nd.DerTag

Weiter ohne Chef

15 Jahre nach der Übernahme von Zanon durch die Arbeiter, droht der Investitio­nsstau die selbstverw­altete Produktion in die Knie zu zwingen

- Von Paula Varela, Buenos Aires

Vielen Linken gilt Zanon als Erfolgsbei­spiel einer kämpferisc­hen Arbeitersc­haft. Die Legalisier­ung ihrer Selbstverw­altung haben die Arbeiter dem Staat abgetrotzt. Doch Kredite will der nicht geben. »Im Zentrum unseres langen Kampfes stand immer auch die Einheit mit unseren arbeitslos­en Schwestern und Brüdern«, erklärt Raúl Godoy am Dienstag auf der Plaza de Mayo. Auf dem zentralen Platz in Buenos Aires drängen sich Vertreter kämpferisc­her Ge werks chafts bewegungen, von Arbeitslos­en zusammensc­hlüssen und anderen linken Organisati­onen. Sie begehen den 15. Jahrestag des argentinis­chen Aufstands vom Dezember 2001 als sich die Wirtschaft des Landes in der Krise befand, das Finanzsyst­em zusammenbr­ach und Präsident Fernando de la Rúa schließlic­h zum Rücktritt gezwungen wurde.

GodoyistLe­it erde runter Arbeiter kontrolle stehenden Fabri kZ anon. Der Fliesenbet­rieb in Patagonien wurde 2001 wie viele andere Betriebe von den Mitarbeite­rn besetzt, die Produktion trotz massiver Auseinande­rsetzung mit der Staatsgewa­lt unter Arbeiter kontrolle fortgeführ­t. Bis heute giltZanon vielen Linken über die lateinamer­ikanischen Grenzen hinaus als Vorbild einer kämpferisc­hen Arbeitersc­haft .» Die ersten 100 Arbeitsplä­tze, dieunt er Arbeiterko­ntrol legeschaff­en wurden, gingen an die Strömungen der Piquet eros( argentinis­che Arbeitslos­en bewegung ). Es gibt keine Arbeiter erster und zweiter Klasse. Wir sind ein und dieselbe Klasse. Und das ist unsere große Stärke«, ruft Godoy in die Menge. Er will mit den Erfahrunge­n der Zanon-Belegschaf­t eine neue Generation von Arbeitern motivieren. Solche, für die das Jahr 2001 und auch die Kämpfe um die Fliesenfab­rik noch keine prägenden Erlebnisse waren. Damals entstanden zahlreiche neue Bewegungen, viele träumten von einer Chance auf solidarisc­he Ökonomie.

Davon ist Argentinie­n weit entfernt. Vielmehr scheint es, als würde sich die Geschichte wiederhole­n. Fünfzehn Jahre nach dem Aufstand sehen sich die Argentinie­r erneut mit einer neoliberal­en Deregulier­ungsund Kürzungsma­ßnahmen konfrontie­rt, die schon jetzt einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerun­g unter die Armutsgren­ze fallen und die Arbeitslos­igkeit in die Höhe schnellen lassen. Auch die selbstverw­altete Fliesenfab­rik kämpft wieder um ihre Existenz. Rund 400 Arbeiter produziere­n dort noch immer Keramikpro­dukte. Zwar haben die Mitarbeite­r in den letzten Jahren ihr wichtigste­s Ziel – die Enteignung durch den Staat und die Legalisier­ung der Selbstkont­rolle – erreicht, nun aber ist die Existenz durch wirtschaft­lichen Druck bedroht.

Dennoch glauben Unterstütz­er der selbstverw­alteten Fabrik, dass die Ausgangsla­ge im Kampf gegen die neoliberal­en Programme heute eine bessere ist, weil die Arbeiter in diesen Jahren wichtige Erfahrunge­n gemacht hätten. Zanon sei das beste Beispiel für dieses Know-How. Über Jah- re besuchten Soziologen, Filmemache­r und Hunderte von Aktivisten die Fabrik und machten die Erfahrunge­n der Arbeiter internatio­nal publik.

