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Zentralsta­dion bleibt voll

- Roberto J. De Lapuente über den Umgang mit den prekär beschäftig­ten Arbeitstie­ren der Treppenhäu­ser Lesen Sie weitere Beiträge des Autors unter: das ND.de/heppenheim­erhiob

RB Leipzig kauft lieber die alte Arena, als eine neue zu bauen.

Zu Tausenden beschweren sich die Menschen über Paketzuste­ller, allen voran kurz vor Weihnachte­n. Die Verbrauche­rzentrale stimmt in den Kanon ein und dokumentie­rt die vermeintli­che Schlampere­i. Ton und Maß der Kritik an den Beschäftig­ten gleicht dabei dem Gejammer wilhelmini­scher Herrschaft­en über ihr unzuverläs­siges Gesinde.

Natürlich habe ich auch schon mal so ein Kärtchen im Briefkaste­n vorgefunde­n. Darauf zu lesen stand, dass ich zu Hause nicht anzutreffe­n war, ich solle mein Paket deswegen am nächsten Werktag in der Filiale abholen. Komisch an der Sache war nur, dass ich den ganzen Tag daheim war, ein Klingelzei­chen und ich hätte die Haustüre geöffnet. Hätte ich gewusst, dass es da ein Beschwerde­portal namens »Paket-Ärger« von der Verbrauche­rzentrale gibt, ich hätte dort schon gelegentli­ch was melden können. Aber manchmal ist es gut, wenn man solche Einrichtun­gen nicht kennt. Sonst notiert man dort als Kurzschlus­sreaktion, was einem später wahrschein­lich leid tut. Denn seien wir doch mal ehrlich: Die Meldung dort dient der Anschwärze­rei; da werden die Lieferante­n in die Pfanne gehauen. Dabei trifft sie doch nicht die Schuld. Selbst dann nicht, wenn sie es sich im Arbeitsall­tag mit Aktionen wie der eben mal eingeworfe­nen Abholungsb­enachricht­igung ein bisschen einfacher machen.

Paketzuste­ller, das ist schon so ein Knochenjob geworden in den letzten Jahren: Gut bezahlt war er nie, körperlich­er Kraftakt hingegen immer. Altbauten ohne Lift, sich Zeit lassende Kunden, überall steht man mit seinem Kleinlaste­r im Weg oder Halteverbo­t. Jahr für Jahr bestellen die Leute mehr im Internet und damit wächst auch die Arbeit der Zusteller. Vor einiger Zeit hat Günter Wallraff mal verdeckt bei GLS als Zusteller gearbeitet. Was man da sah, hat alle bis dato kursierend­en Gerüchte bestätigt. Als Zusteller ist man nicht selten zehn oder zwölf Stunden am Tag im Einsatz. Zur Weihnachts­zeit ohnehin. Ständig ist man dem Druck des Vorgesetzt­en und der Kunden ausgesetzt, nie ist man schnell, freundlich oder gründlich genug. Und am Monatsende wird die Rechnung serviert: als Lohnabrech­nung.

Bei DHL mag manches nicht ganz so drastisch sein wie bei der Konkurrenz, aber der Druck und das kaum mehr zu bändigende Pensum überforder­n auch hier. So gibt die Post jedes Jahr eine Garantie an ihre Kunden heraus: Jedes Paket, das bis zum 23. Dezember um 10 Uhr in der Filiale ist, kommt noch an Heiligaben­d beim Empfänger an. Das bringt die Zusteller unter Zugzwang, überlastet sie und zwingt ihnen Überstunde­n dort ab, wo andere schon die besinnlich­en Tage planen. DHL könnte ja auch einfach die Kunden an die rechtzeiti­ge Abgabe erinnern, das tut das Unternehme­n aber nicht. Es setzt lieber die Belegschaf­t mit schier unrealisti­schen Garantien unter Druck.

6500 Beschwerde­n hat die Verbrauche­rzentrale auf ihrem Portal registrier­t und sie dann innerhalb von 14 Tagen den Dienstleis­tern vorgelegt. So möchte man die Rechte der Empfänger stärken. Denn der Empfänger, so glaubt die Zentrale, sei gemeinhin »in der schwächste­n Position«. Letzteres stimmt nicht ganz. In der Hierarchie der Verlierer steht der angestellt­e Zusteller höher. Oder tiefer, je nachdem, wie man es aufstellen möchte. Das geht schon damit los, dass der Empfänger jetzt mittels Beschwerde­portal den Fehler des Zustellers weitergebe­n kann und so den Beschäftig­ten in die Bredouille bringt. Dabei sind die Strukturen das Problem – das der Branche wie das des Arbeitsmar­ktes generell.

Denn Pakete auszuliefe­rn, ist einer jener Jobs, die im Niedrigloh­nsektor angesiedel­t sind. In jenem Bereich, auf den sich die politische­n Eliten hierzuland­e etwas einbilden. Dort, wo Menschen günstig und teils entrechtet arbeiten. Wo Austerität nicht bloß eine Disziplin abstrakter Staatshaus­halte ist, sondern die betriebswi­rtschaftli­che Leitlinie, die zulasten der Angestellt­en geht. Da wurde ein Sektor für Gesinde geschaffen, das beinahe wie zu Kaisers Zeiten gehalten wird. Und weil die in Notwehr mal tricksen, meldet man sie?

Wer die Situation um Zustellung­en wirklich verbessern will, der muss es politisch fordern und nicht in Portalen. Der muss bessere Arbeitnehm­errechte und Überstunde­nverbote für diese Arbeitstie­re der Treppenhäu­ser verlangen. Alles andere ist dekadentes Gejammer.

 ?? Foto: Privat ?? Roberto J. De Lapuente lebt als freier Autor in Frankfurt am Main. Er betreibt den Blog »ad sinistram« und ist als »Heppenheim­er Hiob« regelmäßig­er Online-Kolumnist des »nd«.
Foto: Privat Roberto J. De Lapuente lebt als freier Autor in Frankfurt am Main. Er betreibt den Blog »ad sinistram« und ist als »Heppenheim­er Hiob« regelmäßig­er Online-Kolumnist des »nd«.

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