Angewidert von Absturz-Karikaturen
Russland reagiert mit Abscheu auf Cartoons von »Charlie Hebdo« zur Katastrophe mit dem Alexandrow-Ensemble
Nicht zum ersten Mal verärgern die Satiriker aus Frankreich die russische Regierung. Für ihre neuesten Karikaturen hagelt es aus Moskau besonders harsche Kritik. Die neueste Ausgabe des wöchentlich erscheinenden Pariser Satiremagazins »Charlie Hebdo« mit Cartoons zur Flugzeugkatastrophe am Sonntag über dem Schwarzen Meer bei Sotschi und zur Ermordung des russischen Botschafters in der Türkei eine Woche zuvor werden für Russland zum großen Aufreger. Auf einer der Karikaturen ist im Hintergrund die abstürzende Maschine dargestellt, davor ein Solist des Alexandrow-Ensembles, in der Sprechblase ein langgezogenes »A-A-A-A-A-A!« mit Noten. Bildunterschrift: »Das Repertoire des Chores der Roten Armee ist um eine Nummer reicher.« Unter einer anderen Zeichnung steht: »Schlechte Nachrichten: Putin war nicht mit dabei«.
Bei dem Unglück fanden 92 Menschen den Tod, darunter fast der gesamte Chor des Alexandrow-Ensembles, das in Russland Kultstatus hat. Die Künstler sind Soldaten, mit der entsprechenden Schärfe reagierte daher das Verteidigungsministerium auf die Veröffentlichung. Die Karikaturen der »Pariser Zweibeiner«, so der Sprecher, Generalmajor Igor Konnaschenkow, seien »Kot, Schmutz und Schmierereien«, die »jeden normalen Menschen anwidern«.
Damit, schreibt TschetschenenPräsident Ramzan Kadyrow beim Foto-Messenger Instagram, hätten die Journalisten erneut bewiesen, was man sich unter westlicher Demokratie und Pressefreiheit vorzustellen habe. Es sei »unsittlich und unmenschlich«, sich über eine Tragödie lustig zu machen, die Millionen Menschen weltweit erschüttert hat. Mit den Cartoons hätten sich die französischen Künstler eigenhändig aus dem Register der zivilisierten Menschheit gelöscht, rügte auch der Beauftragte für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im russischen Außenministerium, Konstantin Dolgow. Duma-Vizepräsidentin Irina Jarowaja sprach von »Extremismus in Reinkultur«, der mit Journalismus und Kreativität nichts zu tun habe. Die Karikaturen seien »ekelhaft und eine bewusste Unterstützung des Terrorismus«.
Schon mit Karikaturen nach dem Anschlag, mit dem islamische Terro- risten im November 2015 über dem Sinai ein russisches Verkehrsflugzeug mit 224 Urlaubern an Bord vom Himmel holten, war »Charlie Hebdo« in Moskau böse aufgefallen. Das Außenamt schickte sogar eine Protestnote. Die Führung der Französischen Republik, antworteten die Kollegen in Paris, nehme keinen Einfluss auf die Redaktionspolitik von Medien. Auch die Cartoons, mit denen die Satiriker im Oktober die Eröffnung eines »Russisch-Orthodoxen geistig-kulturellen Zentrums« in Paris würdigten, wurden in Moskau als unfreundlicher Akt wahrgenommen.
Kulturwissenschaftler glauben, für Humor sei die russische Volksseele jederzeit empfänglich, doch mit solcher Satire könne sie nichts anfangen. Schon gar nicht mit politischer. Das läge auch an mangelnder Streitkultur als Kollateralschaden eines autoritären Systems, so die Wissenschaftler.
Kritische Stimmen hatten zuvor im Internet gefragt, ob es moralisch ver- tretbar sei, Sänger in ihren Uniformen der russischen Streitkräfte im syrischen Aleppo auftreten zu lassen, das nicht zuletzt wegen Angriffen der russischen Luftwaffe in Trümmern liegt. Der Armeechor sollte in der Stadt ein Befreiungskonzert geben. Der Flugzeugabsturz ereignete sich unmittelbar nach dem Start nach Syrien. Die Ursachen sind noch ungeklärt. Ein Anschlag »durch Manipulation« wird nicht ausgeschlossen. Eine Explosion gab es nicht.