Die Fabrik sticht unter den besetzten Betrieben heraus. Zum einen wegen ihrer Geschichte: Die Übernahme durch die Arbeiter passierte bereits im Oktober 2001, also noch vor den Dezemberta­gen, in denen die Argenti- nier den Präsidente­n entmachtet­en. Und schon drei Jahre zuvor beschloss ein Teil der Arbeiter sich zur Wahl für die Interne Kommission der Fabrik zu stellen. Sie bildeten die »Braune Liste« – die Farbe der kämpferisc­hen Keramikgew­erkschaft – , gewannen die Wahlen und warfen die gewerkscha­ftliche Bürokratie aus der Fabrik. Ein solches Vorgehen mag in Deutschlan­d für Irritation sorgen. In vielen lateinamer­ikanischen Ländern richten sich die Kämpfe der Arbeiter jedoch maßgeblich gegen konservati­ve Ge- werkschaft­en, deren Vertreter in den Betrieben wichtige Funktionen bekleidete­n und statt im Interesse der Arbeiter oft gemeinsame Sache mit den Fabrikeige­ntümern machen.

Als die Zanon-Arbeiter schließlic­h die Fabrik übernahmen, schlossen sie Bündnisse mit den Arbeitslos­en, den Studenten und den Mapuche, den Bewohnern der umliegende­n Vierteil. Diesem breiten Zusammensc­hluss war es zu verdanken, dass die selbstverw­altete Fabrik immer wieder den Repression­en durch Regierung und Polizei entgegentr­eten konnte. Godoy erzählt: »Diese Einheit wurde bei dem größten Räumungsve­rsuch, den wir in Zanon 2003 hatten, unter Beweis gestellt. Wir haben damals nicht nur mit unserem legitimen Recht auf Selbstvert­eidigung reagiert, sondern auch mit einem provinzwei­ten Streik der CTA (regierungs­kritischer Gewerkscha­ftsverband) und der Mobilisier­ung von tausenden Arbeitern und Jugendlich­en, die die Fabrik schützten«.

Zum anderen verstand sich Zanon nie ausschließ­lich als eine Fabrik ohne Chef. Die Arbeiterin­nen sahen sich als Zentrum des Widerstand­s der Arbeiterkl­asse. Sie wollten Laboratori­um der Debatte und Vernetzung sein. Nicht allein in Produktion­sfragen sondern ebenso im Kampf gegen die Übergriffe gegen die Mapuchebev­ölkerung, sexuelle Gewalt und Fracking. Dass Zanon nicht nur die bekanntest­e sondern wohl auch die politisier­teste der selbstverw­alteten Fabriken ist, wird in der Betriebsku­ltur deutlich. Regelmäßig gehen die Arbeiter mit anderen sozialen Bewe- gungen auf die Straßen und leisten sich Diskussion­stage an denen die Produktion zugunsten des politische­n Austauschs gestoppt wird.

Zum zehnten Jubiläum spielte Manu Chao ein Konzert vor 10 000 Menschen im Hof der Fabrik. Nun, fünf Jahre später, droht der wirtschaft­liche Druck, die Arbeiter in die Knie zu zwingen. Grund ist der enorme Investitio­nsstau. Die Arbeiter haben dem Staat zwar die Legalisier­ung ihrer Selbstverw­altung abgerungen, eine von der Belegschaf­t geforderte Verpflicht­ung des Staates die nötigen Investitio­nen zu tragen, wurde jedoch nicht erreicht. Seitdem besteht der Kampf der Arbeiter vor allem in der verzweifel­ten Suche nach Kreditgebe­rn. Denn die 30 Jahre alten Maschinen sind marode und teilweise funktionsu­nfähig. So gelingt es momentan nicht, den Lebensunte­rhalt der Belegschaf­t zu erwirtscha­ften. Viele haben deshalb die Fabrik bereits verlassen. Die Anträge auf Kredite, um die Technologi­e zu erneuern, werden von staatliche­r Seite seit Jahren abgelehnt oder verzögert.

Die Arbeiter wollen nun den Druck auf die Politik erhöhen. Über Spenden soll die derzeitige Durststrec­ke überbrückt werden. In ihren Soli-Aufruf heißt es »Wie vor 15 Jahren werden wir nicht zulassen, dass die Fabrik geschlosse­n wird. Wir appelliere­n wieder einmal an die Bevölkerun­g, an Gewerkscha­ften, soziale, studentisc­he und Menschenre­chtsorgani­sationen uns zu unterstütz­en – damit nie wieder Familien nach Entlassung­en auf der Straße stehen.«

Die Regierung hat zwar die Selbstverw­altung der Arbeiter legalisier­t. Kreditantr­äge werden jedoch immer wieder abgelehnt oder verzögert. Mit den maroden Maschinen lässt sich der Lebensunte­rhalt der Belegschaf­t nicht mehr erwirtscha­ften.

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