nd.DerTag

Solo vor Gericht

- Von Peter Nowak

Eine Hebamme klagt in Polen gegen erzwungene Selbststän­digkeit. Von den etablierte­n Gewerkscha­ften bekommt sie keine Unterstütz­ung. Die polnische Hebamme Barbara Rosołowska könnte mit dem Zug von ihrem westpolnis­chen Wohnort in knapp 80 Minuten in Berlin sein und wie viele ihrer Kolleginne­n dort ihren Beruf ausüben. Doch sie nimmt die deutlich schlechter­e Zugverbind­ung und einen drei mal geringeren Lohn in Kauf und arbeitet im polnischen Gorzów. Denn die Gewerkscha­fterin will vor allem in ihrer Heimat für bessere Arbeitsbed­ingungen kämpfen. Rosołowska hat vor dem Arbeitsger­icht Gorzów die Klinik, in der sie seit Jahren arbeitet, verklagt. Sie fordert, dass ihr Arbeitgebe­r sie nicht weiter als Selbststän­dige beschäftig­t, sondern einen regulären Arbeitsver­trag anbietet. »Meine Klage wird von den Medien in Polen und auch von meinen Kolleginne­n sehr genau verfolgt«, betont die Hebamme. Dass sie bisher alleine klagt, begründet sie mit der Angst vieler Kolleginne­n vor den Konsequenz­en. »Sie sind auf ihren Arbeitspla­tz angewiesen und wenn sie keine Aufträge mehr haben, bleibt ihnen nur das Ausweichen nach Deutschlan­d oder in ein anderes EU-Land. Wer das nicht will, verzichtet auf die eigenen Rechte.«

Vor dem Arbeitsger­icht antwortet eine Hebamme auf die Frage, warum sie eingewilli­gt habe, als Selbststän­dige zu arbeiten: »Was hätte ich denn machen sollen? Nach 23 Jahren wurde ich entlassen und das war die einzige Bedingung, unter der ich eingestell­t wurde!« Um das zu verändern, hat sich Rosołowska der kämpferisc­hen Basisgewer­kschaft Arbeiterko­mmission (IP) angeschlos­sen, die schon mit der Organisier­ung von Beschäftig­ten im Standort Amazon-Standort Poznan für Schlagzeil­en sorgte.

Noch ist die IP allerdings klein. Von anderen polnischen Gewerkscha­ften kann Rosołowska keine Solidaritä­t erwarten. So hat ein Vertreter der Solidarnoc­z, die die rechte PIS-Regierung unterstütz­t, vor dem Arbeitsger­icht gegen Rosołowska ausgesagt. Er betonte, dass seine Gewerkscha­ft keine Probleme mit der Soloselbst­ständigkei­t habe, weil die vom polnischen Zivilrecht gedeckt sei.

»Leider ist die Gründung einer einheitlic­hen Gewerkscha­ft für die Beschäftig­ten im Gesundheit­swesen in Polen bisher gescheiter­t«, bedauert Norbert Kollenda, der in der AG von Attac-Berlin für die Kontakte zu den sozialen Bewegungen in Polen zuständig ist. Über die Onlineplat­tform LabourNet hatte er zur solidarisc­hen Begleitung des Arbeitsger­ichtsproze­sses von Rosołowska aufgerufen. Trotz geringer Resonanz wurde die Unterstütz­ung vom Arbeitsger­icht und den polnischen Medien wahrgenomm­en. Anfang Dezember hatte die Transnatio­nal Strike Plattform, die im Kontext der Blockupy-Proteste zur Unterstütz­ung transnatio­naler Arbeitskäm­pfe gegründet wurde, Barbara Rosołowska zu einer Soli-Veranstalt­ung nach Berlin eingeladen.

Am 17. Januar wird das Arbeitsger­icht in Gorzów über die Klage der Hebamme entscheide­n. Gewinnt sie den Prozess, könnten tausende polnischer Solobeschä­ftigter im Carebereic­h feste Arbeitsver­träge einfordern. Wenn sie verliert, will sie in die nächste Instanz gehen. Denn es geht ihr um mehr als das Arbeitsrec­ht. Weil viele sich links nennende Parteien in die Politik der Austerität und der Privatisie­rungen in der Vergangenh­eit gnadenlos durchsetzt­en, stoßen die eng begrenzten Sozialprog­ramme der nationalko­nservative Regierung bei nicht wenigen Beschäftig­ten auf Zustimmung. Eine kämpferisc­he Gewerkscha­fterin wie Barbara Rosołowska könnte mit ausreichen­der Präsenz in den polnischen Medien als Alternativ­e wahrgenomm­en werden.

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