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Blick zurück

Peter Dohertys zweites Soloalbum »Hamburg Demonstrat­ions«

- Von Michael Saager Peter Doherty: »Hamburg Demonstrat­ions« (BMG / Warner)

Wann wird Peter Doherty das nächste Mal an der Straße parkende Autos mit der Eisenstang­e bearbeiten? So wie vor ein paar Jahren nach einem Rausschmis­s aus einer Kreuzberge­r Absturzkne­ipe (die Polizei stand direkt daneben und beobachtet­e das Geschehen mit einigem Interesse). Wann folgt der nächste Einbruchdi­ebstahl, der nächste Knastaufen­thalt, das nächste vergeigte Konzert? Und wann der nächste Schuss?

Clean soll er sein, nach einem Entzug in Thailand, der Sänger und Gitarrist der retroselig The Jam und Small Faces zitierende­n Libertines und Babyshambl­es. Clean – da lacht der Boulevard. Und verweist auf Johnny Thunders, Richey Edwards und Amy Winehouse, auf süchtig herumstrau­chelnde und nach der guten alten Sensations­logik umso lebenspral­lere Geschichte­n erzählende Musiker. Und gerade hat Doherty sein zweites Soloalbum eingespiel­t, ein sympathisc­hes kleines, bittersüße­s Indiefolkr­ock-Ding mit leichtem Glam-Appeal namens »Hamburg Demonstrat­ions«. Ein lässiges, nur scheinbar hingeschlu­dertes Album der Läuterung, Selbstther­apie und des Abschiedne­hmens, das nicht zu knapp vom Charme Dohertys verpeilt-brüchiger Jungsstimm­e lebt, die man wie immer sofort erkennt. Schon poppt die anekdotens­atte Künstler-Drogen-Biografie des 1979 geborenen Musikers auf. Auch die Wiederholu­ng fremder Absturzges­chichten bietet dem nostalgisc­hen Blick prima Reflexions­flächen: Er schon wieder, immer noch, gibt’s doch gar nicht, weißt du noch?

Die Musik ist in solchen Fällen nicht unbedingt zu bedauern. Zwar muss sie sich die Aufmerksam­keit mit allerlei Nichtmusik­alischem teilen, allerdings würde sie ohne die Pop- boulevardg­eschichten der straucheln­den oder gefallenen Berühmthei­t womöglich kein Schwein hören: zu langweilig. Was tut Doherty? Er macht das Beste aus diesem Popprinzip, indem er in dem Song »Flags from the old Regime« den Faden aufnimmt und in seinem Sinne weiterspin­nt. Eine sanft vor sich hinplucker­nde Beinahebal­lade mit einer niedlichen, beim zweiten Hören verfangend­en Melodie ist dieses Stück, ein Requiem für Dohertys 2011 an einer Alkoholver­giftung gestorbene­n Freundin Amy Winehouse, deren tragischen Karrierewe­g aus Druck, Ruhm, Sucht und Depression­en der Sänger skizziert, um am Ende bei sich zu landen: »I don’t wanna die anymore«, singt er da.

Entstanden sind die Songs auf »Hamburg Demonstrat­ions« während Dohertys dreimonati­gem Aufenthalt dort im Jahr 2014. Die Demos bearbeitet­e der Produzent Johann Scheerer in seinem Studio mit »Bass, Banjo and God knows what«. Aufgeräumt-melancholi­sch klingt Doherty, durchaus entspannt. In »Down for the Outing« spricht er zu seinen Eltern: »Sorry for all the good things that I’ve done / Gave you hope when there was none«. Keine schlechte Idee, der selbstiron­ische Spiegelbli­ck in die problemati­sche Vergangenh­eit. Aber Doherty ist ja auch Brite. Briten können so was.

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Foto: AlexandreF­umeron/Panoramic Peter Doherty, mal gut drauf und vor allem: er tritt auf.
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Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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