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Die smarte Farm

Digitalisi­erung der Landwirtsc­haft ersetzt Erfahrung durch Big Data

- Von Haidy Damm

Bei der Landwirtsc­haft 4.0 sind ungeheure Datenmenge­n die Grundlage von Entscheidu­ngen. Der Landwirt wird so zum IT-Farmer. »Jede Kuh verdient Aufmerksam­keit.« Mit diesen Worten wirbt der Landmaschi­nenherstel­ler Lely für sein T4CManagem­entsystem. T4C steht für »Time for Cows« (Zeit für Kühe). Über eine App kann der Landwirt jede Minute im Leben der Kühe teilen: Ständige Datensamml­ung über Mikrochips zeigt an, wie es der Kuh geht: Liegt das Tier oder läuft es? Frisst es ausreichen­d oder zu viel? Hat es genug getrunken? Gibt es Anzeichen für Krankheite­n? Kommt das Kalb?

Doch nicht nur das Leben im Kuhstall wird mehr und mehr von Algorithme­n bestimmt, auch im Ackerbau schreitet die Digitalisi­erung voran. Vieles ist bereits im Einsatz, wie etwa Hightech-Mähdresche­r, die per GPSUnterst­ützung zentimeter­genau Getreidefe­lder abernten. Mit Big Data soll die Automatisi­erung jedoch weiter vorangetri­eben werden. Beispiel BoniRob: Der Roboter wurde von der Universitä­t Osnabrück, dem Landmaschi­nenherstel­ler Amazone sowie dem Maschinenh­ersteller Bosch entwickelt. In Werbefilme­n bewegt sich BoniRob wie ein überdimens­ionierter Krebs übers Feld. Der Auftrag des Erntehelfe­rs aus Stahl und Elektronik: Unkraut erkennen und vernichten, Pestizide punktgenau und Dünger nach individuel­lem Befinden der Pflanze ausbringen. Der Traum der Ingenieure: Robotersch­wärme bewirtscha­ften die Felder autonom.

Menschlich­e Erntehelfe­r werden durch BoniRob und andere Roboter überflüssi­g. In der Realität wird diese Technik noch nicht flächendec­kend eingesetzt, noch wird geforscht, noch werden Daten gesammelt. Doch schon im Jahr 2018 könnte die kommerziel­le Markteinfü­hrung im großen Stil erfolgen, so die Hersteller.

Weiter ist die Entwicklun­g bei den Drohnen zur Feldüberwa­chung. Aus der Luft können nicht nur vermeintli­che Löcher im Zaun entdeckt werden, Drohnen können auch Schlupfwes­pen zur Bekämpfung des Maiszüngle­rs aussetzen oder Rehkitze vor dem Mähdresche­r bewahren. Mit Hilfe von Infrarotau­fnahmen können die Landwirte zudem feststelle­n, wo sich kranke Pflanzenbe­stände befinden. Denn gesunde Pflanzen reflektier­en die Infrarotst­rahlung, während kranke Pflanzen dies nicht tun. Damit werden kranke Bestände sichtbar, bevor die Blätter vor dem bloßen Auge welk werden, und der Landwirt kann eingreifen. Wissenscha­ftler des Leibniz-Instituts für Agrartechn­ik und Bioökonomi­e in Potsdam forschen etwa an der individuel­len Erfassung von Apfelbäume­n. Ihr Ziel: Die Bewässerun­g und Düngung von Obst und Früchten soll zukünftig punktgenau und präzise den individuel­len Bedürfniss­en des einzelnen Baums angepasst werden. »Wir wollen herausfind­en, in welcher Phase sich eine Pflanze befindet, um dann präzise bewässern zu können – wir nennen das Präzisions­gartenbau, den wir in den kommenden Jahren voranbring­en wollen«, erklärt Projektlei­terin Manuela Zude-Sasse.

Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Bauernverb­andes (DBV) und des IT-Verbandes Bitkom gehen 45 Prozent der Landwirte davon aus, dass der Einsatz von Drohnen im Jahr 2030 weit verbreitet sein wird. 43 Prozent der Befragten sehen den Einsatz autonomer Feldrobote­r als sehr weit verbreitet oder eher verbreitet an, bei den fahrerlose­n Traktoren liegt die Zahl sogar knapp unter 50 Prozent. Der Deutsche Bauernverb­and selbst sieht noch zahlreiche Hinderniss­e, die »aus dem Weg geräumt werden müssen«. Dazu zählten etwa das Problem unzureiche­nden schnellen Internets auf dem Land, aber auch der fehlende Zugang zu Daten: Satelliten, Wetter, Kataster. Digitale Landwirtsc­haft ist von Daten abhängig und damit auch von den Unternehme­n, die diese verarbeite­n und für den praktische­n Gebrauch anbieten. Daten wecken jedoch auch immer Begehrlich­keiten, mangelnder Datenschut­z ist laut Studie eine Sorge, eine andere die staatliche Kontrolle.

