Data-Bombe oder fauler Zauber?
Alexander Nix dürfte der Wochenzeitschrift »Das Magazin« dankbar sein. Ein Artikel auf der Website der Schweizer Journalisten hat dazu geführt, dass die halbe Welt über Nacht von Cambridge Analytica erfuhr. Eine Analyse-Firma, die zuvor höchstens netzaffinen IT-Nerds ein Begriff gewesen sein dürfte. In dem Beitrag »Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt« gehen die Autoren Mikael Krogerus und Hannes
Grassegger der Frage, warum eine umstrittene Persönlichkeit wie Donald Trump US-Präsident werden konnte. Nun sind zu diesem Thema seit dem 8. November Hunderte Artikel erschienen, doch Krogerus und Grassegger stellten eine neue, steile These auf. Big Data war es!
Cambridge Analytica habe eine Methode zur Auswertung von Facebook-Daten genutzt, um Persönlichkeitsprofile von 220 Millionen USAmerikanern zu erstellen, die wiederum Grundlage für individuell zugeschnittene Werbebotschaften gewesen sein sollen. Trump habe dies letztlich zum Sieg verholfen. Als Fazit heißt es in dem Text: »Es ist also keineswegs so, wie oft behauptet wird, dass die Statistiker diese Wahl verloren haben, weil sie mit ihren Polls so danebenlagen. Das Gegenteil ist richtig: Die Statistiker haben die Wahl gewonnen.« Seit dem Wochenende rätseln nun IT-Experten und Journalisten, ob die massenhafte Datenanalyse tatsächlich ausschlaggebend für den Wahlerfolg eines Mannes gewesen sein kann, der zwar Twitter am Fließband bespielt, aber Mails nicht einmal persönlich absetzt, sondern seinen Assistenten dem Vernehmen stattdessen handgeschriebene Zettel reicht. Dennis Horn, beim Westdeutschen Rundfunk für digitale Themen zuständig, kommt auf blog.wdr.de zu der vernichtend klingenden Feststellung: »Es kann doch nicht sein, dass wir wochenlang über Fakenews diskutieren – um im Anschluss wie ein Schwarm den erstbesten Artikel zu teilen, unreflektiert, ohne einen Hauch von Kritik, einfach nur, weil er perfekt ins Weltbild passt.«
Es klingt auch zu schön, bedient die Erzählung doch alle Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung. Horn merkt an, Cambridge Analytica als auch der Beitrag in »Das Magazin« blieben letztlich einen »Beweis für die angebliche Wirksamkeit der Big-Data-getriebenen Kampagnen schuldig«. Stattdessen würden sich inhaltliche Widersprüche auftun. So heißt es in dem Artikel, die Methode sei im Vorwahlkampf auch von Trumps Konkurrenten Ted Cruz eingesetzt worden. Dieser verlor bekanntermaßen das Rennen, obwohl er doch bereits vor dem US-Milliardär auf eine angebliche Wundertechnik setzte.
Einen ähnlichen Widerspruch sieht Horn in der Darstellung zur Rolle von Cambridge Analytica im britischen Brexit-Wahlkampf. Auch hier waren die Analysten aktiv, arbeiteten zeitweise für eine Kampagne der politischen Rechten, die den Ausstieg Großbritannien aus der EU forderte. Zwar erreichten sie auch dieses Ziel, nur ist völlig unklar, wie groß der Anteil von Big-Data-Analysen tatsächlich war. Unerwähnt bleibt in dem viel diskutierten Artikel, dass die Zusammenarbeit mit den Brexit-Befürwortern nach Recherchen des Technologie-Magazins Wired.com aus finanziellen Gründen vorzeitig platzte. Auch der Datenexperte Jens Scholz schreibt auf seinem Blog jens
scholz.com, er wundere sich über jene Leute, die den Artikel wild teilten, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten. »Aber nein: irgendwas mit Big Data, wissenschaftlichem Geruch, ein bisschen Verschwörung und dem Wunsch, dass es vielleicht doch einen elaborierten Plan oder ein Mastermind hinter Trumps Sieg oder dem Erfolg der Brexit-Kampagne gibt, scheint kurzsichtig zu machen.«
Scholz kritisiert die Haltung, wonach Menschen immer wieder auf die »irgendwie religiös mathematikhörige Idee« kämen, »dass man menschliches Verhalten derart leicht kategorisieren, vorhersagen und dann sogar steuern könnte«. Man brauche ein magisches Weltbild, »um an eine Formel zu glauben, die mathematisch das Wort errechnet, das man einem Menschen sagen muss, damit er plötzlich und willenlos seine Meinung ändert.« Doch genau darin bestehe das angebliche Erfolgsgeheimnis von Cambridge Analytica. Auf Grundlage der erstellten Persönlichkeitsprofile seien an nur einem Tag 175 000 verschiedene Variationen von Trumps Wahlkampfargumenten über die sozialen Netzwerke versendet worden. Scholz hält die Erstellung hunderttausender, personalisierter Werbeanzeigen in dieser Zeit allerdings für unrealistisch.
Mittels der Analyse von Daten, etwa auf Grundlage von Facebookprofilen, Rückschlüsse auf einzelne Nutzer zu ziehen, ist keine neue Methode. Marc Röhlig kommt auf bento.de zum Fazit, dass man tatsächlich mittels Big Data Menschen besser analysieren und Nachrichten auf ihre Interessen abstimmen kann. Dass Trump allein mithilfe einer Software Millionen von Wählermeinungen beeinflusste, stimme aber nicht.
Cambridge Analytica ist letztlich eines gelungen: Weniger der unglaubliche Wahlkampfcoup als viel mehr eine gute Selbstvermarktung.