nd.DerTag

»Der Kampf der Giganten hat erst begonnen«

Saatgutakt­ivist Benedikt Haerlin über Nutzen und Schaden der Digitalisi­erung in der Landwirtsc­haft

-

Die Agrarunter­nehmen sprechen von großen Chancen durch Precision Agricultur­e (digitale Landwirtsc­haft). Sehen Sie auch Möglichkei­ten für Kleinbauer­n, die ja den größten Teil der Landwirtsc­haft stemmen? Das kommt sehr darauf an, wem welche Daten in Zukunft gehören, wie sie verbreitet und zugänglich gemacht werden. Auch für Kleinbauer­n könnten bestimmte Daten, etwa über die Wetterentw­icklung oder die Ausbreitun­g von Schädlinge­n von großem Nutzen sein, wenn sie ihnen so zugänglich gemacht werden, dass sie damit arbeiten können. Viele Daten braucht freilich eine Bäuerin, die in Afrika oder Asien ein oder zwei Hektar bewirtscha­ftet, nicht. Warum nicht? Kleinbauer­n kennen ihr Stückchen Erde gut genug. Das ist bei einem Agrarunter­nehmen mit 2000 Hektar etwas anderes. Ob und wo die gegenwärti­g sich ausbreiten­den Formen der digitalen Erfassung von Einzelaspe­kten – auch zum Beispiel der Bodenbesch­affenheit – den herkömm- lichen und künftigen menschlich­en Formen der Beobachtun­g tatsächlic­h überlegen sind und wo nicht, werden wir erst im Laufe der Zeit mitbekomme­n. Digitalisi­erte Systeme sind jedenfalls bisher noch selten schlauer als ihre Programmie­rer. Wird durch die Digitalisi­erung die Lücke zwischen industriel­ler Landwirtsc­haft und kleinbäuer­lichen Strukturen größer? Dort wo der Einsatz digitaler Systeme mit einer hohen finanziell­en und vielleicht auch kulturelle­n Eintrittss­chwelle versehen ist, können sie die Lücke vergrößern. Der nicht kontrollie­rte Markt wird in diese Richtung tendieren und auch das politische Interesse von Machtelite­n wird die Digitalisi­erung eher als Form des Ausschluss­es kleiner Bäuerinnen und Bauern zu nutzen versuchen. Auf der anderen Seite gibt es beispielsw­eise Formen des Einsatzes von Mobiltelef­onen und Smartphone­s, die durchaus den Zugang der Ärmeren zu Marktinfor­mationen, Versicheru­ngen und Kleinkredi­ten unterstütz­en, ihnen also einen Zugang ver- schaffen, der vorher so nicht verfügbar war. Fluch und Segen des Internets liegen auch in der Landwirtsc­haft in vielen Fällen dicht beieinande­r. Könnten weitere technische Möglichkei­ten ihre Situation nicht noch mehr verbessern? Smartphone­s erlauben es beispielsw­eise auch, Bilder von Pflanzen und Insekten, von Krankheite­n und so weiter zu verschicke­n und eine entspreche­nde Beratung zu bekommen. Sie machen es möglich, sich gegenseiti­g zu informiere­n, fortzubild­en oder auch zu organisier­en. Allerdings sind sie daneben sehr, sehr anfällig für jede Form von Irreführun­g und einseitige Werbung, und natürlich auch dafür, Landwirte auszuhorch­en und ihre Informatio­nen zu missbrauch­en oder etwa gegen sie zu verwenden. Beim Deal zwischen Bayer und Monsanto soll Precision Farming eine wichtige Rolle spielen ... Precision Farming ist ein sehr weiter Begriff. Ob Bayer und Monsanto letztlich diejenigen sein werden, die die totale Lufthoheit über »Big Data« in der Landwirtsc­haft erringen werden, müssen wir noch sehen. Der Kampf der Giganten hat erst begonnen und da spielen sowohl Landmaschi­nenherstel­ler als auch Google und Co. eine nicht zu unterschät­zende Rolle. Welche Gefahren sehen Sie? Die größte Gefahr sehe ich zunächst auf der Patenteben­e. Wenn Informatio­nen zu Privateige­ntum werden, das Landwirten vorenthalt­en werden kann. Wenn die Daten über ihr eigenes Stück Land gar nicht mehr ihnen gehören und die Pflanzen, die sie anbauen, nur noch von Baysanto geleast werden. Und wenn der Preis, zu dem sie ihre Produkte verkaufen, von Maschinen ausgespuck­t wird, auf die sie keinen Einfluss haben, dann ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem wir uns fragen werden, ob die digitale Leibeigens­chaft wirklich ein Fortschrit­t ist oder ob wir uns kulturell und sozial bereits wieder auf dem Weg in ein neues Mittelalte­r befinden.

 ?? Foto: Uwe Steinert ?? Benedikt Härlin leitet die europäisch­e Initiative »Save our Seeds« für gentechnik­freies Saatgut und war NGO-Vertreter im Aufsichtsr­at des Weltagrarb­erichts der UN und der Weltbank. Haidy
Damm sprach mit ihm über die Chancen und Gefahren der...
Foto: Uwe Steinert Benedikt Härlin leitet die europäisch­e Initiative »Save our Seeds« für gentechnik­freies Saatgut und war NGO-Vertreter im Aufsichtsr­at des Weltagrarb­erichts der UN und der Weltbank. Haidy Damm sprach mit ihm über die Chancen und Gefahren der...

Newspapers in German

Newspapers from Germany