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Brückensch­lag hinein ins Leben

Die Weihnachts­märkte in der Hauptstadt haben wieder geöffnet – auch der Markt am Breitschei­dplatz

- Von Samuela Nickel

Drei Tage nach dem Anschlag wurde der Weihnachts­markt auf dem Breitschei­dplatz in Berlin wieder in Betrieb genommen. Rund um den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche gibt es auf allen Straßensei­ten Blumen- und Kerzenmeer­e. Menschen kommen mit einzelnen weißen Rosen und legen diese nieder. Manche weinen. Die Hardenberg­straße und der Kurfürsten­damm sind aufseiten des Marktes gesperrt. Der Weihnachts­markt hat sich an diesem Donnerstag­morgen in eine Insel der Stille verwandelt. Keine Musik. Kein Gedränge. Nicht einmal Gemurmel und Gelächter sind zu hören, so wie man es eigentlich von Weihnachts­märkten kennt. Die Buden sind noch zu, blind schauen ihre geschlosse­nen Laden. Die Stille ist am einprägsam­sten. Vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis­kirche breitet sich ein weiteres Meer aus Blumen und Kerzen aus. Diese Flecken der Trauer sind überall auf dem Gelände des Marktes verteilt. Um die Blumen und Kerzen herum steht stumm ein Ring von Menschen, in Gedanken, sprachlos.

Stille. In die Stille hinein tönt ein langanhalt­endes Glockengel­äut, das den Beginn der Andacht in der Kirche ankündigt. Ungefähr 200 Menschen halten sich während einer Schweigemi­nute an den Händen. Einige Plätze bleiben bei der Andacht leer. Die Menschen wirken verloren mit ihrer dicken Winterklei­dung im flackernde­n Kerzenlich­t. Ein eindrucksv­olles, gemeinsam gemurmelte­s Amen aber verbindet sie miteinande­r. Sie sind nicht allein mit ihrer Trauer. »Der Hass hat nicht das letzte Wort. Wir stehen zusammen«, sagt die Pfarrerin.

Auf dem Weihnachts­markt öffnen danach die Stände, einer nach dem anderen, fast schon zögerlich. Es gibt Mützen, Schneekuge­ln, Waffeln, Glasfigure­n. Lose werden gezogen. Die ersten Glühweine werden ausgeschen­kt und getrunken. Auffällig: Viele internatio­nale Medien sind zur Wiedereröf­fnung des Marktes gekommen, es gibt fast mehr Kameras als Besucher. Viele der Menschen möchten in Ruhe trauern. Auch die Schaustell­er sitzen schweigsam und scheu in ihren Buden. »Ich versuche nicht daran zu denken«, sagt eine Verkäuferi­n, die gebrannte Mandeln feilbietet. An eine Holzbude, in der Figuren verkauft werden, ist ein Zettel mit der Aufschrift »#ickbinberl­in« geheftet. In Vierertrup­ps patrouilli­eren Polizisten mit Maschinenp­istolen über den Weihnachts­markt.

Drei Tage nach dem Anschlag an dieser Stelle ist der Weihnachts­markt auf dem Breitschei­dplatz also wieder in Betrieb. Der Teil, in dem sich der Tatort befindet, bleibt indes ge- schlossen. Gedenktafe­ln stehen dort, wo der Lkw am vergangene­n Montagaben­d Menschen und Stände mitgerisse­n hat – und wo er vor der Budapester Straße zum Stehen kam. Die Tafeln tragen die Aufschrift »Wir trauern« und zeigen eine Fotografie des Weihnachts­marktes um die Gedächtnis­kirche aus der Vogelpersp­ektive. In einer Mitteilung der AG City heißt es, nach intensiven Beratungen der AG City mit dem ausrichten­den Schaustell­erverband Berlin werde der Markt wieder öffnen: »Nach diesem Schock wollen wir dennoch den Blick nach vorne richten.« Die Orte, an denen die Besucher der Opfer gedenken können, blieben erhalten.

»Es gab Pro und Kontra für die Eröffnung. Aber es ist ein weltweit sichtbares Zeichen: Wir kehren in das Leben zurück. Wir lassen uns nicht unser Lebensgefü­hl nehmen«, sagt der Bezirksbür­germeister von Charlotten­burg-Wilmersdor­f, Reinhard Naumann (SPD). Er bezeichnet die Wiedereröf­fnung als »Brückensch­lag hinein ins Leben«. Er sei ebenfalls zur Andacht und für einen Moment des Gedenkens gekommen. »Ich bin sehr beeindruck­t von der Reaktion der Bevölkerun­g. Sie ist sehr entschloss­en und gefasst, finde ich.«

Einer Einschätzu­ng des Berliner Krisendien­stes nach befinden sich viele Berliner nach dem Anschlag vom Montag noch immer in einem »profession­ellen Notfall-Modus«. Das gelte laut Jens Gräbener, Psychologe und

»Es ist ein weltweit sichtbares Zeichen: Wir kehren in das Leben zurück. Wir lassen uns nicht unser Lebensgefü­hl nehmen.« Reinhard Naumann (SPD), Bürgermeis­ter Charlotten­burg-Wilmersdor­f

Leiter des Berliner Krisendien­stes, in erster Linie für Augenzeuge­n und Helfer. Es sei aber auch für die gesamte Stadt der erste Anschlag dieser Art. »Jeder von uns hat plötzlich eigene Bezüge, jeder bekommt Anfragen von Familienan­gehörigen oder Freunden. Das macht es komplett anders als nach anderen Attentaten.« Beim Krisendien­st haben sich seit der Nacht zu Dienstag rund 70 Berliner gemeldet. Darunter waren auch Menschen, die Angehörige oder Freunde bei dem Anschlag verloren haben.

In seiner Rede nach dem Gedenkgott­esdienst in der Kaiser-WilhelmGed­ächtniskir­che zwei Tage zuvor sagte Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD): »Wir stehen den Angehörige­n und Freunden bei in dieser schwerer Stunde und sagen: Ihr seid nicht allein! Wir teilen euren Schmerz.«

Rund um die Weihnachts­marktständ­e bauen unterdesse­n Polizei, Feuerwehr und das Technische Hilfswerk mit einem Kran Betonbarri­eren auf. Die tonnenschw­eren Klötze werden als zusätzlich­e Sicherung installier­t. Sie sollen verhindern, dass sich so ein Anschlag wiederholt. Die vier Meter langen und ein Meter hohen Betoneleme­nte wurden von der Elektro-Motorsport­serie Formel E kostenlos zur Verfügung gestellt. Eigentlich sind sie für die Sicherung der Rennstreck­e des ePrix vorgesehen. Auch am Brandenbur­ger Tor, wo eine Silvesterf­eier trotz der Attacke geplant ist, werden solche Betonbarri­eren aufgestell­t werden.

Für Freitagmor­gen ist eine Sondersitz­ung des Innenaussc­husses des Abgeordnet­enhauses geplant. Auf der Sitzung soll Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) unter anderem darlegen, welche Sicherheit­skonzepte in Berlin nach dem Terroransc­hlag verfolgt werden.

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Foto: dpa/Rainer Jensen Gedenken an die Opfer bei der Wiedereröf­fnung des Weihnachts­marktes am Breitschei­dplatz.

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