Tendenz zum Überwachungsstaat
Hackerkongress: Wie die Bundesregierung 2016 Grundrechte aller BundesbürgerInnen eifrig beschnitten hat
Netzpolitisch war das zu Ende gehende Jahr kein gutes, wie Netzaktivisten auf dem Chaos Communication Congress feststellen. Unter dem Motto »Works for me« (Funktioniert für mich) öffnete der größte internationale Hackerkongress, der Chaos Communication Congress (33c3), in dieser Woche zum 33. Mal in Hamburg seine Pforten und schickte damit gleichzeitig ein durchaus kritisches Statement in Richtung SoftwareentwicklerInnen und Internetriesen. Denn der Slogan ist eine gängige Redewendung in der Branche, wenn es darum geht, Probleme zu lösen, und drückt eine Haltung aus, »mit der wir uns nicht zufrieden geben sollten«, sagt Falk Garbsch vom Chaos Computer Club (CCC), der den Hackerkongress ausrichtet, im Deutschlandfunk. Diesem Motto liegt zugrunde, dass große Unternehmen wie Facebook oder Google lediglich Probleme angingen, wenn sie ihre (Wirtschafts)Interessen unmittelbar betreffen oder einschränken.
Ein Umstand, der sich auch auf die hiesige Politik übertragen lässt, wenn es darum geht, potenziellen WählerInnen vermeintliche Sicherheit durch Einschränkung der Bürger- und Grundrechte zu versprechen, findet auch der Künstler und Netzaktivist padeluun, der für digitale Bürgerrechte eintritt. Er ist Mitbegründer des Datenschutzvereins »Digitalcourage«, der sich unter anderem gegen die Vorratsdatenspeicherung, die Freihandelsabkommen TTIP und CETA und das G-10 Gesetz – besser bekannt als BND-Gesetz – einsetzt.
Konkret ist damit die Haltung der Bundesregierung zu ihren Geheimdiensten und dem daraus resultierenden Unwillen zur Aufklärung der NSA-Affäre gemeint. Entsprechend düster fällt das Fazit für das Jahr 2016 aus: »Es ist ermüdend festzustellen, dass die Koalition entgegen jeglicher Bedenken nun doch den Weg vom Rechtsstaat hin zum Überwachungsstaat frei macht«, sagte der Aktivist gegenüber »nd«.
Angesichts der Snowden-Enthüllungen und des daraus entstandenen NSA-Untersuchungsausschusses sieht der Netzaktivist durch die Haltung der Bundesregierung die Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert, zumal die Arbeit des Ausschusses mehr als einmal offengelegt habe, wie dreist Geheimdienste an deutscher Rechtsstaatlichkeit vorbei arbeiteten und sich schlicht über geltendes Recht hinwegsetzten. Umso erfreulicher sei es, dass nun die Forderung, die Geheimdienste abzuschalten, immer lauter werde. »Wir müssen uns fragen, ob wir Geheimdienste, so wie sie derzeit schalten und walten, überhaupt noch brauchen.«
Ähnlich äußert sich auch Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zu dem im Oktober von der Bundesregierung verabschiedeten BND-Gesetz, das unter Netzaktivisten größtenteils kritisch zur Kenntnis genommen und als Meilenstein hin zur Abschaffung der Bürgerrechte im Internet wahrgenommen wird. Im wesentlichen werde durch die »Reform der Geheimdienste«, wie die Bundesregierung ihren Gesetzesentwurf euphemistisch bezeichnete, all das legalisiert, was vorher für BND und Co. tabu war, fasste es beispielsweise Netzpolitik.org zusammen. Für Buermeyer ist dieses Gesetz jedoch nur die Spitze des Eisbergs: »Es gibt derzeit viele Gesetze, die gegen geltendes Recht verstoßen, an die sich bisher noch niemand getraut hat«, sagte er im Chaosradio. »Wir wollen sicherstellen, dass unser Grundgesetz eine Rechtschutzversicherung hat, auf die man bauen kann.« Gemeinsam mit Amnesty International koordiniert die GFF derzeit eine Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Buermeyer und seine MitstreiterInnen von der GFF bereiten darüber hinaus eine Reihe von Klagen und Beschwerden gegen Gesetze vor, die ihrer Meinung nach gegen geltendes Recht verstoßen. Künftig könne man sich darauf einstellen, dass im Monatstakt solche Beschwerden rausgingen, so Buermeyer. Auch padeluun bewertet die Verabschiedung des BND-Gesetzes als »Schlag ins Gesicht«. »Das war fast schon bösartig, wie dieses Gesetz ohne Fakten und mit erheblicher Schnelligkeit durchgepeitscht wurde.«
In Bezug auf die unlängst beschlossene Vorratsdatenspeicherung müssten PolitikerInnen sich klarmachen, dass es grundsätzlich falsch sei, ein ganzes Volk präventiv zu überwachen. Ein Highlight sieht der Netzaktivist, der seit 2008 gegen die Massenspeicherung von Daten kämpft, in dem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 21. Dezember. Darin erklärten die RichterInnen die Gesetze von EU-Mitgliedstaaten zur anlasslosen und massenhaften Speicherung von Kommunikations- und Bewegungsdaten für europarechtswidrig. Ein Ansatz, den es nun umzusetzen gilt. »Schön wäre, wenn das noch vor Juli 2017 geschieht«, sagt padeluun – ab dann nämlich wären Provider nach jetziger Rechtslage verpflichtet, alles aufzuzeichnen, was durch ihre Leitungen geht.