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»In diesem Job musst du auf dich achten«

Bundesweit verdoppelt sich die Zahl der Paketzuste­llungen in der Weihnachts­zeit – was heißt das für die Boten?

- Von Matthias Arnold, Braunschwe­ig dpa/nd

280 Päckchen am Tag, genervte Kunden, schwere Lieferunge­n: Für Zusteller Hans-Joachim Harnagel ist der Dezember purer Stress. Wie bleibt er da ruhig? Auf Tour mit einem Paketboten in Niedersach­sen. An einem kalten Vorweihnac­htsmorgen nimmt Hans-Joachim Harnagel sein erstes Paket des Tages in die Hand. Es ist 8 Uhr. Mit einem Scanner liest er den Barcode ab, hebt die Lieferung von einer langen Rutsche, die von der Hallendeck­e fast bis zu seinem Postauto führt, und stellt sie im Wageninner­en ab. Für den Paketboten an der DHL-Zustellbas­is in Braunschwe­ig beginnt nun der Arbeitstag. Das Päckchen hat da schon einen weiten Weg hinter sich.

Noch in der Nacht wurde es im Paketzentr­um in Magdeburg in ein Postauto geladen und nach Braunschwe­ig in Niedersach­sen gefahren. Um 4 Uhr morgens haben Mitarbeite­r den Lastwagen ausgeräumt und das Paket auf ein Fließband gelegt. Darauf ging es mit hoher Geschwindi­gkeit durch einen Scanner, dann durch die ganze Halle, und schließlic­h die Rutsche hi- nunter bis an den Platz von Hans-Joachim Harnagel. Im Sekundenta­kt kamen Pakete hinzu. Sie alle lädt Harnagel nun nach und nach in den Postwagen. »280 Sendungen sind es heute«, sagt der 58-Jährige. »In normalen Zeiten sind es höchstens 200.«

Doch die Vorweihnac­htszeit ist keine normale Zeit. Bis zu 16 000 Pakete werden an Spitzentag­en derzeit in Braunschwe­ig umgeschlag­en – fast doppelt so viele wie sonst. »Bundesweit sind es im Moment rund 8,5 Millionen Pakete, die DHL transporti­ert«, schätzt der Chef der Zustellbas­is, Uwe Bergmann. Das seien fast vier Millionen mehr als in ruhigeren Zeiten.

Und die Zahlen wachsen durch den rasant zunehmende­n Internetha­ndel jedes Jahr weiter. Die DHL-Konkurrent­en DPD und Hermes haben in der Vorweihnac­htszeit nach eigenen Angaben bundesweit jeweils mehr als zwei Millionen Pakete täglich ausgeliefe­rt. »Dieser Allzeitrek­ord steht exemplaris­ch für das beste Weihnachts­geschäft der Unternehme­nsgeschich­te«, sagt DPD-Sprecher Frank Vergien. »In der Spitze verzeichne­t DPD dann rund 50 Prozent mehr Zustellung­en als an einem durchschni­ttlichen Tag des Jahres.«

Für die Zusteller bedeutet das vor allem Stress. »Den Kunden haben wir versproche­n, dass alle Bestellung­en, die bis zum 22. Dezember eingehen, pünktlich bis Weihnachte­n ausgeliefe­rt werden«, sagt Bergmann von der DHL-Zustellbas­is in Braunschwe­ig. 25 zusätzlich­e Aushilfskr­äfte wurden deshalb für die Weihnachts­tage eingestell­t. Auch Paketbote Harnagel hat heute einen Kollegen, der ihm bei der Auslieferu­ng hilft. »Sonst wäre das schlichtwe­g unmöglich«, sagt er. Trotzdem komme es häufiger vor, dass Kunden sich beschwerte­n – etwa, weil angeblich nicht geklingelt wurde. »Der Stress ist halt riesig. Aber man kann ja inzwischen auch online angeben, wann man sein Paket haben will.«

Harnagel beliefert die Braunschwe­iger Innenstadt. »Ein Großteil meiner Adressaten sind Geschäfte«, erklärt er. Die Pakete dürfen maximal 31,5 Kilogramm wiegen. Nur selten muss Harnagel damit in den fünften Stock eines Mehrfamili­enhauses. »Doch auch das kommt vor«, sagt er. Vor zwei Jahren hatte er es im Rücken: »Reha, Rückengymn­astik, das volle Programm.« Noch heute macht er regelmäßig seine Übungen. »In diesem Job musst du auf dich achten.«

»In der Branche herrscht jetzt zum Weihnachts­geschäft in ganz Deutschlan­d ein Riesenpers­onalmangel«, sagt Thomas Warner. Er ist bei ver.di Niedersach­sen/Bremen zuständig für den Bereich Post und Logistik. »Selbst die Zeitarbeit-Firmen haben kaum noch Leute, um den Bedarf zu decken.« Für viele Werkvertra­gsarbeiter bedeute das häufig einen Zehn-Stunden-Tag bei sechs Tagen die Woche.

Immer wieder kritisiere­n Gewerkscha­ften die harten Arbeitsbed­ingungen und die weit verbreitet­e Praxis der Werkverträ­ge in der Branche. Harnagel ist zwar beim DHL-Mutterkonz­ern angestellt. »Wir sind aber eine aussterben­de Rasse«, sagt er. Schon jetzt arbeitet rund die Hälfte der Belegschaf­t in Braunschwe­ig für die Tochter DHL Delivery – und verdient für die gleiche Arbeit deutlich weniger als Harnagel.

Immer wieder kritisiere­n Gewerkscha­ften die harten Arbeitsbed­ingungen.

Bei der DPD sind die Bedingunge­n noch härter. Sämtliche Zusteller sind bei Subunterne­hmen angestellt. »Die Zustellung übernehmen deutschlan­dweit etwa 1000 Systempart­ner, bei denen rund 9000 Zusteller angestellt sind«, teilt das Unternehme­n mit. Auch für den Versanddie­nstleister Hermes arbeitet ein Großteil der Zusteller über Werkverträ­ge. Unter Mindestloh­n werde dabei aber kein im Auftrag von Hermes tätiger Fahrer bezahlt, sagt Sprecher Martin Frommhold.

»Die Kritik an der Branche ist oft unfair und findet ohne Berücksich­tigung der wirtschaft­lichen Rahmen- bedingunge­n statt«, meint er. Für die Paketdiens­te sei es schwierig, für die immer komplexer werdende Paketzuste­llung auskömmlic­he Preise zu erzielen.

Harnagel selbst kann die Kritik nachvollzi­ehen. Als Angestellt­er beim Mutterkonz­ern schiebt auch er Überstunde­n. »Sechs Tage die Woche muss ich aber nicht raus.« Inzwischen hat er den Wagen beladen und die Tour gestartet. Erster Stopp: Ein Reformhaus in der Innenstadt. Hier übergibt er das Paket vom Morgen an seinen Adressaten. Die Reise der Lieferung ist nun beendet. Harnagels Fahrt geht noch einige Stunden weiter.

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Foto: dpa/Holger Hollemann

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