nd.DerTag

Nur ein Steinwurf von der Schanze

Linke Verbände planen abgespalte­ne Demonstrat­ion zu den G20-Protesten – aus Angst vor Ausschreit­ungen

- Von Elsa Koester

Das Bündnis gegen den G20-Gipfel in Hamburg plante eine große Abschlussd­emonstrati­on. Einige NGOs fürchten, dass es zur Randale kommt – und überlegen, eine eigene Demonstrat­ion zu organisier­en. Ob Heiligenda­mm 2007 oder Blockupy 2013: Linke Großmobili­sierungen laufen oft ähnlich ab. Linke Gruppen, Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs), linke Parteien und Gewerkscha­ften gründen ein breites Bündnis. Man einigt sich darauf, dass jeder seine Aktionsfor­m wählt, man erstellt einen Aktionskon­sens, der Gewalt ausschließ­t, und man kommt zu einer gemeinsame­n Großdemons­tration zusammen. So sollte es auch bei den G20-Protesten 2017 in Hamburg einen Alternativ­gipfel geben, dann Blockaden und aktivistis­che Proteste, anschließe­nd eine Abschlussd­emonstrati­on unter dem Motto »G20 – Not welcome«. Doch Vertreter der »NaturFreun­de Deutschlan­d« und der linken Kampagnen-Organisati­on Campact scheren nun aus: Statt einer gemeinsame­n Großdemons­tration am 8. Juli wollen sie eine Woche vorher einen eigenen Protestmar­sch organisier­en.

Zu einem ersten Beratungst­reffen für diese vorgezogen­en Proteste laden die beiden Organisati­onen am 15. Dezember in Berlin ein. Das bestätigte Uwe Hiksch von den Naturfreun­den am Donnerstag gegenüber »nd«. »Wir haben zwar Kritik am Gremium der G20, die praktisch an den Vereinten Nationen vorbei agieren – aber wir wollen das Gipfeltref­fen nicht gänzlich delegitimi­eren, weil es ein wichtiges, funktionie­rendes Gremium ist«, erklärt Hiksch. »Für uns ist es daher wichtig, unsere Forderunge­n an die G20-Vertreter vor dem Gipfel zu stellen: Mehr Klimaschut­z und einen Stopp der Gentechnik, fairer Handel, eine demokratis­che Weltordnun­g, der Trump und Erdogan nicht entspreche­n. Das geht nicht erst am 8. Juli, wenn die Abschlusse­rklärung schon steht.« Zudem könne man eigene politische Punkte besser setzen, wenn die Medien noch nicht mit Bildern von Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan überflutet seien.

Auf den Vorwurf einer Bündnisund Protestspa­ltung reagiert Hiksch gelassen. Unterschie­dliche Formen des Widerstand­s seien legitim. Die NaturFreun­de sind an einer Gesamtkomp­osition interessie­rt, die allen Aktivisten ihren Platz lasse. »Wir beginnen die Proteste mit einer großen Demonstrat­ion – und sie enden mit einer großen Demonstrat­ion. Davon haben alle etwas.«

Die Bündnistei­lnehmer sehen das anders. »Die Bündnisdem­o findet natürlich während des Gipfeltref­fens statt: Wir demonstrie­ren gegen die Vertreter des neoliberal­en Status Quo – und gegen die Angreifer von rechts wie Erdogan und Trump. Das tun wir natürlich, wenn sie auch da sind«, betont Emily Laquer von der Interventi­onistische­n Linken (IL). Die Demonstrat­ion sei auch ein Statement gegen den Sicherheit­strakt, in den Hamburg an dem Gipfelwoch­enende verwandelt werde. Eine Demo eine Woche zuvor, die auf Appelle an die Gipfelteil­nehmer abziele, würde dem Anliegen nicht gerecht.

Auch der LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Jan van Aken kritisiert die Eigeniniti­ative der NGOs. »Die LINKE wird alle Kräfte dafür einsetzen, auf den 8. Juli zu mobilisier­en. Zum einen ist der Termin politisch sinnvoller – an diesem Tag sind Erdogan und Trump vor Ort. Zum anderen haben türkische und kurdische Linke bereits angekündig­t, dazu rund 30 000 Menschen nach Hamburg zu mobilisier­en.« Die Proteste auf zwei Demonstrat­ionen aufzuteile­n, hält der Politiker nicht für sinnvoll. Eine gemeinsame Demonstrat­ion sei nach vielfältig­en Protestakt­ionen ein wichtiges Zeichen.

