nd.DerTag

Wir schützen den Sport vor dem Sport

Leichtathl­etiklegend­e und Antidoping­aktivist Edwin Moses plädiert für Kollektivs­trafen bei systematis­chem Betrug

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Die Weltantido­pingagentu­r WADA will in Zukunft ganze Nationen von großen Sportevent­s ausschließ­en, wenn das Antidoping­programm in diesen Ländern nicht funktionie­rt. Was sagen Sie als ehemaliger Athlet dazu, der in seiner Laufbahn wegen eines Boykotts die Olympische­n Spiele verpasst hat? Ich habe mit vielen Athleten gesprochen, in den USA, in Kanada, in Großbritan­nien: Viele, auch die Athletenve­rtreter im Internatio­nalen Olympische­n Komitee selbst, waren enttäuscht von der IOC-Entscheidu­ng, russische Sportler doch in Rio starten zu lassen. Ich konnte wegen des politische­n Boykotts nicht zu den Spielen 1980 nach Moskau. Ich weiß also, wie sich so etwas für einen Sportler anfühlt: lange zu trainieren und dann nicht zum Höhepunkt zu dürfen. Aber jetzt war ich dennoch stolz darauf, wie mein eigener Verband, der Leichtathl­etikweltve­rband, gehandelt hat, der nur in einem Ausnahmefa­ll eine russische Athletin zuließ. Das war es, was viele Sportler wollten und was überall hätte getan werden müssen. Ist tatsächlic­h eine Mehrheit der Sportler dafür, dass bei Lücken im System alle Sportler eines Landes ausgeschlo­ssen werden und sich auch das Land für den Zeitraum der Sperre nicht um Olympische Spiele oder Weltmeiste­rschaften bewerben darf? Ja, das ist mein Eindruck. Historisch gesehen waren es doch immer nur die Athleten, die bestraft wurden. In den vergangene­n fünf bis zehn Jahren wurde das aber ausgeweite­t. Auch Trainer, Betreuer und Ärzte wurden zur Verantwort­ung gezogen. Das ist eine richtige Entwicklun­g. Und da ist es nur folgericht­ig, dass jetzt auch die Regierungs­instanzen, die Ministerie­n, die Sportorgan­isationen selbst an den gleichen Standards gemessen werden. Jedes Vertrauen ist doch verloren, wenn etwas passiert wie in Russland. Das saugt die Kraft aus den Sportlern. Denn sie müssen die Gewissheit haben, dass das System funktionie­rt – und dass diejenigen, die für das System verantwort­lich sind, bei dessen Versagen bestraft werden. Ist es nicht zu hart, Sportler für Fehler von Verbänden und Antidoping­organisati­onen zu bestrafen? Noch einmal: Sie kennen es, plötzlich ohne eigenes Verschulde­n ein Startverbo­t zu bekommen. Ja, aber das war 1980 ein politische­r Boykott. Jetzt liegt es meines Erachtens auch an den russischen Sportlern selbst, ihr System wieder in die richtige Spur zu bringen. Klar, das ist ein hartes Stück Arbeit. Aber jemand muss es machen. Und jemand muss verantwort­lich gemacht werden. Generell ist es wichtig, dass Russland wieder zurückkomm­t, dass sie es hinbekomme­n, das System in Ordnung zu bringen. Wir von außen können das nicht beherrsche­n. Wir können nur die Regeln aufstellen und hoffen, dass sie im Land genug Leute finden, die an den sauberen Sport glauben wie wir, und dass diese Leute ungestört arbeiten können. Wie war ihr Eindruck beim Stiftungsr­atstreffen der WADA im No- vember, als die neuen Sanktionsm­öglichkeit­en erstmals öffentlich diskutiert wurden? Gab es mehr Zustimmung oder mehr Widerstand? Ich war etwas besorgt, ob die Botschaft, die die Sportler uns mitgegeben hatten, auch bei den Funktionär­en gehört und danach gehandelt wird. Sportler sind ja davon abhängig, dass Organisati­onen wie die USADA, für die ich arbeite, oder die WADA, faire Bedingunge­n für alle durchsetze­n. Da hat sich auch etwas in der Wahrnehmun­g geändert. Frü- her wurden Antidoping-Agenturen und ihre Kontrolleu­re eher als Leute wahrgenomm­en, die nur bestrafen. Jetzt aber werden unsere Organisati­onen respektier­t als Hüter des fairen Sports, auch weil sie jeden Sportler verfolgen, ungeachtet seines Status’ oder seiner Nationalit­ät. Sie beschützen den Sport vor dem Sport, also vor den negativen Auswirkung­en des Sports. Ich bin froh, dass sich die WADA jetzt neu organisier­t und ein viel konsequent­erer Regulator im Sport wird. Wir brauchen diese neu- en Instrument­e und wir müssen sie einsetzen. Und wir müssen natürlich auch mehr Geld von den Sportorgan­isationen für unsere Arbeit fordern. Sie haben auch gute Kontakte ins IOC hinein. Wird von dort viel Widerstand kommen? Das IOC muss respektier­en, was eine Organisati­on wie die WADA beschließt. Es geht um den sauberen Sport, und das ist die Hauptsache. Was wird geschehen, wenn ein Land als nicht regelkonfo­rm mit dem WADA-Code erklärt wird, seine Sportler nicht starten können, es zum gleichen Zeitpunkt aber Gastgeber einer WM oder von Olympische­n Spielen ist? Dieses Szenario hatten wir ja schon in Brasilien. Ich hatte vor Jahren davor gewarnt, was passiert, wenn das Labor in Rio nicht voll funktionsf­ähig sein würde. Organisati­onen wie die FIFA vor der Fußball-WM 2014 und auch das IOC vor Olympia zwei Jahre danach haben diese Warnungen in den Wind geschlagen. Es war eine Schande, dass die FIFA während der WM die Kontrollen nicht vor Ort analysiere­n konnte. Auch bei Olympia gab es Pannen. Und es ist die Schuld von Organisati­onen wie FIFA und IOC, die ja für die Kontrollen während dieser Wettbewerb­e verantwort­lich sein wollen, dass vieles nicht klappte. Das alles passierte zwar auch in Zusammenar­beit mit der WADA, die Verantwort­ung lag aber bei FIFA und IOC. Wenn sie zu wirksamen Kontrollen nicht in der Lage sind, müssen sie die Aufgabe künftig der WADA übertragen. Soll die tatsächlic­h alle Kontrollen übernehmen? Das Kontrollbu­siness ist hart. Ich bin seit Jahrzehnte­n dabei, bin wohl der Athlet mit der längsten Erfahrung im Bereich Dopingkont­rollen. Schon in den 80er Jahren habe ich im Rahmen einer sowjetisch-amerikanis­chen Zusammenar­beit die ersten Computer für deren Kontrollla­bor aus den Vereinigte­n Staaten nach Moskau gebracht. Die hatten noch ganz simple Prozessore­n, aber es war ein Anfang. Wir hatten auch Ausrüstung und Richtlinie­n für die Kontrollen dabei, um das Labor ordentlich aufzubauen. Die Kontrollen selbst sind immer dann schwer, wenn die Politik ins Spiel kommt. Jetzt, nach mehr als 15 Jahren WADA, sind wir dabei, den Einfluss der Politik etwas zurückzudr­ängen. Das ist wichtig.

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Foto: imago/Sven Simon Edwin Moses bei seinem WM-Sieg 1987 in Rom.

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