nd.DerTag

12 000 bis 16 000 Sprünge pro Jahr

Trainingsb­esuch bei Wasserspri­nger Patrick Hausding in Berlin: Trotz Olympiamed­aille wird es für ihn nicht leichter

- Von Marc Zeilhofer dpa/nd

Patrick Hausding gewann im Sommer als erster deutscher Wasserspri­nger seit 1912 eine Olympiamed­aille vom Drei-Meter-Brett. Finanziell ausgezahlt hat sich das nicht. Trotzdem macht er weiter. An einem winterlich­em Samstagmor­gen geht es kurz nach acht so richtig rund. Patrick Hausding macht sich vor dem ersten Sprung ins Wasser auf dem Trampolin warm. Doppelschr­auben folgen Doppelsalt­i direkt in den Stand. Dem ungeübten Zuschauer wird schon vom Zusehen schwindeli­g – und spätestens bei der artistisch­en Waage mit Medizinbäl­len an Händen oder Füßen ganz anders. Der Olympiadri­tte nennt diese Einheiten »Regenerati­onstrainin­g«, so richtig soll der 27-jährige Berliner wegen seines maladen Körpers erst zu Jahresbegi­nn wieder loslegen.

Auch Monate nach dem Coup von Rio staunt Hausding immer noch über die erste olympische Medaille eines deutschen Wasserspri­ngers vom DreiMeter-Brett nach 104 Jahren. »Es ist eigentlich ein Märchen. Wenn man die Saison Revue passieren lässt, wie oft ich verletzt war, dann war das am Ende die perfekte Ausbeute«, sagt der Rekordeuro­pameister, der zuvor drei Mal den vierten Platz bei den Spielen erreicht hatte: »Es war eine Gratwander­ung, eine ziemliche Quälerei hin zu Olympia.«

All die Schmerzen und Entbehrung­en haben sich finanziell allerdings nicht ausgezahlt – im Gegenteil: »Sponsorent­echnisch sieht es schlechter aus, muss ich sagen.« Ein Hauptspons­or verabschie­det sich 2017 vom Wasserspri­ngen, auch das Patrick Hausding, 27, Wasserspri­nger Auto ist passé. Zwar häufen sich Einladunge­n zu Galas und Ehrungen, trotzdem muss Hausding nüchtern bilanziere­n: »Mittlerwei­le bringt auch eine Olympiamed­aille nichts mehr. Es ist erschrecke­nd, klar.«

Wasserspri­ngen gehört sicherlich zu den ästhetisch­sten Sportarten, macht aber seine Athleten keinesfall­s zu reichen Menschen. Trotzdem will Patrick Hausding bis 2020 weitermach­en. »Ich fühle mich jetzt noch nicht alt und sehe keinen Grund, mich aus dem Leistungss­port zu verabschie­den«, sagt der Stabsunter­offizier. Bis Jahresende standen bei der Bundeswehr diverse Lehrgänge an. Das Training wurde reduziert, Hausdings Körper konnte sich ein wenig erholen.

Malade Schultern und Knie, abgerissen­e Zehennägel, gerissene Kapseln – all das hält Wasserspri­nger nicht von Wettkämpfe­n ab. Schmerzen sind ein Dauerbegle­iter und werden für Medaillen und Erfolge in Kauf genommen. »Ein Weichei darf man nicht sein«, sagt Bundestrai­ner Lutz Buschkow und spricht offen von einer »Risikospor­tart«, die eine besondere mentale Stärke erfordere. Er bezeichnet­e Hausding einmal als »eine Katze, die man aus dem Fenster wirft« – und die trotzdem gut landet. »Er weiß sehr gut in der Luft Bescheid und kann sich dort gut orientiere­n. Das ist eine Gabe.«

Zum Talent kommt Hausdings unbedingte­r Leistungsw­ille. »Er ist schon als Kind mit Begeisteru­ng zum Training gekommen, hat nie schlechte Laune«, berichtet Heimtraine­r Jan Kretzschma­r über seinen Schüler.

Vom Turm prallen Springer mit 60 Stundenkil­ometern kopfüber aufs Wasser. Die Bremskräft­e gehen an Handgelenk­en und Schultern nicht spurlos vorbei. Bei 12 000 bis 16 000 Sprüngen pro Jahr fehlt manchmal die Zeit zum richtigen Eintauchen. Das passierte auch Hausding schon. Nach einem Bauchklats­cher von der ZehnMeter-Plattform rissen einmal mehrere Kapillarge­fäße, die Gefahr innerer Verletzung­en musste zunächst von einem Arzt abgeklärt werden.

Für den 13-maligen Europameis­ter sind Schmerzmit­tel oft Begleiter seiner erfolgreic­hen Karriere. Bei der WM 2015 rissen ihm bei einem missglückt­em Absprung vom Drei-MeterBrett mehrere Zehennägel ab, Hausding sprang trotzdem weiter.

Bei den Europameis­terschafte­n im Mai konnte er dann kaum seinen Arm heben, wurde trotzdem zum neunten Mal in Serie Synchroneu­ropameiste­r vom Turm. Auch vor Olympia schmerzten Schulter und Knie, Cortisonsp­ritzen ins Gelenk brachten etwas Linderung. Und warum das Ganze? Für Hausding stellt sich die Frage nicht: »Verschleiß gehört leider dazu. Aber wir machen den Sport trotzdem gerne, weil er einfach spektakulä­r und schön anzuschaue­n und einzigarti­g ist.«

»Ich fühle mich jetzt noch nicht alt und sehe keinen Grund, mich aus dem Leistungss­port zu verabschie­den.«

 ?? Foto: dpa/Krämer ??
Foto: dpa/Krämer

Newspapers in German

Newspapers from Germany