nd.DerTag

Richtige Idee mit Fehlern

- Daniel Schwerd kritisiert die neue »Charta der digitalen Grundrecht­e« in wesentlich­en Punkten

Dieser Tage ist die »Charta der digitalen Grundrecht­e« vorgestell­t worden: Initiiert von der »Zeit«-Stiftung, hat eine Gruppe Politiker, Wissenscha­ftler und Journalist­en einen Entwurf von Grundrecht­en erstellt, wie wir in der digitalen Zukunft miteinande­r leben sollen. Diesen wollen sie später in das EU-Parlament einbringen. Die Idee ist richtig: Zwar gelten die bestehende­n Menschenre­chte universell – und damit ebenso im Internet wie in der »realen« Welt. Und doch gibt es neue Fragestell­ungen, die erst durch die digitale Sphäre aufgeworfe­n werden. Auch bei den Regelungen in der Charta, die eine Doppelung bereits bestehende­r Rechte darstellen, kann es nicht schaden, die Aufmerksam­keit im Internet erneut darauf zu lenken. Ich freue mich über die Initiative, halte sie für dringend notwendig und wertvoll.

Die Initiatore­n nennen es Diskussion­sgrundlage, gleichwohl wird bereits nach Mitunterze­ichnern gesucht. Ich kann das Papier jedoch nicht unterschre­iben, nicht in der derzeitige­n Form. Ich sehe – neben einigen kleineren Unterlassu­ngen – zwei grobe Fehler, die mich angesichts der illustren Runde der Erstunterz­eichner überrasche­n.

Im Artikel »Meinungsfr­eiheit und Öffentlich­keit« heißt es in Absatz 2: »Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäte­n, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrt­heit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.« Man fordert also eine Prävention gegen unerwünsch­te Inhalte im Internet – das hat schon Ursula von der Leyen (CDU) mit ihren Stoppschil­dern versucht. Straftaten von vorn herein durch technische Maßnahmen zu verhindern, ist aber unmöglich. Der Absatz 4 dieses Artikels verlagert diese unmögliche Pflicht auf die Dienstbetr­eiber. Diese müssten konsequent­erweise mit massiven Filtern reagieren – mit allen bekannten Problemen wie zum Beispiel falsch-positiver Ergebnisse, Overblocki­ng und rechtliche­r Unsicherhe­iten bis hin zu Gefahren für Meinungsfr­eiheit und Demokratie.

Spätestens seit der »Zensursula«Debatte wissen wir, dass nur das Löschen illegalen Materials an der Quelle wirksam ist. Sehr wohl ist es Daniel Schwerd sitzt für die Linksparte­i im Düsseldorf­er Landtag. Zuvor war er Abgeordnet­er der Piratenpar­tei, die er im Oktober 2015 verließ. richtig, die Dienstbetr­eiber zur Mitwirkung zu verpflicht­en; sie dürfen sich nicht mit Hinweis auf eigene Standards wegducken. Es bedarf aber eingespiel­ter und standardis­ierter Verfahren, die von jedem Betroffene­n angestoßen werden können. Warum die Initiatore­n der Charta diese Erkenntnis­se unberücksi­chtigt lassen, ist mir unverständ­lich.

Ein weiterer Artikel wurde am Ende der Charta untergesch­oben, der nichts in Menschenre­chten verloren hat: das Immaterial­güterrecht. Darin heißt es: »Rechteinha­bern steht ein fairer Anteil an den Erträgen zu, die aus der digitalen Nutzung ihrer Immaterial­güter erwirtscha­ftet werden.«

Rechteinha­ber, das sind in der Regel Medienkonz­erne und Verlage. Sie handeln mit digitalen Werken und deren Vervielfäl­tigungsrec­hten, die sie den Autoren abgekauft haben, sind also Wirtschaft­sunternehm­en. Hier soll eine Verdienstg­arantie für Rechteverw­erter verankert werden, wie es zum Beispiel das Leistungss­chutzrecht für Presseverl­eger darstellt. Warum man aber einer einzelnen Industrie plötzlich Menschenre­chte zugestehen will, die auf einen Schutz ihres Geschäftsm­odells hinauslauf­en, erschließt sich mir nicht. Hat sich hier der Cheflobbyi­st des Springer-Verlages, Christoph Keese, eingebrach­t, der ebenfalls zu den Erstunterz­eichnern gehört?

Kein Wort findet sich zum Schutze der Kulturscha­ffenden selbst, der Autoren, Künstler, Journalist­en oder Musiker. Wäre nicht eher die Forderung angebracht, dass diese von der digitalen Verwertung ihrer Werke angemessen profitiere­n? Sollte man nicht ihre Position gegenüber den Konzernen – gleichgült­ig, ob es nun Internetko­nzerne oder Medienunte­rnehmen sind – stärken? Dass man dies nicht für erforderli­ch hält, entlarvt das Eigeninter­esse der Medienindu­strie.

Die digitale Sphäre bietet die einzigarti­ge Möglichkei­t, Wissen, Kunst und Kultur verlustfre­i und kostenlos für alle zur Verfügung zu stellen, wenn für faire Vergütung der Kulturscha­ffenden gesorgt ist. Der Verkauf digitaler Rechte über Rechteverw­erter ist längst nicht die einzige Möglichkei­t, für das Einkommen von Urhebern zu sorgen. Dies in grundrecht­liche Form zu gießen, ist Behinderun­g des Fortschrit­ts und dreister Lobbyismus. Diesen Punkt unveränder­t zu belassen, wäre ein Fehler, den ich nicht entschuldi­gen könnte.

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Zeichnung: Rainer Hachfeld
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Foto: dpa/Maja Hitij

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