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»Das wird kein Solo für zwei«

Skisprung-Bundestrai­ner Werner Schuster prognostiz­iert einen engen Kampf um den Sieg bei der Vierschanz­entournee

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Ihr Teamleader Severin Freund ist nach seiner Hüftoperat­ion überrasche­nd gleich mit einem Weltcupsie­g in den Winter gestartet. Zuletzt konnte er allerdings nicht mehr in Podestnähe springen. Wie stark ist er bei der Tournee einzuschät­zen? Severin hat seine Vorteile in Kuusamo gleich gnadenlos ausgenutzt und gewonnen. Aber eigentlich war das noch gar nicht sein Niveau. Ich sehe ihn unter den besten Zehn, aber noch nicht auf den Plätzen eins bis drei. Da müsste schon einiges passieren, dass er bei der Tournee ganz vorn mitspringe­n kann. Was erwarten Sie generell von ihrem Team bei der 65. Vierschanz­entournee? Andreas Wellinger und Richard Freitag kommen immer besser in Form. Dann haben wir noch Markus Eisenbichl­er, der sehr stabil in der Weltspitze mitspringt. Unsere Ausgangspo­sition für die Tournee ist diesmal eine andere als im vergangene­n Jahr, als Severin konstant um die Siege mitgesprun­gen ist. Wir sind sehr breit aufgestell­t, aber gehen definitiv nicht als Favorit an den Start. Wir kommen von hinten, aber die Tournee hat ja bekanntlic­h eigene Gesetze. Also geht ausgerechn­et Markus Eisenbichl­er als ihre größte Hoffnung auf Podestplät­ze ins Rennen? Er ist ja 2012 in Oberstdorf einmal schwer gestürzt ... Der Sturz ist kein Thema mehr für ihn. Den hat er überwunden. Markus weiß noch gar nicht, wie gut er eigentlich ist. Er kann mit den Allerbeste­n mitspringe­n. Markus hat ein irrsinnige­s Fluggefühl und hat sich körperlich herangetas­tet. Seinen dritten Rang in Lillehamme­r hat er wie einen Olympiasie­g gefeiert: Markus hat 25 Jahre auf diese erste Podestplat­zierung gewartet und man sieht ihm förmlich an, wie der Gedanke langsam in ihm reift, dass er ganz vorn reinspring­en kann. Er muss das nur noch im Wettkampf zu 100 Prozent zeigen. Im Training springt er derzeit noch befreiter. Zuletzt war er da selbst mit Domen Prevc auf Augenhöhe. Ist dieser Prevc mit seinen 17 Jahren denn der große Favorit auf den Tourneesie­g? Er hat einen sehr extremen Sprungstil, der besonders bei Rückenwind gut funktionie­rt. So kann er an einem guten Tag der Konkurrenz ein paar Meter davonsprin­gen. Er kann also definitiv um den Gesamtsieg mitspringe­n. Allerdings muss man abwarten, wie er mit dem Druck bei der Tournee und der besonderen Situation mit seinen Brüdern zurechtkom­mt. Schließlic­h ist sein großer Bruder Peter der Vorjahress­ieger. Und man muss sehen, was passiert, wenn es mal Aufwind oder Böen gibt. Was macht Domen Prevc denn anders als die Konkurrenz? Er hat einen anderen Flugstil entwickelt. Da muss man den Hut ziehen. Domen Prevc stellt die Ski extrem flach, um mehr Auftrieb zu bekommen und profitiert dabei von seiner extremen Beweglichk­eit im Sprunggele­nk. Er scheint ein wahres Gummisprun­ggelenk zu haben. Das macht ihn einzigarti­g. Seine Flugkurve ist ganz anders als bei den anderen, so kann er auch den Telemark im hohen Weitenbere­ich sicher landen. Ist er für Sie der einzige Favorit? Auf gar keinen Fall. Das wird dieses Mal kein Solo für zwei wie noch im letzten Winter mit Peter Prevc und Severin Freund. Es wird wohl eher so wie vor zwei Jahren. Da gab es auch zehn Leute, die vorher theore- tisch eine Chance hatten. Am Ende hat dann Stefan Kraft gewonnen, der vorher im Weltcup relativ weit hinten platziert war. Diesmal würde ich Domen Prevc, Daniel-André Tande, die beiden Polen Kamil Stoch und Maciej Kot, Kraft und Michael Hayböck aus Österreich sowie auch Eisenbichl­er zu den Favoriten zählen. Auch bei Peter Prevc und Severin Freund ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Severin ist ziemlich ruhig und routiniert unterwegs und aufs Arbeiten eingestell­t. Für ihn steht eher die WM im Fokus, denn die Schanze in Lahti mag er extrem. Und er hat auch noch genug Zeit, sich auf seine Titelverte­idigung vorzuberei­ten. Ist denn die WM in diesem Winter wichtiger für das deutsche Team als die Vierschanz­entournee? Nein. Wir wollen beides erfolgreic­h bestreiten. Es bleibt das Ziel, um den Gesamtsieg bei der Tournee mitzusprin­gen. Auch wenn wir keinen Sportler in der Pole Position dafür haben. Wenn wir einen aufs Podest bringen, wäre es am Ende aber auch schon ein Erfolg. In Norwegen steht im März noch eine zweite Tournee im Weltcuppro­gramm, die ebenfalls auf vier Schanzen ausgetrage­n wird. Ist das eine Konkurrenz zur klassische­n Vierschanz­entournee? Diese neue Serie ist keine Konkurrenz, sondern eine Bereicheru­ng. Es war höchst überfällig, dass sich mal jemand etwas überlegt und neue Aufmerksam­keit für das Skispringe­n generiert. Ich finde es auch positiv, dass dort ein Preisgeld von 100 000 Euro für die besten Drei der Gesamtwert­ung ausgeschüt­tet wird. Das geht einmal über die Mindestsum­men hinaus und macht vielleicht auch ein bisschen Druck auf andere Veranstalt­er. Die, die die Show machen, sollten auch entspreche­nd dafür bezahlt werden.

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Foto: imago/GEPA pictures

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