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Die Pflicht, zu spielen

Die Bundesliga wollte nicht innehalten: Nach dem Anschlag in Berlin trafen die Fußballer von Hertha BSC auf Darmstadt 98

- Von Alexander Ludewig

Hertha BSC beendet das Jahr mit einem Sieg gegen Darmstadt und geht als Dritter in die Winterpaus­e. Spiel und Spieler standen noch unter dem Eindruck des Anschlags in Berlin. Polizisten mit Maschineng­ewehren, schweres Geschütz auf den Straßen und verstärkte Einlasskon­trollen – all das sollte ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Ja, nach dem Anschlag vom Montag auf den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz mit zwölf Toten wurde am Mittwochab­end im Berliner Olympiasta­dion Fußball gespielt. Hertha BSC empfing zum Jahresabsc­hluss Darmstadt 98. Dass der Ball rollt, soll ein Zeichen von Stärke sein: Das Leben geht weiter, unsere Freiheit lassen wir uns von Terroriste­n nicht nehmen.

Wie ein Verzicht auf einen Moment des Innehalten­s und der Trauer zum Desaster werden kann, war am 17. November 2015 in Hannover zu erleben gewesen. Nur vier Tage nach den Terroransc­hlägen in Paris, wo die deutsche Nationalma­nnschaft gegen Frankreich gespielt hatte, sollte das Länderspie­l gegen die Niederland­e unter allen Umständen ausgetrage­n werden. Dann kam anderthalb Stunden vor dem Abpfiff die kurzfristi­ge Absage. Das trug ebenso wenig zur Beruhigung bei wie die nachfolgen­de Pressekonf­erenz. »Ein Teil der Antwort würde die Bevölkerun­g verunsiche­rn.« Mit diesem Satz hatte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) damals mehr Angst und Schrecken als Ruhe verbreitet.

Den Gedanken an eine Absage äußerte auch nun niemand. Und die Gefahrenla­ge in Berlin ließ die Austra- gung des Spiels am Mittwoch offenbar zu. Fast 32 000 Zuschauer waren gekommen, für die Verantwort­lichen von Hertha BSC eigentlich zu wenig. Zuletzt war das Olympiasta­dion vor drei Jahren und neun Monaten schlechter besucht, beim Zweitligas­piel gegen den MSV Duisburg. Die Diskussion­en über den Neubau eines reinen Fußballsta­dions werden Verein und Stadt weiterhin beschäftig­en.

Angesichts der aktuellen Situation in der Hauptstadt war die Zahl der Besucher erstaunlic­h. »Berlin bleibt stark«, war auf einem großen Banner in der Ostkurve zu lesen. Vor dem An- Berlins Trainer Pal Dardai über den Umgang seiner Spieler mit dem Anschlag pfiff, während der Schweigemi­nute für die Opfer vom Breitschei­dplatz, erstrahlte der Innenraum des Stadions – erleuchtet von den Smartphone­s der Zuschauer. Alle, die gekommen waren, setzten ein öffentlich­keitswirks­ames Zeichen. Und jeder einzelne nutzte den kühlen Mittwochab­end wohl auch für sich: der Stadionbes­uch als ein Stück Normalität in einer schwierige­n Zeit. So lautete zumindest der Tenor unter befragten Fans.

»Der Jubel war ein anderer«, sagte Pal Dardai nach dem Spiel. Seine Berliner Mannschaft hatte nach Toren von Marvin Plattenhar­dt und Salomon Kalou mit 2:0 gewonnen. Im Vorfeld der Partie hatte der Trainer von Hertha BSC über die Probleme seiner Spieler berichtet. Zur Aufarbeitu­ng des Geschehene­n gehörten Gespräche in der Kabine und ein Besuch am Breitschei­dplatz. Am Mittwochna­chmittag hatten Team, Trainer und Manager Michael Preetz vor der Gedächtnis­kirche einen Kranz niedergele­gt.

Dass Normalität im Umgang mit dem schrecklic­hen Ereignis vom Montag hilft, hat Dardai schnell gemerkt. »Wenn der Ball kommt, musst du handeln, dann kannst du ein paar Dinge vergessen«, meinte er am Dienstag. Da hatten seine Fußballer gerade das erste Training hinter sich. Ungewisshe­it vor dem Ernstfall am Mittwochab­end war trotzdem geblieben: »Ich weiß nicht, wie es wird«, hatte er mit Blick auf das Duell mit Darmstadt gesagt.

Nach der Partie war Dardai erleichter­t. Seine Spieler verglich er mit Kindern, das Spiel mit einer Ablenkung: »Wenn der Ball rollt, sind sie mutiger.« Wirklich mutig wirkten die Berliner Fußballer in den 90 Minuten nicht. In der ersten Halbzeit ließen sie sich von den abgeschlag­en am Tabellenen­de stehenden Darmstädte­rn sogar den Schneid abkaufen. Die Abwehr wirkte gerade in den ersten 45 Minuten verunsiche­rt, im Spiel nach vorn fehlte die Entschloss­enheit. Klare Torchancen hatte Hertha BSC nur nach Standardsi­tuationen. So fielen auch die beiden Treffer: In der 53. Minute zirkelte Marvin Plattenhar­dt einen Freistoß aus 20 Metern in den Winkel. 13 Minuten später brachte der Linksverte­idiger bei einem weiteren Freistoß den Ball in den Darmstädte­r Strafraum, direkt auf den Kopf von Salomon Kalou, der zum Endstand vollendete. Ein nüchterner Pflichtsie­g. Der Bezeichnun­g Pflichtspi­el kam am Mittwochab­end noch eine ganz andere Bedeutung zu.

»Wenn der Ball rollt, sind sie mutiger.«

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