Spulen statt streamen
Audiotapes fristen ein Nischendasein auf dem Musikmarkt – für Liebhaber sind sie aber eine Alternative zur Schallplatte
Sobald ein Produkt nur in begrenzter Stückzahl verfügbar ist, die Nachfrage danach – warum auch immer – stetig ansteigt, explodieren die Preise für das Produkt. Diese kapitalistische Gesetzmäßigkeit kann seit einigen Jahren auf dem Markt für analoge Tonträger beobachtet werden. Weil es nur noch wenige Pressmaschinen gibt, die Konsumenten die Schallplatte aber in Scharen wiederentdeckt haben, schießen die Preise für das gute alte Vinyl in die Höhe. Mittlerweile pendeln sie sich – zumindest im HeavyMetal-Bereich – für ein Album bei rund 20 Euro ein. Gerade für Musiknerds, die mehr als zwei oder drei Neuveröffentlichungen im Monat ihr Eigen nennen wollen, ein unhaltbarer Zustand. Schließlich würden sie mit zehn bis 15 Neuanschaffungen monatlich das Familienkonto ordentlich ins Minus reißen. Doch es gibt eine Alternative zum überteuerten »schwarzen Gold«. Und die ist rund zehn Zentimeter lang und sechs Zentimeter breit: die Audiokassette.
Die Hipster in den angesagten Bezirken der Großstädte rennen seit geraumer Zeit wie wild in die neu eröffneten Plattenläden, um sich mit dem neuesten Vinyl einzudecken. Der Metal-Underground rümpft dabei die Nase – und bestellt die neuesten Tapes im Internet. Oder borgt sich Tonträger und zieht sie sich anschließend auf Band. Diverse Mailorder und Labels veröffentlichen und vertreiben bespielte Kassetten im Netz. So zum Beispiel Weed Hunter Records, Defying Danger Records, Into Dungeons Records und Darkness Shall Rise Productions. Aber auch im Punk- rock und in der elektronischen Musik setzt man – in sehr begrenztem Maße – nach wie vor auf das bereits totgesagte Medium.
Die Kassette punktet wegen geringer Produktionskosten vor allem mit ihrem niedrigen Preis: Eine MC kostet zwischen fünf und sieben Euro – ein Schnäppchen für ein Stück Musik in Album- oder EP-Länge – auch im Vergleich zu der nach wie vor populären CD. Selbst Leerkassetten werden noch zu sehr moderaten Preisen angeboten. Zwar nicht mehr wie vor 20 Jahren, als sie in Unmengen in den Regalen der Elektromärkte standen. Aber immerhin sind sie im Internet leicht zu finden.
Die Nachteile der Tapes: Im Gegensatz zu Schallplatte und CD können einzelne Titel nicht angewählt werden. Will man einen bestimmten Song hören, heißt es spulen und hoffen, die richtige Lücke zwischen den Tracks zu erwischen. Außerdem lässt die Tonqualität der Audiokassette nach Jahren des Abspielens nach; sie klingen dumpf. Und zu guter Letzt: Es gibt kaum noch neuwertige Tapedecks zu kaufen. Ersteigert man ein gebrauchtes Gerät beispielsweise über eine große Auktionsplattform im Netz, ist nicht selten Elektroschrott im zugestellten Karton. Auf Nachfrage beim Verkäufer erhält man folgende Antwort: »Als ich das Teil abgeschickt habe, funktionierte es noch!« C’est la vie.
Dabei ist die Kassette ein absolutes Nischenprodukt. Guckt man sich die Verkäufe von physischen Tonträgern in der Bundesrepublik im Jahr 2015 an, so fällt sie laut einem Bericht des Bundesverbandes Musikindustrie mit Umsätzen von 0,9 Millionen Euro (0,1 Prozent der Ge- samtumsätze) kaum ins Gewicht. Das Vinyl erlebe dagegen »eine Art zweiten Frühling mit erheblichen Zuwächsen jedes Jahr«. Im vergangenen Jahr gab es einen weiteren Wachstumsschub von 30,7 Prozent, was zu einem Umsatz von 50 Millionen Euro für die Schallplatte führte, heißt es in dem Papier. Die »Leitwährung des deutschen Musikmarktes«, die CD, habe einen Umsatzanteil auf dem physischen Markt von 89 Prozent – das entspreche 943 Millionen Euro. Zu den MC-Verkäufen merkt der Verband jedoch an: »Interessanterweise wird ›dem Tape‹ aber hier und da ein ähnliches Comeback prophezeit wie jetzt der Schallplatte, und das nicht ausschließlich in den Feuilletons. Die deutschen Zahlen belegen diese Wiedergeburt noch nicht.«
Steht der Kassette also eine ähnliche Entwicklung wie der Schallplatte bevor? Zu gönnen wäre es diesem Musikmedium allemal. Die Folgen für die Liebhaber von heute wären jedoch fatal. Ihnen bleibe dann nur, sich nach anderen Tonträgern umzugucken, die noch nicht zur Modeerscheinung wurden. Viel bliebe nicht übrig, die DAT-Kassette vielleicht oder die MiniDisc. Bleibt zu hoffen, dass es nicht so weit kommt.