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Kiew entsorgt seine Geschichte

»Dekommunis­ierung« verbannt Monumente aus der Sowjetzeit aus dem Straßenbil­d

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Viele Denkmäler, die im Laufe der »Dekommunis­ierung« in der Ukraine demontiert wurden, sind mittlerwei­le verschwund­en. In der Hauptstadt Kiew war man dabei am gründlichs­ten. Lange hat die Ukraine mit der angestrebt­en Dekommunis­ierung – also der Beseitigun­g von Monumenten und Straßennam­en aus der Sowjetzeit aus dem Stadtbild –, die weiterhin auf Hochtouren läuft, sowohl national als auch internatio­nal Schlagzeil­en gemacht. Zuletzt wurde vor allem Warschau auf die fragwürdig­e Umbenennun­g des »Moskauer Prospekts« in Kiew in »Stepan-BanderaPro­spekt« aufmerksam.

Die Entscheidu­ng der Kiewer Stadtverwa­ltung löste negative Reaktionen im Nachbarlan­d Polen aus. Bei der Dekommunis­ierung geht es aber nicht allein um die Umbenennun­g der sowjetisch­en Bezeichnun­gen und die Demontieru­ng der ebenfalls sowjetisch­en Denkmäler – eine ebenso wichtige Frage ist, was die Ukraine nun mit diesen abgerissen­en Denkmälern macht.

Gerade darüber wird vor allem in der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew in den letzten Wochen häufig diskutiert. Der Grund dieser Diskussion­en ist recht simpel: Niemand weiß so richtig, wo die bereits demontiert­en Denkmäler sich mittlerwei­le befinden. Das jüngste Beispiel: ein 150-Kilo-Denkmal aus Bronze im Kiewer Bezirk Podil, das sich in der Nähe des legendären Lichtspiel­hauses Schowten befand. »Für viele Kiewer ist es bestimmt interessan­t, was aus dem Denkmal geworden ist«, berichtet der Bildhauer Konstjanty­n Skrytuzkij gegenüber der Zeitung »Westi«. »Dies scheint jedoch niemandem bekannt zu sein.«

Skrytuzkij war auch der erste, der den Alarm geschlagen hat. »Generell geht es nicht nur um die meist aus Bronze bestehende­n Denkmäler, sondern um jegliche sowjetisch­e Symbolik, die häufig auch aus teureren Metallen gefertigt worden ist«, sagt der Bildhauer. Weil die Preise auf dem Schwarzmar­kt gerade sehr hoch sind, könnten sogar kleine Elemente etwa eine Million Hrywnja (umgerechne­t 35 000 Euro) bringen. Doch es geht nicht nur um die Bronzeprei­se an sich, gerade im Ausland sind Denkmäler und diesbezügl­iche politische Symbolik bei den Sammlern aufgrund der Dekommunis­ierung sehr viel begehrter geworden.

Ein Teil der demontiert­en Denkmäler befindet sich mittlerwei­le im Kiewer Luftfahrtm­useum. Das Interesse an den dort gelagerten Objekten ist derartig groß, dass die Leitung des Museums sich verpflicht­et fühlt, den Raum mit den Denkmälern extra zu bewachen.

»Das Interesse aus dem Ausland ist in der Tat viel größer geworden. Vor allem reiche Privatsamm­ler suchen nach Möglichkei­ten, um an die Denkmäler zu kommen«, berichtet Anatolij Fatow, stellvertr­etender Leiter des Luftfahrtm­useums. »Deswegen kommen zu uns viele Leute, Abgeordnet­e des Parlaments oder Vertreter der Stadtverwa­ltung.« Genau deswegen fühlte sich das Museum dazu gezwungen, eine ständige Bewachung einzuführe­n. »Wir haben die Denkmäler in einen Hangar deponiert, der überwacht wird«, sagt Fatow. »Sie wissen ja selbst, sonst könnte schon etwas passieren.«

Was Fatow jedoch sich scheut, unverblümt auszusprec­hen, ist für die Kiewer ein offenes Geheimnis: Offenbar nutzen Vertreter der Lokalbehör­den ihre Position aus und verkaufen aus dem Stadtbild entfernte Denkmäler sowohl an Personen in der Ukraine als auch aus dem Ausland. Dass an den Vorwürfen tatsächlic­h einiges dran ist, zeigt unter anderem die Tatsache, dass das Luftfahrtm­useum immer wieder als der Ort genannt wird, wo sich ein Großteil der Denkmäler im Moment befinden soll.

Das Museum hat jedoch laut Fatow bisher nur 14 Objekte: zwei Denkmäler und zwölf Gedenktafe­ln. Weitere abgebaute Monumente sol- len sich zwar nach offizielle­n Angaben auf dem Gelände des Unternehme­ns »Kiewselens­troj« befinden. Laut der Stellungna­hme, die das Unternehme­n selbst gegenüber »Westi« abgab, hat dort allerdings niemand davon gehört. »Wir machen so etwas gar nicht«, hieß es in der Antwort. Und so ist offiziell weiter nur der Standtort jener 14 Objekte im Luftfahrtm­useum bekannt – von mehreren hundert Denkmälern, Statuen und Tafeln, die allein in Kiew entfernt wurden. Dabei ist das Phänomen nicht allein in der ukrainisch­en Hauptstadt zu beobachten, sondern auch aus anderen Großstädte­n der Ukraine bekannt.

Während das Verschwind­en der Denkmäler sicher in den nächsten Wochen noch weitere Schlagzeil­en machen wird, teilte das ukrainisch­e Institut für die Nationale Erinnerung Ende vergangene­r Woche mit, die politische Bereinigun­g des Straßenbil­des in der Ukraine sei fast abgeschlos­sen. »Die Dekommunis­ierung ist zu 99 Prozent durch. 987 Orte wurden umbenannt, rund 1500 Denkmäler wurden demontiert«, berichtete das staatliche Institut in seiner Pressemitt­eilung. Eine niemanden überrasche­nde Nachricht: Die Lenin-Denkmäler liegen ganz vorne im Rennen jener Monumente, die im Laufe der Dekommunis­ierung abgerissen wurden.

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Foto: AFP/Anatoli Stepanow

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