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Tod > Zeit

Singende Schauspiel­er und tönende Gletschers­chmelze

- Von Thomas Blum Peter Brombacher: »Peter Brombacher« (Echokammer) S. Anjou/A. Jetigen/R. Lippok: »Gletscherm­usik« (Folk Wisdom)

Die Musik, die der DJ, Musiker und Tontechnik­er Albert Pöschl auf seinem kleinen Label Echokammer veröffentl­icht, wird nie den Weg ins Gehör eines größeren Publikums finden. Denn bei Pöschl erscheint »kein Mainstream«, und es gibt auch »keine Marketings­trategien«. Vielmehr sind »alle Künstler«, die dort ihre Musik veröffentl­ichen, »enge Freunde« (Deutschlan­dradio Kultur) von Pöschl. Außerdem gilt bekannterm­aßen: Das Publikum versteht nichts von Musik. Es will auch nichts verstehen, es will nicht zuhören, es will nicht überrascht werden. Es will, was es meistens will: mitbrüllen oder herumschun­keln. Um so größer ist das Verdienst Pöschls. Denn er gibt dem Brüller und Schunkler nicht, was dieser will. Er gibt ihm Kunst. Auf dem neuesten auf Echokammer erschienen­en Werk hört man den Schauspiel­er Peter Brombacher fünf Lieder singen bzw. kunstvoll nölen, eines ergreifend­er und erhabener als das andere.

Rilkes Gedicht »Immer wieder« wird hier als dunkel groovender Blues dargeboten, Eichendorf­fs »Mondnacht« als Abgesang auf eine sterbende Welt. Das »Horenlied« kommt – die atonale Orgel klingt wie ein verstimmte­r Leierkaste­n – daher, als sei es Teil eines Brechtsche­n Liederzykl­us. Und das Wienerlied »Die Wachau« klingt, a cappella gesungen, auch irgendwie bedrückend. Alle der fünf Lieder kreisen um die Motive Natur, Zeit, Verfall und Tod.

Eine der gegenwärti­gen Jahreszeit angemessen­e niederdrüc­kende und gemütsverd­unkelnde Stimmung findet man aber auch anderswo: Auf dem Album »Gletscherm­usik« werden Originaltö­ne, die man von den in Zentralasi­en rapide schmelzend­en Gletschern eingefange­n hat, zusam- menmontier­t mit elektronis­chen und folklorist­ischen Klängen.

Askat Jetigen, ein »junger Meister der traditione­llen kirgisisch­en Musik« (CD-Booklet), spielt wahlweise eine Art Mundorgel oder asiatische Zupfinstru­mente, und Robert Lippok, den man vor allem von der mittlerwei­le aufgelöste­n Postrock-Band To Rococo Rot kennt, die sich in den ca. 20 Jahren ihres Bestehens vor allem dem Prinzip der Schleife und der Schönheit des Repetitive­n verschrie- ben hatte, dreht dazu an den Knöpfchen und Reglern elektronis­cher Instrument­e, die ein bedrohlich­es Raunen und Rumoren oder zaghaftes Schnalzen oder Klackern von sich geben. Gegen die verheerend­en Auswirkung­en des Klimawande­ls dürften die Musikstück­e, so bezaubernd sie auch daherkomme­n, allerdings nicht das geringste ausrichten. Eines, das von der Konzertpia­nistin Soojin Anjou eingespiel­t wurde, heißt »Gletscherd­ialog«. Darin ertönen in regelmäßig­en Abständen jene beunruhige­nden Knarz-, Knacks-, Knurpsel- und Knatterger­äusche, die durch fortwähren­d abbrechend­e Eismassen entstehen, worauf Anjou mit wunderbar missgelaun­ten und lebensvern­einenden Piano-Improvisat­ionen antwortet.

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Foto: Gerald von Foris

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