Zurück ins alte Amt
Unterwegs mit Dagmar Pohle, die wieder Bürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf ist
Die Funktion kennt sie, doch dieses Mal steht sie vor einer neuen Herausforderung: Die AfD ist in Marzahn-Hellersdorf zweitstärkste Kraft. Der Stadtrat der Rechten ist Dagmar Pohles Stellvertreter. Wenn Dagmar Pohle aus dem Fenster ihres Büros schaut, blickt sie mitten hinein ins Leben ihres Bezirks: Auf Buden und Karussells eines Weihnachtsmarkts, dahinter liegt einer der Hauptverkehrsknotenpunkte von Marzahn-Hellersdorf. Ringsherum bilden Wohnkasernen den Horizont vor dem Grau des Dezembernachmittags.
Dagmar Pohle, braune kurze Haare, randlose Brille, ist Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf. Ihre Partei, die LINKE, holte bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 18. September die meisten Stimmen. Das Amt ist für sie nicht neu, Pohle stand schon einmal dem Bezirksamt vor: von 2006 bis 2011. Zwar holte die Linkspartei auch bei den Wahlen im Jahr 2011 die meisten Stimmen vor Ort, aber damals hatten sich SPD, CDU und Grüne zu einer Zählgemeinschaft zusammengetan und wählten einen SPD-Bürgermeister.
Dabei kennt vermutlich kaum jemand Marzahn-Hellersdorf so gut wie Pohle: Seit 38 Jahren lebt sie in dem Bezirk, der kurz zuvor erst aus dem Boden gewachsen war. 1979 wurde um das Dorf Marzahn herum der gleichnamige Bezirk gegründet. Zwischen Ende der 1970er und Ende der 1980er Jahre zogen so viele Menschen in die neu gebauten Hochhaussiedlungen, dass 1986 der Bezirk Hellersdorf ausgegründet wurde. Erst zur Bezirksreform im Jahr 2001 wurden die beiden Ortsteile wieder zusammengelegt. Heute hat der Bezirk etwa 260 000 Einwohner.
Nach Ende ihres Studiums der Philosophie arbeitete Pohle in der kommunalen Verwaltung. Nach der Wende 1990 wurde sie Stadtverordnete für die SED/PDS und leitete den Sozialausschuss. Noch im gleichen Jahr trat sie für das Abgeordnetenhaus an und wurde prompt gewählt. »Mich kannten viele, meine Kinder sind hier in die Kita und in die Schule gegangen, ich war gesellschaftlich aktiv.« Im Jahr 2002 wurde Pohle Bezirksstadträtin von Marzahn-Hellersdorf, 2006 dann Bürgermeisterin. Zu ihrer damaligen Dienstzeit gibt es heute eine entscheidende Veränderung: Von allen Bezirken erhielt die AfD in Marzahn-Hellersdorf die meisten Stimmen und landete auf dem zweiten Platz hinter der LINKEN. Deshalb steht der AfD der Posten des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters zu. Ist Pohle krank oder im
»Ich habe kein Interesse daran, dass jemand den Bezirk nach außen vertritt, der diesem Verständnis nicht gerecht wird.« Dagmar Pohle, LINKE
Urlaub, wird sie bei repräsentativen Auftritten ab jetzt von Thomas Braun vertreten. Ob sie sich unter Druck fühlt, nicht krank werden zu dürfen? »Ja. Unser Bezirk steht für Toleranz«, sagt Pohle. »Ich habe kein Interesse daran, dass jemand den Bezirk nach außen vertritt, der diesem Verständnis nicht gerecht wird.«
Bisher habe die AfD vor allem Fragen mit Flüchtlingsbezug gestellt. »Die AfD schürt zielgerichtet irrationale Ängste«, sagt Pohle. Dabei geht es um ganz grundsätzliche Bedürfnisse, zum Beispiel Kita-Plätze und die Behauptung, Flüchtlingskinder würden deutschen Kindern diese wegnehmen. »Bei Flüchtlingen haben wir bei weitem keinen so hohen Versorgungsgrad von Kita-Plätzen wie bei Menschen, die schon länger hier wohnen«, hält Pohle dagegen. In den Schulen sei die Situation tatsächlich zum Teil angespannt: Der seit Jahren alternde Bezirk hatte jahrelang Schulplätze abgebaut. Jetzt kämen seit kurzem wieder junge Familien aus anderen Teilen Berlins nach Marzahn-Hellersdorf, deshalb würden jetzt wieder Plätze gebraucht. Der Bezirk baut dagegen an: »Wir bauen neu, wir sanieren Schulen.« Vereinzelt gebe es Schwierigkeiten. »Aber das ist kein gesellschaftliches Problem.«
Das versucht Pohle in Gesprächen mit den Bewohnern des Bezirks auch zu vermitteln. Wenn neue Flüchtlingsunterkünfte eröffnen, spricht Pohle mit den Nachbarn. Bevor Flüchtlinge in neue Heime einziehen, werden Anwohner zum Tag der offenen Tür eingeladen. Das habe sich am Blumberger Damm bewährt. »Die Nachbarn wissen, wer die Ansprechpartner sind. Probleme zwischen Nachbarn können nie ausgeschlossen werden. Die können sie nun auf kurzem Wegen klären.«
In der Regel hat Pohle jeden Tag mindestens einen Termin außerhalb ihres Büros. An diesem Montag wird sie um 16 Uhr im katholischen DonBosco-Zentrum in Marzahn erwartet. Die Linksfraktion im Bezirk richtet jedes Jahr eine Weihnachtsfeier für die Kinder aus einer nahe gelegenen Obdachlosenunterkunft aus. Als sie ankommt, wird Pohle von der Leiterin des Heims empfangen und herzlich umarmt. Pohle ist zunächst etwas enttäuscht, weil nur wenige Kinder da sind. Ein Mädchen namens Sayara trägt ein Weihnachtsgedicht vor. Dann ruft Pohle jedes Kind namentlich auf und überreicht ein Geschenk. Schüchtern nehmen die meisten es entgegen. Am Ende ist es doch noch voll geworden an den Tischen. Pohle freut sich: »So habe ich mir das vorstellt. So ein Gewusel.«