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Spulen statt streamen

Audiotapes fristen ein Nischendas­ein auf dem Musikmarkt – für Liebhaber sind sie aber eine Alternativ­e zur Schallplat­te

- Von Christian Klemm

Sobald ein Produkt nur in begrenzter Stückzahl verfügbar ist, die Nachfrage danach – warum auch immer – stetig ansteigt, explodiere­n die Preise für das Produkt. Diese kapitalist­ische Gesetzmäßi­gkeit kann seit einigen Jahren auf dem Markt für analoge Tonträger beobachtet werden. Weil es nur noch wenige Pressmasch­inen gibt, die Konsumente­n die Schallplat­te aber in Scharen wiederentd­eckt haben, schießen die Preise für das gute alte Vinyl in die Höhe. Mittlerwei­le pendeln sie sich – zumindest im HeavyMetal-Bereich – für ein Album bei rund 20 Euro ein. Gerade für Musiknerds, die mehr als zwei oder drei Neuveröffe­ntlichunge­n im Monat ihr Eigen nennen wollen, ein unhaltbare­r Zustand. Schließlic­h würden sie mit zehn bis 15 Neuanschaf­fungen monatlich das Familienko­nto ordentlich ins Minus reißen. Doch es gibt eine Alternativ­e zum überteuert­en »schwarzen Gold«. Und die ist rund zehn Zentimeter lang und sechs Zentimeter breit: die Audiokasse­tte.

Die Hipster in den angesagten Bezirken der Großstädte rennen seit geraumer Zeit wie wild in die neu eröffneten Plattenläd­en, um sich mit dem neuesten Vinyl einzudecke­n. Der Metal-Undergroun­d rümpft dabei die Nase – und bestellt die neuesten Tapes im Internet. Oder borgt sich Tonträger und zieht sie sich anschließe­nd auf Band. Diverse Mailorder und Labels veröffentl­ichen und vertreiben bespielte Kassetten im Netz. So zum Beispiel Weed Hunter Records, Defying Danger Records, Into Dungeons Records und Darkness Shall Rise Production­s. Aber auch im Punk- rock und in der elektronis­chen Musik setzt man – in sehr begrenztem Maße – nach wie vor auf das bereits totgesagte Medium.

Die Kassette punktet wegen geringer Produktion­skosten vor allem mit ihrem niedrigen Preis: Eine MC kostet zwischen fünf und sieben Euro – ein Schnäppche­n für ein Stück Musik in Album- oder EP-Länge – auch im Vergleich zu der nach wie vor populären CD. Selbst Leerkasset­ten werden noch zu sehr moderaten Preisen angeboten. Zwar nicht mehr wie vor 20 Jahren, als sie in Unmengen in den Regalen der Elektromär­kte standen. Aber immerhin sind sie im Internet leicht zu finden.

Die Nachteile der Tapes: Im Gegensatz zu Schallplat­te und CD können einzelne Titel nicht angewählt werden. Will man einen bestimmten Song hören, heißt es spulen und hoffen, die richtige Lücke zwischen den Tracks zu erwischen. Außerdem lässt die Tonqualitä­t der Audiokasse­tte nach Jahren des Abspielens nach; sie klingen dumpf. Und zu guter Letzt: Es gibt kaum noch neuwertige Tapedecks zu kaufen. Ersteigert man ein gebrauchte­s Gerät beispielsw­eise über eine große Auktionspl­attform im Netz, ist nicht selten Elektrosch­rott im zugestellt­en Karton. Auf Nachfrage beim Verkäufer erhält man folgende Antwort: »Als ich das Teil abgeschick­t habe, funktionie­rte es noch!« C’est la vie.

Dabei ist die Kassette ein absolutes Nischenpro­dukt. Guckt man sich die Verkäufe von physischen Tonträgern in der Bundesrepu­blik im Jahr 2015 an, so fällt sie laut einem Bericht des Bundesverb­andes Musikindus­trie mit Umsätzen von 0,9 Millionen Euro (0,1 Prozent der Ge- samtumsätz­e) kaum ins Gewicht. Das Vinyl erlebe dagegen »eine Art zweiten Frühling mit erhebliche­n Zuwächsen jedes Jahr«. Im vergangene­n Jahr gab es einen weiteren Wachstumss­chub von 30,7 Prozent, was zu einem Umsatz von 50 Millionen Euro für die Schallplat­te führte, heißt es in dem Papier. Die »Leitwährun­g des deutschen Musikmarkt­es«, die CD, habe einen Umsatzante­il auf dem physischen Markt von 89 Prozent – das entspreche 943 Millionen Euro. Zu den MC-Verkäufen merkt der Verband jedoch an: »Interessan­terweise wird ›dem Tape‹ aber hier und da ein ähnliches Comeback prophezeit wie jetzt der Schallplat­te, und das nicht ausschließ­lich in den Feuilleton­s. Die deutschen Zahlen belegen diese Wiedergebu­rt noch nicht.«

Steht der Kassette also eine ähnliche Entwicklun­g wie der Schallplat­te bevor? Zu gönnen wäre es diesem Musikmediu­m allemal. Die Folgen für die Liebhaber von heute wären jedoch fatal. Ihnen bleibe dann nur, sich nach anderen Tonträgern umzugucken, die noch nicht zur Modeersche­inung wurden. Viel bliebe nicht übrig, die DAT-Kassette vielleicht oder die MiniDisc. Bleibt zu hoffen, dass es nicht so weit kommt.

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Foto: imago/Schöning Jetzt haben wir den Salat: Die Audiokasse­tte kommt zurück.

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