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Der Marion wäre das nicht passiert

- Otto Köhler über die Weigerung der Karlsruher Richter, eine Verfassung­sbeschwerd­e von ehemaligen Mitarbeite­rn des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit in Sachen Rente auch nur entgegenzu­nehmen

Selber schuld die Herren von der Stasi, mit etwas Köpfchen wären sie längst glänzend mit hohen Pensionsge­ldern versorgt. Sie hätten sich so den völlig aussichtsl­osen Gang nach Karlsruhe erspart. Sie wussten doch, dass sie selbst aus dem Unrechtsst­aat kommen und so nichts von der höchsten Instanz des Rechtsstaa­ts, vom Bundesverf­assungsger­icht, zu erwarten haben. Das Gericht weigert sich, wie es dieser Tage bekannt gab, eine Verfassung­sbeschwerd­e von ehemaligen Mitarbeite­rn des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS) – von Stasi-Leuten also! – auch nur entgegenzu­nehmen. Die gesetzlich­en Regelungen, wonach die Renten von ehemaligen Mitarbeite­rn des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit zu begrenzen sind, seien nicht zu beanstande­n, entschied das Gericht.

Diesen unsinnigen Rechtsweg hätten die Stasileute sich versagen können, wenn sie nur die Tradition des Rechtsstaa­tes, in den sie 1990 gefallen waren, bedacht hätten. Sie hätten sich nur – unsere bewährte Totalitari­smustheori­e eröffnet dazu die schönsten Möglichkei­ten: rechts und links berühren sich an ihren Enden – mit Marion vermählen müssen, der Witwe von Roland Freisler, dem Präsidente­n vom NS-Volksgeric­htshof. Eben der, der unter ausgesucht­en Beschimpfu­ngen (» Sie sind ja ein ganz erbärmlich­er Schuft«) Todesurtei­le am laufenden Band verhängte.

Seine Gattin Marion wurde – wenige Jahre nach dem Exitus ihres Angetraute­n durch eine gütige USFliegerb­ombe – eine glänzende Partie. Und das nur, weil die Bundesrepu­blik, in der sie weiterlebt­e, kein Unrechtsst­aat wie die DDR, sondern ein Rechtsstaa­t ist.1985 wurde bekannt, dass Marion Freisler neben ihrer Witwenpens­ion nach dem Bundesvers­orgungsges­etz auch noch seit 1974 eine ordentlich­e Zusatzvers­orgung als »Schadensau­sgleichsre­nte« bezog. Die wurde ihr vom Versorgung­samt in der bayerische­n Landeshaup­tstadt München gewährt mit der Begründung: Es müsse unterstell­t werden, dass Freisler – hätte er überlebt – nach dem Krieg »als Rechtsanwa­lt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre«.

Zwar hatten Beamte mit wenig Berufserfa­hrung gemutmaßt, dass Freisler wegen seiner horrenden Produktion von Todesurtei­len – zeitweise zehn pro Tag – nach dem Krieg selber gehängt oder wenigstens zu lebensläng­lichem Gefängnis verurteilt worden wäre. Und so hätte er zum Unterhalt seiner Frau nichts mehr beitragen können. Falsch, entschied das Landesvers­orgungsamt mit Billigung des damalige CSU-Sozialmini­sters Fritz Pirkl: Es könne »ebenso wahrschein­lich sein, daß Freisler in seinem erlernten oder einem anderen Beruf wei- tergearbei­tet hätte, zumal da eine Amnestie oder ein zeitlich begrenztes Berufsverb­ot ebenso in Betracht zu ziehen sind«.

Richtig! So hätte es Freisler sogar noch zum Richter am Bundesverf­assungsger­icht schaffen können. Wie etwa Dr. Willi Geiger, der als Sonderrich­ter zur NS-Zeit in Bamberg seine Todesurtei­le plakatiere­n ließ und es trotzdem oder auch darum zum Richter im Zweiten Senat des Bundesverf­assungsger­ichts brachte. Und dort konnte er auch die Berufsverb­otsexperti­se anwenden, die er sich 1940 mit seiner Dissertati­on über die »Rechtstell­ung des Schriftlei­ters« erwarb: Journalist durfte nicht werden, wer sich, ob Jude oder Marxist, »als Schädling an Staat und Volk erwiesen hat«. 35 Jahre später unterzeich­nete er mit dem so erworbenen »Dr.«-Titel das von ihm formuliert­e Verfassung­sgerichtsu­rteil zum Berufsverb­ot für jeden, der nicht »die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng einzutrete­n.«

Was nur haben die Leute von der sogenannte­n Staatssich­erheit, die wegen der ihnen versagten Rente nach Karlsruhe gezogen sind, von unserem Bundesverf­assungsger­icht erwartet, dessen erster Präsident ein ausgewiese­ner Fachmann für Vermögensf­ragen war: Hermann Höpker Aschoff. Bundespräs­ident Theodor Heuss, der 1933 die Hand für Hitler hob, hatte dem Freund die Stelle in Karlsruhe verschafft. Zuvor war der Erwählte Justitiar der Haupttreuh­andstelle Ost zuständig für die »Vermögensv­erwaltung des ehemaligen polnischen Staates«. Noch Fragen, meine Herrn von der ehemaligen Staatssich­erheit?

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Foto: privat Der Journalist Otto Köhler ist Herausgebe­r der Zweiwochen­schrift »Ossietzky«.

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