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Asyl im alten Landtag

Im ehemaligen Parlaments­gebäude auf dem Potsdamer Brauhausbe­rg leben 392 Flüchtling­e

- Von Andreas Fritsche

Staatssekr­etärin Almuth HartwigTie­dt besuchte das Asylheim der Arbeiterwo­hlfahrt Am Havelblick 8 und sprach mit dem Verein Flüchtling­shilfe Babelsberg. Vorher war es das Büro von Landtagspr­äsident Gunter Fritsch (SPD). Noch früher stand dort der Schreibtis­ch von Günther Jahn, als dieser Erster Sekretär der SED-Bezirkslei­tung Potsdam gewesen ist. Heute sitzt hier Andreas Wilczek von der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO), die den ehemaligen Landtag auf dem Potsdamer Brauhausbe­rg als Asylheim betreibt.

392 Bewohner gibt es im Moment, darunter 129 Kinder. Drei kleine Mädchen laufen eine Treppe hoch und grüßen freundlich mit »Hallo«. Weiter hinten auf dem ehemaligen Flur der Linksfrakt­ion stehen drei hochgewach­sene Afrikaneri­nnen und unterhalte­n sich. Eine der jungen Frauen trägt einen Bademantel. Sie kommt gerade aus der Dusche.

»Am 22. Dezember 2015 sind wir mit 72 Flüchtling­en in eine Baustelle eingezogen«, erinnert sich Heimleiter Wilczek. »Die Herausford­erung war: Machen Sie aus Abgeordnet­enbüros Wohnungen für Familien.«

Es gab bis dahin nur eine einzige Dusche unten in dem alten Gemäuer, das einst als Kriegsschu­le errichtet wurde. Die AWO behilft sich mit Containern auf dem Hof, wo auch ein Spielplatz entstanden ist. Aber inzwischen müssen wenigstens die Frauen und die Kinder zum Waschen nicht mehr hinaus. Es sind nun für sie genug Duschen im Gebäude vorhanden. Aber es gibt Probleme mit dem Wasserdruc­k. »In der vierten Etage tröpfelt das Wasser wie aus einer Gießkanne«, bedauert der Heimleiter.

In der alten Kantine wird kein Mittagesse­n mehr ausgegeben. Hier befinden sich nun viele Elektroher­de, an denen die Bewohner sich ihre Mahlzeiten selbst zubereiten. »Bei der Weihnachts­feier waren hier unglaublic­h viele Menschen«, erzählt Mirjam Neebe, die im Haus Alphabetis­ierungskur­se gibt. Mitarbeite­r des na- hen Geoforschu­ngsinstitu­ts hatten mit den Flüchtling­en eingekauft, gekocht und dann im einstigen Plenarsaal gegessen und gefeiert.

Ein Tschetsche­ne kommt vorbei und erkundigt sich, wann er wieder Unterricht hat. »Tschetwerk?« fragt er. Neebe fällt nicht mehr ein, dass dies das russische Wort für Donnerstag ist. Aber mit einem Blick in den Kalender gelingt es doch, den richtigen Termin zu benennen.

35 Ehrenamtli­che der Flüchtling­shilfe Babelsberg betätigen sich auf dem Brauhausbe­rg als Deutschleh­rer. Der Verein wurde 2015 gegründet, hat 90 Mitglieder und etwa 400 Unterstütz­er, erzählt der Vereinsvor­sitzende Marc Liebscher. Seit Sommer 2016 engagiert sich die Flüchtling­shilfe auch auf dem Brauhausbe­rg, obwohl sich der gar nicht im Potsdamer Stadtteil Babelsberg befindet.

Die Teilnahme am Deutschunt­erricht ist Pflicht, obwohl die Bewohner rein rechtlich nicht gezwungen werden können, wie Liebscher einräumt. »Wie machen Sie das«, fragt Sozialstaa­tssekretär­in Almuth Hartwig-Tiedt, die am Donnerstag das Asylheim besuchte und mit der Flüchtling­shilfe sprach. Heimleiter Wilczek antwortet: »Wir klopfen an die Tür und sagen freundlich: ›Es ist 9.30 Uhr und es wäre respektlos ge- genüber den Lehrern, zu spät zum Unterricht zu kommen.‹« Liebscher ergänzt, da sei der Verein inzwischen streng. Wer immer wieder fehle, dem werde in der Fahrradwer­kstatt nicht geholfen oder der finde niemanden, der mit ihm zum Fußball geht. Man habe im Verein diskutiert, ob man so vorgehen könne. Doch Deutschken­ntnisse seien nun einmal elementar für die Integratio­n.

Ärgerlich sei, dass noch immer Flüchtling­e aus den Erstaufnah­mestellen in Eisenhütte­nstadt und Doberlug-Kirchhain hergeschic­kt werden, die bald darauf noch einmal zu einer Anhörung zu ihrem Asylantrag dorthin zurück müssen, bedauert Wilczek. Für Menschen, die am 30. November auf dem Brauhausbe­rg eintrafen, kam bereits am 2. Dezember der Brief mit der Vorladung. Ein solches Chaos sollte und müsste eigentlich nicht mehr sein, da im laufenden Jahr nur noch 9100 Asylbewerb­er im Land Brandenbur­g angekommen sind. Staatssekr­etärin Hartwig-Tiedt schüttelt den Kopf. Sie will in dieser Sache nachhaken.

Man sitzt beisammen im »Blauen Zimmer«, das früher von der Parlaments­verwaltung belegt war und nun als Klassenrau­m dient. An der Tafel stehen Beispielsä­tze zur Erläuterun­g der Zeitformen: »Ich verstehe das. Ich habe das verstanden.«

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Fotos: dpa/Bernd Settnik Abgeordnet­enbüros wurden Unterkünft­e.
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Ende 2013 zogen die Abgeordnet­en von hier ins neue Landtagssc­hloss um.

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