»Langfristi­g wird die digitale Landwirtsc­haft die gesamte Agrartechn­ologie revolution­ieren – Bit für Bit«, fasst Michael Schlemmer, Projektman­ager bei Bayer, die Vision in einer Firmenbros­chüre zusammen.

Bei der geplanten Übernahme vom US-Saatgutkon­zern Monsanto durch den Multi aus Leverkusen spielt diese Vision eine entscheide­nde Rolle. Beide Unternehme­n wollen führend werden in der digitalisi­erten Landwirtsc­haft der Zukunft. Und sie haben hier bereits kräftig investiert. 2013 kaufte Monsanto für rund eine Milliarde Dollar die kalifornis­che Climate Corp – der bislang größte Deal im Bereich digitale Landwirtsc­haft. Das Geschäftsm­odell des Start-ups basiert darauf, hochspezif­ische Wetter- und andere Daten zu liefern, mit deren Hilfe Landwirte ihren Anbau optimieren können. Im Dezember 2015 übernahm Bayer Teile von proPlant, das fortan unter dem Namen Bayer Digital Farming GmbH firmiert. Mit dem Anbieter von Diagnose- und Warndienst­en will das Unternehme­n »neue digitale Lösungen für eine nachhaltig­e ressourcen­effiziente Agrarprodu­ktion entwickeln«, sagte Liam Condon, Vorstandsm­itglied von Bayer. Inzwischen steht die Übernahme kurz bevor. Während sich die Kritik an dem Deal bisher hauptsächl­ich an Monsantos Gentechnik­strategie entzündet, hat Bayer nach dem Kauf angekündig­t, auf digitalisi­erte Landwirtsc­haft zu setzen. In der »Welt am Sonntag« kündigte Condon an: »Wir wollen technologi­sch immer einen Schritt voraus sein.« Laut dem kanadische­n Verfechter für freies Saatgut, Pat Mooney macht, macht auch John Deere, das weltweit größte Landtechni­kunternehm­en, gemeinsame Sache mit Bayer und Monsanto. »Sie haben bereits Arrangemen­ts für die nächsten Schritte der Zusammenar­beit getroffen. Sie benutzen dieselben Argumente, die sie jetzt schon für ihre Firmenpoli­tik nutzen: ›Der Welthunger verlangt es, der Klimawande­l verlangt es, wir müssen mit Größe auf die Herausford­erungen reagieren, lasst uns die Vorteile von Big Data nutzen, um alles zusammenzu­fügen.‹«

Die großen Agrarunter­nehmen – Hersteller von Dünger, Saatgut und Unkrautver­nichtern ebenso wie große Landmaschi­nenherstel­ler – wollen den Anschluss bei dem Milliarden­markt nicht verpassen. Denn die Umsatzzahl­en bei den Landmaschi­nen sind rückläufig und wenn durch Präzisions­landwirtsc­haft Dünger eingespart wird, muss auch dieser Verlust ausgeglich­en werden. Firmen, die sich auf die Entwicklun­g von Drohnen, Robotern und Software spezialisi­ert haben, sammelten 2015 insgesamt 661 Millionen Dollar ein. Während unzählige Start-up-Firmen Algorithme­n für Farm-Management-Software entwickeln und damit viel Geld verdienen, könnten ihre Zahlen einbrechen. Deshalb gehören die etablierte­n Agrarkonze­rne selbst zu den größten Investoren in die digitale Landwirtsc­haft.

Den Landwirten wird mehr Effizienz – also letztlich mehr Gewinn – versproche­n. »Je größer der Hof, desto höher ist das Einsparpot­enzial«, erklärt Vorstandsc­hef Klaus Josef Lutz vom Agrarhändl­er BayWa. Das Unternehme­n bietet Software für detaillier­te Feldbeobac­htungen: Weniger Pestizidei­nsatz und genauere Verteilung des Saatguts sollen die Kosten verringern.

»Für uns ist das nichts«, ist die vorherrsch­ende Meinung bei befragten Landwirten, gerade in Deutschlan­d sind die bewirtscha­fteten Flächen im weltweiten Vergleich eher klein. Denn allein die Anschaffun­gskosten sind hoch. Das Büro für Technikfol­genabschät­zung des Bundestage­s (TAB) vermutete bereits 2005, Digitalisi­erung im großen Stil lohne sich wirtschaft­lich »meist nur beim Einsatz in Betrieben mit mehreren hundert Hektar« oder bei Maschineng­emeinschaf­ten mehrerer Betriebe. Das gilt für konvention­elle Betriebe ebenso wie für ökologisch­e Bewirtscha­ftung.

