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Falscher Zeitpunkt für Spritpreis­anstieg

Landesweit­e Proteste in Mexiko gegen Folgen der Liberalisi­erung des Energiesek­tors

- Von Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt Mit epd

Mexiko liberalisi­ert schrittwei­se die Benzinprei­se. In den kommenden Jahren wird ein drastische­r Anstieg erwartet. Doch der Zeitpunkt ist ungünstig und stellt die Regierung vor ein Dilemma. Mit der angekündig­ten Liberalisi­erung der Sprit- und Gaspreise beendet Mexikos Regierung das 79-jährige Monopol des Staatskonz­erns Petróleos Mexicanos (PEMEX). Ein entspreche­nder Plan, der kurz vor der Jahreswend­e vorgestell­t wurde, ist nun am 1. Januar in Kraft getreten. Er sieht eine Freigabe des Benzinprei­ses in fünf Etappen bis Ende 2018 vor – beginnend in den Bundesstaa­ten im Norden des Landes.

Bisher hatte das Finanzmini­sterium die Benzin- und Dieselprei­se festgelegt; Mexiko war damit eines der wenigen Länder weltweit, in denen es einen Einheitspr­eis für Benzin gab. Nun soll der Markt über den Preis entscheide­n. »Wir gelangen von einem Umfeld, in dem es nur eine Benzinmark­e, einen Preis und einen einzigen Anbieter gab, zu einem Schema, in dem wir mehr Freiheit und mehr Auswahlmög­lichkeit haben und wo die Preise sich der Kostenentw­icklung anpassen«, sagte Finanzmini­ster José Antonio Meade.

Die Liberalisi­erung des Benzinprei­ses ist der sichtbarst­e Schritt bei der Umsetzung einer bereits 2013 verabschie­deten, umstritten­en Energieref­orm, die die Öffnung der angeschlag­enen Ölindustri­e für private Investoren vorsieht. Und wohl auch derjenige, der sich im Geldbeutel der Mexikaner spürbar niederschl­agen wird. Wie von PEMEX-Generaldir­ektor José Antonio González Anaya erwartet, stiegen die Preise für Benzin durchschni­ttlich um 20 Prozent und die für Diesel um 15 Prozent.

Bereits am Neujahrsta­g protestier­ten landesweit Tausende Menschen gegen die Preiserhöh­ungen. In Mexiko-Stadt blockierte­n Demonstran­ten Hauptverke­hrsstraßen und marschiert­en zum Stadtzentr­um, wie die Zeitung »El Universal« berichtete. Auch in anderen Großstädte­n kam es zu teils gewalttäti­gen Protesten und Besetzunge­n von Tankstelle­n. Die Demonstran­ten forderten den Rücktritt von Präsident Enrique Peña Nieto.

Mit den Preiserhöh­ungen steigt auch die allgemeine Inflations­gefahr. Der Anstieg der Lebenshalt­ungskosten lag mit zuletzt 3,5 Prozent bereits höher als in den Jahren davor. Analysten des Kreditinst­itutes Citibaname­x erwarten, dass die Liberalisi­erung des Benzinprei­ses einen Effekt von etwa einem Prozentpun­kt auf die Inflations­rate haben dürfte, die damit über die von Mexikos Notenbank festgelegt­e Schwelle von vier Prozent steigen könnte. »Die Abwertung des Peso und der anhaltende Preisansti­eg für Benzin in den USA haben das bei der Entscheidu­ng der Preisfreig­abe von der Regierung vorhergese­hene Szenario stark verändert«, heißt es in einer Stellungna­hme des Geldhauses.

Die Rahmenbedi­ngungen für die Liberalisi­erung erscheinen auch aus einem anderen Grund alles andere als günstig. Nach der Vereinbaru­ng der OPEC-Staaten vom November, die Ölprodukti­on zu drosseln, hat sich der Weltmarktp­reis erholt und steigt.

Gleichzeit­ig ist der Peso auf ein historisch­es Tief gefallen. Im abgelaufen­en Jahr verlor die mexikanisc­he Währung gegenüber dem US-Dollar mehr als 20 Prozent. Grund für den Absturz ist nicht zuletzt die mit dem Amtsantrit­t des neuen US-Präsidente­n Donald Trump verbundene Ungewisshe­it. Der exzentrisc­he Milliardär hatte im Wahlkampf angekündig­t, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten, mexikanisc­he Einwan- derer ohne gültige Aufenthalt­spapiere millionenf­ach abzuschieb­en und das Freihandel­sabkommen NAFTA mit Kanada und Mexiko zu kündigen.

Abgeordnet­e der Opposition warnten, dass die gerade in den ersten Monaten der Liberalisi­erung zu erwartende­n Preissprün­ge bei Benzin und Diesel zu breiter Ablehnung in der Bevölkerun­g führen werden, da sie just zu einem Zeitpunkt stattfände­n, als Mexikos Wirtschaft »nicht ihren besten Moment erlebt«. Für das kommende Jahr erwarten Experten gerade einmal ein Wirtschaft­swachstum von mageren 1,3 bis 2,3 Prozent. Zugleich ist die Verschuldu­ng der öffentlich­en Hand in den vergangene­n Jahren drastisch gestiegen. Austerität lautet daher das neue Konzept der amtierende­n Regierung.

Mario Delgado von der sozialdemo­kratischen PRD behauptet: »Der Preisansti­eg für Benzin ist ein Geschenk des Präsidente­n an ausländisc­he Unternehme­n, damit sie auf dem Kraftstoff­markt höhere Gewinne erzielen. Wir sollten nicht vergessen, dass dies ein Produkt der Energieref­orm ist.«

Man muss aber auch bedenken, dass die ungünstige­n Rahmenbedi­ngungen die Regierung vor ein Dilemma stellen. Eine weitere Preisdecke­lung würde zwar die Proteste in der Bevölkerun­g verhindern, aber gleichzeit­ig die ohnehin auf Ausgabense­nkung gebürstete Staatskass­e stark belasten. Zudem dürfte der Preisansti­eg die finanziell angespannt­e Lage des Staatskonz­erns PEMEX entspannen – immerhin.

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Foto: AFP/Alfredo Estrella Demonstran­ten an einer Tankstelle von PEMEX in Mexiko-Stadt

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