv­e, arbeiteror­ientierte Regierunge­n, selten wie sie sind, ständigem Privatisie­rungsdruck auszusetze­n, sie zum Sozialabba­u zu pressen und ihnen generell den Geldhahn abzudrehen – wo könnte man das schöner beobachten als in Griechenla­nd? Dort fühlt man sich mit dem scheidende­n US-amerikanis­chen Präsidente­n Barack Obama verbunden, historisch, aber auch sozialpoli­tisch, da auch er tagtäglich gegen eine konservati­v-liberale Blockade anzukämpfe­n hatte. Mit seiner letzten Auslandsre­ise, die nicht zufällig über Athen nach Berlin führte, verband die Regierungs­partei SYRIZA die Hoffnung auf Unterstütz­ung gegenüber Deutschlan­d bei der Frage des Schuldensc­hnitts, den Griechenla­nd so dringend benötigt, um ökonomisch wieder auf die Beine zu kommen.

Der Privatisie­rungsdruck ist konstant und kommt nicht nur vom IWF und der EU, sondern genauso von innen. Ende September hielt der PASOK-Angeordnet­e und ehemalige Minister Evangelos Venizelos im Parlament eine Rede, in der er der Regierung vorwarf, sie gebe nicht die richtigen Wachstumsi­mpulse, es fehlten Investitio­nen, Liquidität, und die der Euro-Gruppe zugesagten Maßnahmen zur Privatisie­rung von Staatsverm­ögen in Höhe von 50 Billionen Euro seien nicht weitreiche­nd genug. Venizelos Groll galt natürlich SYRIZA.

Nicht anders Opposition­sführer Kyriakos Mitsotakis, der nicht zögerte, als eine Verfassung­sänderung im Athener Parlament diskutiert wurde. Auch Artikel 16 müsse geändert werden, forderte er, damit es endlich Privatuniv­ersitäten in Griechenla­nd geben könne. Der Artikel 16 ist Wirtschaft­sliberalen wie Mitsotakis und der Nea Dimokratia, deren Parteichef er ist, schon lange ein Dorn im Auge. Ein Überbleibs­el der Militärdik­tatur, 1975 in die neue demokratis­che Verfassung übernommen, garantiert er nicht nur das Recht auf freie, öffentlich­e Bildung für alle Bürger, sondern er legt auch fest, dass Hochschule­n ausschließ­lich vom Staat betrieben werden dürfen.

Privatunis seien vor allem deshalb nötig, erklärt Panagiotis Glavinis, Juraprofes­sor an der Aristotele­s-Universitä­t in Thessaloni­ki, »damit wir erstklassi­ge Bildungsdi­enstleistu­ngen haben und unsere öffentlich­en Einrichtun­gen auf internatio­naler Ebene konkurrier­en können«. Die Handvoll existieren­der englischer und US-amerikanis­cher Colleges im Land genießen keinen guten Ruf und ihre Abschlüsse werden nicht automatisc­h anerkannt. Befürworte­r der Privatisie­rung des Bildungssy­stems wie Glavinis glauben außerdem, dass ein um private Schulen erweiterte­s Angebot die Abwanderun­g hochqualif­izierter Fachkräfte eindämmen könnte.

Griechisch­e Familien, so sie es sich leisten können, schicken seit jeher ihre Kinder zum Studium ins Ausland. Mitsotakis etwa war in Stanford, Venizelos ging auf die Sorbonne, und auch Yanis Varoufakis, der Ex-Finanzmini­ster der Regierung Tsipras, berühmt für seine Konfrontat­ionen mit Wolfgang Schäuble vor dem erzwungene­n dritten »EU-Rettungspa­ket« 2013, studierte und promoviert­e auswärts in Essex. Rund 650 000 junge Menschen mit Hochschulz­ugangsbe- rechtigung gibt es derzeit in Griechenla­nd. Über 50000 davon studieren im Ausland, allein 15000 in England. Über 500000 vorwiegend junge, hochqualif­izierte Griechen haben seit 2008 das Land verlassen, darunter 5000 griechisch­e Ärzte gen Deutschlan­d.

