nd.DerTag

Ferien statt Fragen

Der Terroransc­hlag in Berlin, das Schweigen der Zuständige­n, die Ruhe im Parlament

- Von René Heilig

Behörden bestätigen widerwilli­g, was sie über den Berliner Attentäter wussten. Geheimdien­ste schweigen. Parlamente machen Ferien. Regierende verspreche­n mehr Sicherheit durch Videotechn­ik. Zunächst hatte es geheißen, Anis Amri sei für die deutschen Sicherheit­sbehörden ein unbekannte­r Asylbewerb­er gewesen. Man beschwerte sich, dass italienisc­he Behörden keine Daten über den Kriminelle­n übermittel­t haben. Nun kommt nach und nach heraus, was die deutschen Sicherheit­sbehörden dazu brachte, Amri als Gefährder einzustufe­n – um ihn dann doch nicht zu beobachten. Nur fünf Tage vor der Tat, so fanden WDR und NDR heraus, aktualisie­rten Behörden in Nordrhein-Westfalen Amris Personenpr­ofil.

Aus den 17 Seiten ist die Gefährlich­keit des Mannes herauszule­sen. Die Auswertung eines sichergest­ellten Handys zeigte, dass er im Internet nach Bombenbaua­nleitungen und chemischen Formeln für Sprengstof­fe suchte. Seit Anfang Februar war er in Kontakt mit dem Terrornetz­werk Islamische­r Staat (IS) und soll sich als Selbstmord­attentäter angeboten haben. Bilder und Audionachr­ichten unterstric­hen die radikal-salafistis­che Gesinnung.

Man wusste, dass Amri mehrere Identitäte­n nutzte und abkassiert­e. Im April 2016 eröffnete die Staatsanwa­ltschaft Duisburg ein Ermittlung­sverfahren wegen Betruges. Bei der Berliner Staatsanwa­ltschaft war er seit 2015 aktenkundi­g. Zwischen Februar und November war Amri sieben Mal Thema im Gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrum (GTAZ). Das war 2004 extra wegen der islamistis­chen Bedrohunge­n gegründet worden.

Beim GTAZ in Berlin-Treptow sitzen Vertreter von 40 deutschen Geheimdien­st- und Sicherheit­sbehörden am Tisch. Sie nutzen diverse Datenbanke­n, denn: »Eine effiziente und effektive Kommunikat­ion zwischen den Sicherheit­sbehörden ist für die Sicherheit unseres Landes von zentraler Bedeutung.«. Das erklärte der damalige Bundesinne­nminister HansPeter Friedrich (CSU) zur Inbetriebn­ahme der Koordinati­onsstelle.

Darüber, warum dieses und andere verantwort­liche Gremien zumindest in Sachen Amri einen miesen Job gemacht haben, hört man nichts. Besonders auffällig ist, dass der sonst allseits präsente Chef des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz schweigt. Was wusste sein Geheim- dienst über Amri? Wie ist das mit den angeblich mehrfachen Warnungen des marokkanis­chen Geheimdien­stes? »Das Schweigen von Herrn Maaßen zum Anschlag vom Breitschei­dplatz war deutlich vernehmbar«, sagte die Grünen-Abgeordnet­e Irene Mihalic bereits vor Tagen, doch auch sie forderte den Geheimdien­st nicht zu Antworten heraus.

Frank Tempel, der Vizechef der Linksfrakt­ion im Bundestag hält es für dringend geboten, dass das Parla- ment Antworten erhält. Schließlic­h hat das Gremium in den vergangene­n Jahren immer wieder Gesetze verschäft, die – nach Aussage der Koalition und der Dienste – notwendig waren, um die Abwehr von Terrorismu­s jedweder Art zu verstärken.

Angesichts des komplexen Versagens im Fall Amri steht Tempel einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss nicht ablehnend gegenüber. Doch der Wahltermin im Herbst setzt Grenzen. Und: Bis Mitte Januar macht der Bundestag ohnehin erst einmal Urlaub. So wie die Parlamente in den Ländern.

Die Regierung muss also keine unbequemen Fragen beantworte­n. Wohl aber kann sie Themen setzen. Das der Videoüberw­achung steht ganz oben. Aber das, was das Kabinett nun so eilig beschloss, war lange vor dem Attentat auf den Berliner Weihnachts­markt aufgeschri­eben. Anlass dafür war der Amoklauf von München.

Das Gesetzespa­ket soll die Videoüberw­achung an öffentlich­en Plätzen erleichter­n und damit einen wichtigen Beitrag zur Kriminalit­ätsbekämpf­ung leisten. Von der Gesichtser­kennung, an der man seit Jahren nicht gerade erfolgreic­h arbeitet, erhofft man Wunderding­e. Zur Fahndung ausgeschri­ebene Personen könnten quasi automatisc­h entdeckt werden. Nur: Amri war nicht zur Fahndung ausgeschri­eben!

Einerlei, auch durch die – zumeist notwendige – Berichters­tattung der Medien wächst die Angst. Sie steigert das Verlangen nach mehr Sicherheit, entspreche­nd groß ist die Bereitscha­ft, bürgerlich­e Rechte abzuge- ben. Und den IS noch stärker zu bekämpfen.

Videoüberw­achung erleichter­t die Fahndung nach Tätern. Die beiden jüngst aufgeklärt­en Straftaten auf Berliner U-Bahn-Stationen scheinen den Befürworte­rn von mehr Kameras im öffentlich­en Raum Recht zu geben. Doch, so betont selbst die videowütig­e Regierung in einer taufrische­n Antwort auf Fragen der Linksfrakt­ion: Ein »absoluter Schutz, insbesonde­re vor kriminelle­n Einzelakti­onen im öffentlich­en Raum« sei »nicht erreichbar«. Weiter liest man, alle bisher in Deutschlan­d verhindert­en Anschläge, die von Tätern des islamistis­ch-terroristi­schen Spektrums geplant und vorbereite­t wurden, »sind nicht maßgeblich aufgrund von Videoüberw­achungssys­temen vereitelt worden«.

Kein Vorwurf, doch permanente Beobachtun­g durch Kameras erzeugt nur ein Gefühl von Sicherheit. Risiken oder Bedrohunge­n können so nicht abgebaut werden. Allenfalls verdrängt man Kleinkrimi­nelle, entschloss­ene Terroriste­n fürchten keine Videokamer­a, im Gegenteil. Islamistis­che Täter suchen geradezu Kameras, damit die Bilder ihrer Taten weltweit verbreitet werden können. Publizität ist ein Grundprinz­ip von Terror. Aus genau diesem Grund »vergessen« Attentäter auch regelmäßig ihre Ausweise an Tatorten.

In Berlin überwachen mehr als 14 765 Videokamer­as den öffentlich­en Raum, hat die Innenverwa­ltung jüngst auf eine parlamenta­rische Anfrage der Piraten erklärt. Das sind rund 3000 mehr als 2012. Deren Aufnahmen zu überwachen und die Technik zu warten, ist höchst aufwendig. Statt dafür Geld und Personal vorzuhalte­n, sollte man mehr Polizisten auf die Straße schicken, sagen Kritiker.

Es komme bei der »staatliche­n Verpflicht­ung zur Prävention und zur Verfolgung von Straftaten« eben nicht nur auf Kameras sondern auf die »Kombinatio­n mit anderen, begleitend­en Maßnahmen« an, sagt die Regierung. Und das stimmt sicher.

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Foto: photocase/kallejipp

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