Richtige Idee mit Fehlern
Dieser Tage ist die »Charta der digitalen Grundrechte« vorgestellt worden: Initiiert von der »Zeit«-Stiftung, hat eine Gruppe Politiker, Wissenschaftler und Journalisten einen Entwurf von Grundrechten erstellt, wie wir in der digitalen Zukunft miteinander leben sollen. Diesen wollen sie später in das EU-Parlament einbringen. Die Idee ist richtig: Zwar gelten die bestehenden Menschenrechte universell – und damit ebenso im Internet wie in der »realen« Welt. Und doch gibt es neue Fragestellungen, die erst durch die digitale Sphäre aufgeworfen werden. Auch bei den Regelungen in der Charta, die eine Doppelung bereits bestehender Rechte darstellen, kann es nicht schaden, die Aufmerksamkeit im Internet erneut darauf zu lenken. Ich freue mich über die Initiative, halte sie für dringend notwendig und wertvoll.
Die Initiatoren nennen es Diskussionsgrundlage, gleichwohl wird bereits nach Mitunterzeichnern gesucht. Ich kann das Papier jedoch nicht unterschreiben, nicht in der derzeitigen Form. Ich sehe – neben einigen kleineren Unterlassungen – zwei grobe Fehler, die mich angesichts der illustren Runde der Erstunterzeichner überraschen.
Im Artikel »Meinungsfreiheit und Öffentlichkeit« heißt es in Absatz 2: »Digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, sind zu verhindern.« Man fordert also eine Prävention gegen unerwünschte Inhalte im Internet – das hat schon Ursula von der Leyen (CDU) mit ihren Stoppschildern versucht. Straftaten von vorn herein durch technische Maßnahmen zu verhindern, ist aber unmöglich. Der Absatz 4 dieses Artikels verlagert diese unmögliche Pflicht auf die Dienstbetreiber. Diese müssten konsequenterweise mit massiven Filtern reagieren – mit allen bekannten Problemen wie zum Beispiel falsch-positiver Ergebnisse, Overblocking und rechtlicher Unsicherheiten bis hin zu Gefahren für Meinungsfreiheit und Demokratie.
Spätestens seit der »Zensursula«Debatte wissen wir, dass nur das Löschen illegalen Materials an der Quelle wirksam ist. Sehr wohl ist es Daniel Schwerd sitzt für die Linkspartei im Düsseldorfer Landtag. Zuvor war er Abgeordneter der Piratenpartei, die er im Oktober 2015 verließ. richtig, die Dienstbetreiber zur Mitwirkung zu verpflichten; sie dürfen sich nicht mit Hinweis auf eigene Standards wegducken. Es bedarf aber eingespielter und standardisierter Verfahren, die von jedem Betroffenen angestoßen werden können. Warum die Initiatoren der Charta diese Erkenntnisse unberücksichtigt lassen, ist mir unverständlich.
Ein weiterer Artikel wurde am Ende der Charta untergeschoben, der nichts in Menschenrechten verloren hat: das Immaterialgüterrecht. Darin heißt es: »Rechteinhabern steht ein fairer Anteil an den Erträgen zu, die aus der digitalen Nutzung ihrer Immaterialgüter erwirtschaftet werden.«
Rechteinhaber, das sind in der Regel Medienkonzerne und Verlage. Sie handeln mit digitalen Werken und deren Vervielfältigungsrechten, die sie den Autoren abgekauft haben, sind also Wirtschaftsunternehmen. Hier soll eine Verdienstgarantie für Rechteverwerter verankert werden, wie es zum Beispiel das Leistungsschutzrecht für Presseverleger darstellt. Warum man aber einer einzelnen Industrie plötzlich Menschenrechte zugestehen will, die auf einen Schutz ihres Geschäftsmodells hinauslaufen, erschließt sich mir nicht. Hat sich hier der Cheflobbyist des Springer-Verlages, Christoph Keese, eingebracht, der ebenfalls zu den Erstunterzeichnern gehört?
Kein Wort findet sich zum Schutze der Kulturschaffenden selbst, der Autoren, Künstler, Journalisten oder Musiker. Wäre nicht eher die Forderung angebracht, dass diese von der digitalen Verwertung ihrer Werke angemessen profitieren? Sollte man nicht ihre Position gegenüber den Konzernen – gleichgültig, ob es nun Internetkonzerne oder Medienunternehmen sind – stärken? Dass man dies nicht für erforderlich hält, entlarvt das Eigeninteresse der Medienindustrie.
Die digitale Sphäre bietet die einzigartige Möglichkeit, Wissen, Kunst und Kultur verlustfrei und kostenlos für alle zur Verfügung zu stellen, wenn für faire Vergütung der Kulturschaffenden gesorgt ist. Der Verkauf digitaler Rechte über Rechteverwerter ist längst nicht die einzige Möglichkeit, für das Einkommen von Urhebern zu sorgen. Dies in grundrechtliche Form zu gießen, ist Behinderung des Fortschritts und dreister Lobbyismus. Diesen Punkt unverändert zu belassen, wäre ein Fehler, den ich nicht entschuldigen könnte.