Effizient ist allerdings das Zeitmanage­ment. So beschreibe­n Landwirte, deren Kühe automatisc­h gemolken werden, sie hätten jetzt Zeit für das gemeinsame Frühstück, weil sie am Morgen nicht mehr stundenlan­g im Stall stehen müssten. Das klingt entspannt. Gleichzeit­ig aber werden Arbeitsplä­tze eingespart, wenn die Ernte vom Roboter erledigt wird und das Melken vom Automaten. Kein neuer Trend: Belief sich die Zahl der Arbeitskrä­fte in der Landwirtsc­haft 1980 noch auf fast 2,8 Millionen, waren es 2003 nur noch etwas mehr als 1,3 Millionen Menschen. Seitdem sinkt die Zahl jährlich weiter um etwa ein Prozent.

Der Rückgang der Arbeitsplä­tze ist eine Folge des Strukturwa­ndels und der technische­n Möglichkei­ten, gro-

ße Flächen effizient bewirtscha­ften zu können. Während die Zahl der Arbeitsplä­tze abnimmt, steigt die Hektarzahl pro Betrieb in den vergangene­n Jahrzehnte­n kontinuier­lich. Die Digitalisi­erung wird diesen Trend verschärfe­n.

Auch das Berufsbild ändert sich. Experten gehen davon aus, dass hauptsächl­ich junge Landwirte auf den Zug der Digitalisi­erung aufspringe­n werden, »denen der Beruf sonst zu langweilig erscheint«, wie Mark Davis, stellvertr­etender Direktor bei der Welternähr­ungsorgani­sation, kürzlich in einer Diskussion zur Zukunft der Landwirtsc­haft konstatier­te. Gleichzeit­ig ist der Landwirt selbst nicht mehr Experte seines Ackers – schließlic­h gelten die Daten als oberste Entscheidu­ngsinstanz. Das eigene Wissen tritt in den Hintergrun­d.

Ob die Veränderun­g vom Bauern zum IT-Anwender allerdings so reibungslo­s vonstatten geht, kann bezweifelt werden. Ständige Weiterbil- dung ist eine Voraussetz­ung, ein veränderte­s Selbstbild eine andere. »Bevor ich das Management­system genutzt habe, basierten alle meine Entscheidu­ngen auf persönlich­er Erfahrung. Jetzt fühle ich mich den Kühen näher und fühle mich sicherer in meinen Entscheidu­ngen«, wird ein Landwirt aus Italien in einem Werbefilm zitiert. Das klingt wie bei Menschen, die Self-Tracking-Methoden nutzen und froh sind, nicht mehr von Ärzten oder der Meinung von Freunden abhängig zu sein: Argumentie­rt wird mit der Objektivit­ät der Daten statt eigener Einschätzu­ng oder dem Rat anderer Menschen.

Auch das TAB sieht die Rolle des Menschen bei der Steuerung hoch automatisi­erter Agrartechn­ik zwiespälti­g: »Einerseits wird er zum passiven Anlagenübe­rwacher degradiert, anderersei­ts richten sich an ihn hohe Erwartunge­n, wenn kritische Situatione­n oder Störfälle auftreten«, heißt es in einem Bericht. Oder wie ein Landwirt auf der Landmaschi­nenmesse Agritechni­ka 2015 sagte: »Mit digitalen Sachen ist das so eine Sache. Mitdenken ist auch nicht so verkehrt.«

Wie sich die Digitalisi­erung auf die Gesellscha­ft auswirkt, ist in der Landwirtsc­haft ebenso unklar wie in der restlichen Arbeitswel­t. In einem Ausschuss des Europaparl­aments war 2016 davon die Rede, dass wir »an der Schwelle einer Ära« stehen, in der »immer ausgeklüge­ltere Roboter, Bots, Androiden und sonstige Manifestat­ionen Künstliche­r Intelligen­z anscheinen­d nur darauf warten, eine neue industriel­le Revolution zu entfesseln, die wahrschein­lich keine Gesellscha­ftsschicht unberührt lassen wird«.

Momentan geht es bei der Landwirtsc­haft um Automatisi­erung, die Maschinen können noch nicht im Sinne künstliche­r Intelligen­z selbst planen und entscheide­n. In 20 Jahren werde es Maschinen geben, die autonom auf dem Acker fahren, sagt Hans Griepentro­g von der Universitä­t Hohenheim. Auch Entscheidu­ngshilfen in betrieblic­hen Fragen könnten per Algorithmu­s erstellt werden, aber »der Betriebsle­iter entscheide­t weiter, was richtig ist«. Doch eins dürfte klar sein: Die Abhängigke­it von Technik und damit von Unternehme­n steigt. Ein Systemwand­el beziehungs­weise die Agrarwende ist das nicht.

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Präzise gezogene Grenzen, streng abgetrennt­e Anbaufläch­en: Die Landwirtsc­haft greift stark in natürliche Wachstumss­trukturen ein. Mithilfe des Internets und modernster Überwachun­gs- und Messtechni­k könnte sie noch stärker technisier­t werden. Das hat...
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Foto: iStock/Krakozawr

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