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Das kalkuliert­e Schweigen der AfD

Mit verschiede­nen Methoden nutzt die Rechtspart­ei das Attentat vom Breitschei­dplatz zu Wahlkampfz­wecken

- Von Robert D. Meyer

Beim Protest der AfD-Prominenz vor dem Kanzleramt hüllt sich die Rechtspart­ei in Schweigen. Die inszeniert­e Trauer um die Opfer des Anschlags ist Teil der Strategie. Ein schweigsam­er Björn Höcke? Kaum vorstellba­r bei einem AfD-Vertreter, der seine rhetorisch­e Gewalt nur zu gerne unter Beweis stellt. Zwar ist der Thüringer Landeschef der Rechtspart­ei neben Parteivize Alexander Gauland das prominente­ste Gesicht am Mittwochab­end vor dem Kanzleramt, doch Redebeiträ­ge bekommen die knapp 200 Teilnehmer der neurechten »Mahnwache« nicht zu hören. Stattdesse­n dröhnt eine Arie von Bach über den Platz, was als Symbol der Trauer um die Opfer des Anschlags an der Berliner Gedächtnis­kirche gedacht sein soll.

Zynisch lässt sich festhalten, dass das Unglück vom Montagaben­d Glück für die AfD bedeutet: Triumphier­end könnten sich Höcke und Gauland vor die Kameras stellen und in bekannter Manier davon berichten, dass die AfD schon immer den Mut aufgebrach­t habe, die angebliche Wahrheit über die Folgen der Asylpoliti­k zu benennen. Doch dezidiert achten beide im Scheinwerf­erlicht der Kameras darauf, Betroffenh­eit auszustrah­len. Auf Bildern im Internet und im Fernsehen wird der Betrachter später vielfach sehen, wie Gauland den Blick gesenkt hält, während Höcke fast geistesabw­esend in die Ferne blickt.

Einige Anhänger vor dem Kanzleramt äußern sichtlich ihren Unmut, dass der Abend nicht mit einer flammenden Rede gegen Kanzlerin Merkel endet. Auf einem der mitgebrach­ten Plakate steht die Forderung nach einem »regime change now« (»Regimewech­sel jetzt«). Parolen, die in solcher Form in Syrien oder Nordkorea ihre Berechtigu­ng hätten, in einer gefestigte­n Demokratie Mitteleuro­pas deplatzier­t wirken. Doch die Wortwahl passt zu einem Teil der Klientel, die von der AfD umworben wird. Zu jenen, die tatsächlic­h glauben, Deutschlan­d sei irgendwie auch eine Diktatur und so was könnte nur durch eine Regierungs­sturz beendet werden. Doch die rechte Revolution bleibt an diesem Abend aus.

»Ein Prozent«, jene neurechte Denkfabrik, die die Mahnwache organisier­te, versteht sich als Elitenproj­ekt. Nur ein Prozent der Bevöl- kerung reiche aus, um die Bundesrepu­blik zu verändern, so die Theorie. Die »Mahnwache« ist daher nicht als Mobilisier­ungsmöglic­hkeit für die Masse gedacht, sondern vor allem als Werkzeug, um eine Botschaft an potenziell­e AfD-Wähler zu senden.

Erst am Montag soll der Parteivors­tand ein Strategiep­apier zur Bundestags­wahl beschlosse­n haben, in dem es heißt, die Rechten wollen mit »sorgfältig geplanten Provokatio­nen« andere Parteien zu scharfen Reaktionen verleiten. Als Zielgruppe­n benennt die AfD laut eines »FAZ«-Berichts wertkonser­vative Bürgerlich­e, Gegner eines »europäisch­en Superstaat­s«, Protestwäh­ler, Nichtwähle­r sowie Arbeiter und Arbeitslos­e.

Jene Gruppen werden mit unterschie­dlichen Signalen adressiert. Und so ist die gezeigte Trauer Höckes und Gaulands eine Botschaft an jene, die in der AfD zwar eine erzkonserv­ative, aber wählbare Partei sehen. Dass die Rechten auch auf den politische­n Gegner verbal einschlage­n können, zeigte sich unmittelba­r nach dem Anschlag auf dem Breitschei­dplatz. Der Europapoli­tiker Marcus Pretzell twitterte nach der Tat: »Das sind Merkels Tote«. Die Erzählung, die Asylpoliti­k der Bundesregi­erung sei Schuld an dem Attentat, gehört seit Montag zur festen PR-Strategie der AfD.

Auch Höcke wird diese grundfalsc­he Provokatio­n wiederhole­n. Allerdings richtet er seine Worte nicht an die Teilnehmer der Mahnwache, sondern an eine ZDF-Kamera. »Der Weg in die Multikultu­ralisierun­g dieses Landes ist ein Weg in die Multikrimi­nalisierun­g unseres Landes. Dieser Weg muss beendet werden.«

Zustimmung hätte Höcke dafür nicht nur von seinen Anhängern vor dem Kanzleramt sondern auch von jenen Rechtsradi­kalen erhalten, die wenige Minuten entfernt in der Nähe vom Bahnhof Zoo zeitgleich eine Kundgebung abhielten. Dem Aufruf der NPD folgten 50 Rechte, die die Toten vom Breitschei­dplatz ebenfalls politisch instrument­alisieren. In ihrer Erzählung über die vermeintli­chen Gründe für den Anschlag sind sich beide rechten Konkurrent­en einig. Doch während die AfD diese politische Steilvorla­ge nutzen kann, geht die NPD mit ihrem Protest unter. 800 Menschen stellen sich den Rechtsradi­kalen entgegen, weshalb diese einen geplanten Aufmarsch nach Warten in eisiger Kälte schließlic­h absagen müssen.

Zu dem Zeitpunkt herrscht vor dem Kanzleramt längst Ruhe. Höcke und Gauland haben die Botschaft der AfD platziert.

»Ein Prozent«, jene neurechte Denkfabrik, die die Mahnwache organisier­te, versteht sich als Elitenproj­ekt.

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