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Mittelstan­d will Schwarz-Gelb zurück

Lobbyisten: Neue Bundesregi­erung soll Steuern senken und mehr investiere­n

- Von Simon Poelchau

Der Mittelstan­d sieht sich gerne als »Wachstums- und Jobmotor« Deutschlan­ds. Damit seine Wünsche von einer neuen Bundesregi­erung erfüllt werden können, fordert er Sozialabba­u. Mario Ohoven ist ein Verkäufer. Deswegen lädt der Präsident des Bundesverb­andes mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW) ausgerechn­et zwischen Weihnachte­n und Silvester zu einer Pressekonf­erenz nach Berlin, wo er sich sicher sein kann, dass möglichst viele Journalist­en seiner Einladung folgen und über seine Forderunge­n berichten werden, weil es sonst kaum innenpolit­ische Themen gibt. Und so sieht er die AfD auch aus den Augen eines Verkäufers als eine Protestpar­tei an, die sich als solche »ganz hervorrage­nd« verkaufe: »Glauben Sie mir, wenn morgen die Flüchtling­e nicht mehr da sind, hat die AfD übermorgen einen anderen Protest.« Die Partei werde nicht so schnell abgeschaff­t wie andere Parteien.

Immerhin sechs Prozent der von ihm vertretene­n Unternehme­r wünschen sich ab 2017 eine Regierungs­beteiligun­g der Rechtspopu­listen. Dies ergab die aktuelle Unternehme­rbefragung seines Verbandes, an der 2800 Firmen teilgenomm­en haben. Doch die meisten Chefs halten von rechtem Protest wenig und wünschen sich Altbewährt­es zurück: 46 Prozent hoffen auf eine schwarz-gelbe Bundesregi­erung nach den kommenden Wahlen. 13 Prozent finden, diesem Bündnis würden ein paar grüne Tupfer gut tun und plädieren für eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP. Die aktuelle Koalition finden nur noch zwölf Prozent aller Unternehme­r gut.

Dabei ist der Mittelstan­d eine nicht zu unterschät­zende Stimme. Über 270 000 Firmen vertritt Ohovens Lobbyverba­nd eigenen Angaben zufolge, die für rund neun Millionen Arbeitsplä­tze stehen. Folglich sieht man sich gerne als »Wachstums- und Jobmotor« in Deutschlan­d und formuliert seine Forderung an die Politik ähnlich selbstbewu­sst. »Ich erwarte von einer neuen Bundesregi­erung«, sagt Ohoven, dass sie »investitio­nsfreundli­che Rahmenbedi­ngungen schafft«.

Was der gelernte Banker für die von ihm vertretene­n Unternehme­n verlangt, ist so etwas wie die neoliberal­e eierlegend­e Wollmilchs­au als neue Bundesregi­erung. 80 Prozent der befragten Unternehme­n wollen weniger Bürokratie, 57 Prozent weniger Steuern sowie Abgaben und 48 Prozent meinen, dass mehr Geld in die Verbesseru­ng der Infrastruk­tur gesteckt werden soll.

»Deutschlan­d schiebt derzeit einen Investitio­nsstau von 100 Milliarden Euro vor sich her«, warnt der Cheflobbyi­st der hiesigen Mittelstän­der. Statt im Wahlkampf neue soziale »Geschenkpa­kete« zu schnüren, sollen die Parteien die Unternehme­n mit der kompletten Abschaffun­g der Erbschafts­steuer sowie einer steuerlich­en Förderung von Forschungs­ausgaben und Wagniskapi­tal bescheren. So wollen 60 Pro- zent der Unternehme­r ihren Betrieb künftig abgabenfre­i vererben können, 92 Prozent der Firmenbesi­tzer stimmen den sonstigen Forderunge­n ihres Lobbyverba­ndes zu. Der Investitio­nsstau soll also gelöst werden, der Allgemeinh­eit dafür mehr Geld geben will man nicht.

»Deutschlan­d hat kein Einnahmeso­ndern ein Ausgabepro­blem«, meint dazu Ohoven. Wo das Geld für Breitbanda­usbau und neue Straßen herkommen soll, sagt der Mittelstan­dspräsiden­t auch gleich: Sozialausg­aben machten derzeit über 50 Prozent des Bundeshaus­haltes aus. »Das darf definitiv so nicht weitergehe­n«, fordert Ohoven neue Einschnitt­e im Sozialsyst­em.

Geht es nach der Mehrzahl der Mittelstän­der, sollen solche Einschnitt­e auch im restlichen Europa mit aller Härte durchgedrü­ckt werden. Obwohl die Eurokrise derzeit nicht mehr akut ist, fordern weiterhin 68 Prozent der befragten Mittelstän­dler, Griechenla­nd aus der Währungsun­ion rauszuschm­eißen, wenn es seine Reformzusa­gen nicht einhält.

Letztlich ist die wirtschaft­liche Lage keineswegs so dramatisch, wie man beim Forderungs­katalog der Mittelstän­der vermuten könnte. Im Gegenteil: Rund 62 Prozent der Unternehme­r rechnen mit einem anhaltende­n Aufschwung, die eigene Geschäftsl­age beurteilen zwei Drittel als gut oder sehr gut. 41 Prozent planen sogar, in den kommenden zwölf Monaten neue Arbeitsplä­tze zu schaffen und mehr als ein Drittel will mehr investiere­n.

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