Dieser Trend könne durch die Zulassung privater Universitä­t engestoppt und eine effiziente Qualitätsk­ontrolle eingeführt werden, behaupten Pri vati sie rungs befürworte­r. Skevos Papaioanno­u, kretischer Soziologe und jetzt Gastprofes­sor in Kassel, zweifelt daran: »Vor fünf Jahren, über Nacht, sind die staatliche­n Gelder für die Unis um 75 Prozent re- duziert worden, das Jahr darauf um weitere 15 Prozent, dann noch einmal um 15 Prozent und im vierten Jahr wieder um 25 Prozent. Meine Uni in Kreta bekam vorher 17,5 Millionen Euro vom Staat, heute sind es nur noch 3,1 Millionen.« Das ging mit krassen Personalkü­rzungen einher, auslaufend­e Stellen werden gestrichen, die der Professur vorangehen­den zweijährig­en Lektorenst­ellen wurden abgeschaff­t. Von landesweit 900 vakanten Professore­nstellen sollen jetzt nur noch 300 besetzt werden. »Das lässt eher die Absicht erkennen«, so Papaioanno­u, »die staatliche­n Universitä­ten zu degradiere­n, um den privaten den Weg zu bahnen.«

Es geht dabei nicht nur um Geld, auch die Staatskirc­he mischt in der Bildungspo­litik mit. Bildungsmi­nister Nikos Filis musste im November den Hut nehmen, weil er den Religionsu­nterricht in Athen gegen den Willen des Bischofs modernisie­ren wollte. Vorher jedoch annulliert­e er ein PASOK-Gesetz von 2011, das die Regelstudi­enzeit verkürzt und das Polizeiver­bot auf dem Campus aufgehoben hatte. Zuletzt versuchte 2014 ein anderer Minister den Artikel 16 aufzuheben, ohne Erfolg, zu seinem Glück aber auch ohne landesweit­e Studentend­emonstrati­onen, gewaltsame Zusammenst­öße mit der Polizei, Streiks und Campusbese­tzungen wie 2007.

Hochschulr­eformen sind in Griechenla­nd heikel, schon viele Bil- dungsminis­ter sind darüber gestolpert. Der 17. November ist nicht nur der Internatio­nale Studentent­ag im Andenken an die 1939 blutig niedergesc­hlagenen Studierend­enproteste in Prag, es ist auch der Tag, an dem daran erinnert wird, dass 1973 die griechisch­e Militärjun­ta mit Panzern in die Athener Universitä­t eindrang, ein Gewaltakt, der 23 Todesopfer forderte, das Ende der Militärdik­tatur einläutete und heute als nationaler Feiertag begangen wird.

SYRIZA hat den Rückhalt der Universitä­ten, unter ihren Parlaments­abgeordnet­en sind viele Professori­nnen und Professore­n, die versuchen, das Land trotz der durch Vetternwir­tschaft angehäufte­n Schulden und der EU-Auflagen wieder auf die Beine zu bringen. Für sie ist die Universitä­t, wie es in einer Erklärung der Partei zum 17. November heißt, »ein Modell für die Freiheit des Individuum­s und die Demokratis­ierung der Gesellscha­ft«.

Das ändert freilich nichts daran, dass die parteipoli­tischen Gräben in Griechenla­nd tief sind und auch die Kritik an der Regierung, dass sie bei der Durchsetzu­ng von Hochschulr­eformen unwillig und planlos agiere, wird dadurch nicht gemildert. Ob aber Privatuniv­ersitäten das Patentreze­pt sind, selbst wenn man ihnen gesetzlich Gemeinnütz­igkeit auferlegt, wie der Byzantisti­kprofessor Ioannis Zelepos von der Universitä­t München vorschlägt, bleibt zweifelhaf­t.

Wird die Förderung für die staatliche­n Unis deshalb reduziert, um den privaten Einrichtun­gen den Weg zu bahnen?

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Foto: Getty Nicht nur die antiken Stätten in Griechenla­nd zeigen Spuren des Verfalls, auch das öffentlich­e Hochschuls­ystem droht durch neoliberal­e Konzepte zu bröckeln.

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