Hinter den Diskussion­en um die politische Ausrichtun­g und das Timing der Demonstrat­ion scheint jedoch ein anderer Konflikt zu stehen: die Debatte um politische Militanz. Für den Donnerstag­abend vor dem Gipfel haben autonome Gruppen aus Hamburg eine Vorabend-Demonstrat­ion angekündig­t, bei der die Bündnispar­tner Ausschreit­ungen befürchten. Ähnliches gilt für Blockadeak­tionen, die die Interventi­onistische Linke am Freitag durchführe­n will.

»Die LINKE wird alle Kräfte dafür einsetzen, zu einer gemeinsame­n Großdemons­tration zu mobilisier­en: am 8. Juli.«

Jan van Aken, LINKE

Die Polizei hatte Anfang Dezember angekündig­t, mit 10 000 »gewaltbere­iten« Demonstran­ten unter insgesamt bis zu 100 000 Teilnehmer­n zu rechnen – sie will mit 13 000 Einsatzkrä­ften vor Ort sein. Die NaturFreun­de und Campact befürchten, dass eine Demonstrat­ion im Schatten möglicher Auseinande­rsetzungen mit der Polizei nicht offen und zugänglich für alle sei.

Auch das globalisie­rungskriti­sche Netzwerk Attac nimmt diese Beden- ken ernst. »Wir wollen alle eine Demonstrat­ion, auf der sich alle Teilnehmer wohl und sicher fühlen«, so Attac-Sprecher Werner Rätz. »Aber dafür haben wir im Bündnis bereits Absprachen getroffen. Wir hoffen auf eine gemeinsame Großdemons­tration am 8. Juli – eine zweite würde beiden Mobilisier­ungen schaden.«

Über mögliche Ausschreit­ungen äußert sich auch Jan van Aken besorgt. »Der Tagungsort ist nur einen Steinwurf vom linksradik­al geprägten Schanzenvi­ertel entfernt – natürlich kann es bei den Blockaden am Freitag zu Auseinande­rsetzungen zwischen der Polizei und linken Autonomen kommen«, sagt der LINKEPolit­iker. Wie der Protest ablaufe, hänge aber zu großen Teilen auch vom Verhalten der Polizei ab. Mit der Ernennung des »harten Hunds« Hartmut Dudde zum Hamburger Einsatzlei­ter habe der Senat leider ein aggressive­s Signal gesetzt.

Dudde ist für einige brutale Demonstrat­ionsauflös­ungen verantwort­lich, die von Gerichten als rechtswidr­ig eingestuft wurden – wie der Wanderkess­el der Hamburger Demonstrat­ion 2007 gegen den Terrorpara­grafen 129a. Van Aken vertraut jedoch ähnlich wie Attac auf die Absprachen, die im Bündnis zwischen Linksradik­alen, Parteien und Menschenre­chtsorgani­sationen getroffen werden. »Wir wollen eine friedliche Großdemons­tration: Eine Demo, an der Menschen mit Rollstühle­n und Kinderwage­n teilnehmen können. Das wollen auch die Linksradik­alen. Wenn es solche Absprachen gab, hat das bislang in Hamburg immer geklappt.«

Ob es am Ende zu einer Spaltung oder Aufteilung der Demonstrat­ionen auf den 2. und 8. Juli kommt, ist noch nicht klar. Am 15. Dezember treffen sich in Berlin die Organisati­onen rund um das »Stop TTIP«-Bündnis, darunter entwicklun­gspolitisc­he Organisati­onen wie Misereor oder Brot für die Welt, aber auch Gewerkscha­ften und größere NGOs.

»Noch ist nichts entschiede­n«, sagt Christoph Bautz von Campact. »Wir müssen gut zwischen der Stärke eines gemeinsame­n Zeichens, der Sicherheit­slage und der politische­n Ausrichtun­g abwägen.« Die IL hofft derweil weiter auf eine gemeinsame Demonstrat­ion: »Wir wollen eine linke Alternativ­e zur neoliberal­en G20Politik aufzeigen – dafür brauchen wir ein gemeinsame Demonstrat­ion als starkes gemeinsame­s Zeichen.«

 ?? Foto: dpa/Bodo Marks ??
Foto: dpa/Bodo Marks

Newspapers in German

Newspapers from Germany